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       # taz.de -- Hohe Kosten auf dem Großmarkt: Stromversorger lehnen Neukunden ab
       
       > Hohe Strompreise im Großhandel machen die Kundenakquise zum
       > Verlustgeschäft. Versorgungsengpässe treiben die Kosten in die Höhe.
       
   IMG Bild: NRW, Rommerskirchen: Hinter einem Wald aus Strommasten drehen sich Windräder, die Strom erzeugen
       
       BERLIN taz | Die Verwerfungen in der Energiewirtschaft erreichen die
       Haushaltskunden: Immer mehr Stromversorger nehmen außerhalb ihres
       Grundversorgungsgebiets keine Neukunden mehr an. So haben unter den
       bundesweiten Ökostromanbietern bereits die Elektrizitätswerke Schönau (EWS)
       und Green Planet Energy (ehemals Greenpeace Energy) mitgeteilt,
       vorübergehend keine Neukunden mehr unter Vertrag zu nehmen. Auch zahlreiche
       regionale Energieversorger beschränken sich inzwischen bei Neuverträgen auf
       das eigene Netzgebiet, wo sie als Grundversorger zur Belieferung
       verpflichtet sind.
       
       Der Hintergrund: Die Versorger würden mit Neukunden inzwischen erhebliche
       Verluste einfahren, wollten sie diese zu den üblichen Strompreisen
       versorgen. Denn während die Unternehmen für ihre Bestandskunden den Strom
       oft langfristig zu günstigen Preisen beschafft haben, müssten sie die
       zusätzlichen Strommengen für Neukunden noch kurzfristig im Großhandel zu
       inzwischen [1][extrem hohen Preisen] erwerben. So macht der aktuelle
       Strommarkt jede Neukundenakquise betriebswirtschaftlich indiskutabel.
       Lediglich Unternehmen, die bei ihrer langfristigen Einkaufspolitik bereits
       ein gewisses Kundenwachstum eingeplant hatten, nehmen noch Neukunden an.
       Dazu zählt derzeit zum Beispiel noch die EnBW.
       
       Betroffen von der eingeschränkten Auswahl an Stromanbietern sind nun
       speziell solche Kundinnen und Kunden, die von ihrem bisherigen Versorger
       nicht mehr beliefert werden können, etwa weil dieser insolvent ist. Solche
       Fälle nehmen zu: Jüngstes Beispiel ist die Insolvenz der Neckermann Strom
       AG. Zuvor waren bereits mehrere kleine Anbieter pleitegegangen, da sie sich
       gegen den Preisanstieg an der Strombörse offenbar nicht ausreichend
       abgesichert hatten.
       
       Die aktuelle Marktkonstellation resultiert aus [2][Turbulenzen ungekannten
       Ausmaßes in der gesamten Energiewirtschaft]: Wer in den letzten Tagen Strom
       für das Jahr 2022 kaufen wollte, musste in der Grundlast dafür zeitweise
       mehr als 31 Cent je Kilowattstunde bezahlen – vor einem Jahr hatte der
       Preis noch unter 5 Cent gelegen. Besonders extrem ist das Preisniveau für
       Stromlieferungen im ersten Quartal des Jahres 2022: Bis zu 44 Cent kostete
       für diesen Zeitraum zuletzt eine Kilowattstunde am Terminmarkt.
       
       ## Geringere Produktion in Russland und Frankreich
       
       Ursachen sind zum einen die hohen Erdgaspreise aufgrund reduzierter
       Lieferungen aus Russland. Am Spotmarkt wurde Gas am Mittwoch für 18 Cent
       je Kilowattstunde verkauft, 10-mal so teuer wie vor einem Jahr. RWE warnte
       bereits, es bestehe das Risiko einer Unterbrechung der Gaslieferungen – mit
       dem Ergebnis, dass man die Verfügbarkeit mehrerer Kraftwerksblöcke in
       Nordrhein-Westfalen im Winter nicht mehr zu jeder Zeit garantieren könne.
       
       Zudem verknappen der weitere Ausstieg aus der Atomkraft und der begonnene
       Ausstieg aus der Kohle in Deutschland das Stromangebot. Hinzu kommen
       massive Sicherheitsprobleme in französischen Atomkraftwerken, die auf den
       gesamten mitteleuropäischen Strommarkt ausstrahlen: 17 von 56 Blöcken in
       Frankreich produzierten dieser Tage zeitweise keinen Strom. So waren von
       den vorhandenen 61 Gigawatt mitunter nur 41 Gigawatt tatsächlich verfügbar,
       was zur Folge hatte, dass Frankreich in den letzten Wochenbilanzen in der
       Summe jeweils Strom importieren musste – eine Situation, die anhält und die
       den Markt mit Blick auf den bevorstehenden Winter zusätzlich verunsichert.
       
       Das Beispiel Frankreich zeigt zudem, dass auch [3][das Festhalten an der
       Atomkraft] nicht gegen hohe Strompreise hilft: Am Mittwoch gehörten die
       Preise an den Spotmärkten, wo kurzfristige Stromlieferungen gehandelt
       werden, dort durch die vielen Kraftwerksausfälle zu den höchsten in
       Westeuropa. Und auch im November lagen sie im Schnitt schon 23 Prozent
       höher als in Deutschland.
       
       22 Dec 2021
       
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