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       # taz.de -- Referendum zur Unabhängigkeit: Neukaledonien bleibt französisch
       
       > Über 90 Prozent stimmen gegen die Abspaltung der Pazifikinsel. Doch das
       > Ergebnis ist eher Ausdruck von Boykott als von Einigkeit.
       
   IMG Bild: Noumea am 12. Dezember 2021. Wahlwerbung für die „Nein“-Stimme
       
       Paris taz | Als nach 20 Uhr Ortszeit in Nouméa und kurz vor Mittag Pariser
       Zeit die ersten Teilergebnisse der Abstimmung über eine Unabhängigkeit
       Neukaledoniens von Frankreich eintrafen, bestätigten sich sehr schnell die
       Erwartungen: In den mehrheitlich von den einheimischen „Kanak“ bewohnten
       Wahlbezirken ging fast niemand an die Urne. Die abgegebenen Stimmen waren
       rasch ausgezählt. Das Nein zur Loslösung vom „Mutterland“ siegte mit mehr
       als 96,5 Prozent.
       
       Eine ähnliche massive Ablehnung ergab sich aber auch in der Hauptstadt
       Nouméa und anderen Bezirken im Süden der Insel, wo die „Caldoches“ in der
       Überzahl sind – so heißt die weiße Bevölkerung, die aus Nachkommen
       europäischer Einwanderer besteht. Die Zahlen der Stimmbeteiligung
       widerspiegeln die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung auf der
       Inselgruppe im Südpazifik.
       
       „Frankreich ist stolz, euer Vaterland zu sein“, sagte Frankreichs
       Staatschef Emmanuel Macron am Sonntag in einer Fernsehansprache, an die
       Bevölkerung Neukaledoniens gewandt. Gleichzeitig verwies er auf die
       weiterhin [1][tief gespaltene Wählerschaft]. Jetzt müsse eine
       Übergangsphase beginnen, um einen neuen Status für das französische
       Überseegebiet zu definieren, sagte Macron.
       
       Nach zwei ersten Befragungen 2018 und 2020, die je mit einer Nein-Mehrheit
       (zuerst 56,7, dann nur noch 53,3 Prozent) zur Unabhängigkeit ausgingen,
       ergeben die ausgezählten Stimmen dieses dritte Mal eine krasse Ablehnung
       von mehr als 95 Prozent. Aussagekräftiger als dieses Resultat ist
       allerdings der Anteil der Wahlbeteiligung (nur rund 40 Prozent) und der
       Enthaltung (rund 60 Prozent).
       
       ## Boykott durch Befürworter
       
       Denn die Unabhängigkeitsbewegung FLNKS (Front de libération kanak et
       socialiste) hatte zum Boykott aufgerufen und keine Kampagne für das Ja
       organisiert, da der Termin der Wahl ihrer Meinung nach zu früh gesetzt war.
       
       Als Argument nannte Die FLNKS hauptsächlich die Auswirkungen der
       Coronapandemie, die es erschwerten oder gar verhinderten, in der relativ
       kurzen Zeit auf erfolgversprechende Weise ihre Gründe für eine Ablösung von
       Frankreich darzustellen und die Stimmberechtigten dafür zu mobilisieren.
       
       Bestimmt wollte die FLNKS so auch Aufschub gewinnen, in der Hoffnung, dass
       sich mit fortschreitender Zeit mehr Menschen für das entscheiden, was für
       sie eine definitive Entkolonisierung bedeutet. Denn die beiden ersten
       Abstimmungen hatten ja gezeigt, dass die Zahl der Befürworter*innen
       einer neukaledonischen Souveränität zunahm.
       
       Die französische Staatsführung dagegen hatte diesen Wunsch einer
       Verschiebung ziemlich harsch und zuletzt unter Berufung auf einen
       Verwaltungsgerichtsentscheid zurückgewiesen. Damit wurden erneut Spannungen
       zwischen „Loyalisten“ und „Separatisten“ erzeugt. Denn obwohl die Pariser
       Regierung im Voraus versichert hat, sie wolle den demokratisch
       ausgedrückten Willen in jedem Fall respektieren, war auch klar, dass sie
       die [2][ehemalige Kolonie im Pazifik] aus politischen, strategischen und
       wirtschaftlichen Gründen nicht verlieren will.
       
       Wenn die FLNKS mit ihrem Boykottaufruf angesichts der sehr geringen
       Beteiligung zweifellos einen Erfolg verbuchen kann, ist dieser „Sieg“ genau
       so freudlos wie der „Triumph“ der Unabhängigkeitsgegner*innen.
       
       Wenig optimistisch ist denn auch die französische Wochenzeitschrift Le
       Nouvel Obs: Statt eine Lösung zu liefern, könne diese Abstimmung
       Neukaledonien in eine Krise führen, befürchtet das Magazin in einem ersten
       Kommentar am Sonntag.
       
       12 Dec 2021
       
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