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       # taz.de -- Landesparteitag der Grünen in NRW: Zurück an die Macht
       
       > Klare Sprache zum Wahlkampfauftakt: Die Grünen wollen regieren. Massive
       > Unterstützung kommt per Videobotschaft von Vizekanzler Robert Habeck.
       
   IMG Bild: Will NRW zu ersten klimaneutralen Industrieregion machen: Landesvorsitzende Mona Neubaur
       
       Bochum taz | Nach fünf Jahren Opposition wollen Nordrhein-Westfalens Grüne
       zurück an die Macht: Mit dem Ziel Regierung ist die Partei in den
       Landtagswahlkampf gestartet. „Ich will alles dafür tun, dass am Ende kein
       Weg an unseren Inhalten vorbeiführt“, erklärte die Landesparteivorsitzende
       und Spitzenkandidatin Mona Neubaur beim Wahl-Parteitag am Freitag.
       Hauptaufgabe sei, NRW zur „ersten klimaneutralen Industrieregion Europas“
       zu machen.
       
       Massive Unterstützung bekam Neubaur dafür vom seit Mittwoch regierenden
       [1][grünen Vizekanzler Robert Habeck]. Für seine Arbeit als Bundesminister
       für Wirtschaft und Klimaschutz könne es „nichts Besseres“ geben als eine
       grüne Regierungsbeteiligung auch in NRW, sagte Habeck in einer vorab
       aufgezeichneten Video-Botschaft aus Berlin – coronabedingt lief die
       Landesdelegiertenkonferenz weitgehend digital ab. In der
       Veranstaltungshalle in Siegen waren nur wenige Spitzen-Grüne vor Ort, die
       Delegierten schalteten sich digital ein.
       
       „Leute, gewinnt diese Wahl“, beschwor Habeck die grünen
       Funktionär:innen – der Minister weiß, dass der klimaneutrale Umbau der
       Wirtschaft ohne NRW mit seiner energieintensiven Chemie-, Stahl und
       Zementindustrie nicht zu erreichen ist. Allein das riesige Stahlwerk von
       Thyssenkrupp in Duisburg, das möglichst schnell auf klimaneutralen grünen
       Wasserstoff umgestellt werden soll, ist derzeit für 2,5 Prozent aller
       Kohlendioxid-Emissionen Deutschlands verantwortlich. Im Bund hätten es die
       Grünen in die Regierung geschafft, mahnte Habeck: „Jetzt seid ihr dran.“
       
       ## Koalition mit CDU und FDP nicht ausgeschlossen
       
       Massive Kritik übten führende NRW-Grüne deshalb an der aktuellen
       Landesregierung aus CDU und FDP. Die stehe „bestenfalls für die schlechte
       Verwaltung des Status Quo“, sei „Interessenvertretung“ des
       Braunkohletagebau-Betreibers RWE, meinten die Co-Chefinnen der
       Landtagsfraktion, Josefine Paul und Verena Schäffer. Schwarz-Gelb regiere
       „rechtswidrig“ und nicht nur „schlecht“, erklärte der rechtspolitische
       Sprecher der Fraktion, Stefan Engstfeld – und verwies auf die vom
       Verwaltungsgericht Köln für [2][unrechtmäßig erklärte Räumung der
       Besetzer:innen des Hambacher Walds] und den vom Oberverwaltungsgericht
       Münster kassierten Bebauungsplan für Deutschlands letztes
       Steinkohlekraftwerk Datteln IV.
       
       Allerdings: Völlig ausschließen wollen die NRW-Grünen eine künftige
       Landesregierung zusammen mit der CDU oder der FDP nicht. So vermied
       Spitzenkandidatin Neubau jede Festlegung auf künftige Koalitionspartner.
       Schließlich hätten die Koalitionsverhandlungen im Bund gezeigt, dass „jeder
       Millimeter“ hart erkämpft“ werden müsse – und dabei sei es „egal,ob CDU,
       SPD oder FDP mit am Verhandlungstisch sitzen“.
       
       Denn die Grünen hatten die mit dem Sieg von Kanzler Olaf Scholz auch in NRW
       wiedererstarkte SPD lange abgeschrieben. Als realistisch galt allein ein
       Bündnis unter Führung der Christdemokraten. Jetzt wollen die Grünen, die
       bei der Landtagswahl 2017 mit nur 6,4 Prozent entscheidend zum Ende der
       rot-grünen Landesregierung der Sozialdemokratin Hannelore Kraft beigetragen
       haben, auf eigene Stärke setzen: Bei der Europawahl 2019 haben sie an Rhein
       und Ruhr 23,2 Prozent eingefahren, und bei der Kommunalwahl 2020 waren 20
       Prozent drin. Und im Oktober sah eine WDR-Umfrage die Grünen bei 17, die
       SPD sogar bei 31 Prozent.
       
       ## Auch Rot-Grün ist wieder denkbar
       
       In NRW ist damit wieder der Klassiker Rot-Grün denkbar – wenn beide
       Parteien in der Berliner Ampel-Regierung nicht zu viele Fehler machen.
       Enttäuschungen vorbeugen soll die Konzentration auf die Jahrhundertaufgabe
       Klimaschutz: NRW soll bis 2040 klimaneutral werden – fünf Jahre schneller
       als die Bundesrepublik insgesamt, heißt es im Wahlprogramm mit dem Titel
       „Von hier an Zukunft“. Der Kohleausstieg soll auf 2030 vorgezogen, die vom
       Abriss bedrohten Dörfer im rheinischen Braunkohlerevier gerettet werden.
       Windkraft werde ebenso ausgebaut wie Solaranlagen, die „auf jedes Dach“
       gehörten, so Spitzenkandidatin Neubaur – und daran sollten sich auch
       Mieter:innen beteiligen können.
       
       Denn die NRW-Grünen fürchten den Vorwurf, Partei der Besserverdienenden zu
       sein. Neubaurs Co-Landesvorsitzender, der neu in den Bundestag gewählte
       Felix Banaszak, warb deshalb nicht nur mit einer „Bekämpfung der sozialen
       Spaltung“, sondern auch mit „mehr Bildungsgerechtigkeit“. Neubaur sprach
       sogar von der „Vision, das in NRW niemand mehr in Armut leben muss“.
       
       Punkten will die Partei auch mit einem Bekenntnis zur Artenvielfalt, mit
       schnellem Internet durch Glasfaser vor jeder Haustür und der Agrar- und
       Verkehrswende: Fraktionsvize Arndt Klocke, der von manchen bereits als
       neuer Landesverkehrsminister gehandelt wird, forderte ein Ende der
       „massiven Straßenbaupolitik“ des frisch zum Ministerpräsidenten gewählten
       Christdemokraten Hendrik Wüst – und einen Ausbau von Bus- Bahn- und
       Radwegnetzen. Anträge der Grünen Jugend, die Klimaneutralität schon 2035
       ebenso forderten wie einen Mietendeckel und die „Vergesellschaftung“ großer
       Wohnungsunternehmen, wurden dagegen abgelehnt.
       
       ## Listenbesetzung geht noch bis Sonntag
       
       Geschlossenheit und Regierungswillen zeigen sollte auch die Besetzung der
       schon vorab in Kreis-und Bezirksverbänden fein abgestimmten Landesliste.
       Die bestimmt, wer die Partei künftig im Landtag vertritt – mit
       Direktmandaten können die Grünen im Flächenland NRW nicht rechnen.
       Spitzenkandidatin Neubaur wurde mit ehrlichen 82,4 Prozent gewählt. Ihr
       folgen die Fraktionschefinnen Paul und Schäffer mit 86,9 und 90,6 Prozent.
       
       Insgesamt kandidieren auf den am Freitag gewählten ersten 16 Plätzen zehn
       Frauen, darunter auf Platz 13 die als Anti-Braunkohle-Aktivistin und
       Kohlekommissions-Mitglied bekannt gewordene Antje Grothus. Damit steht die
       Landtagsfraktion vor einem Generationswechsel: Altgediente Grüne wie
       Ex-Umweltminister Johannes Remmel, die ehemalige Fraktionsvorsitzende
       Monika Düker oder Landtags-Vizepräsident Oliver Keymis treten nicht mehr
       an.
       
       Eine wirkliche Kampfkandidatur gab es erst um Listenplatz 16: Ohne
       Unterstützung von Kreisverband oder Bezirk trat hier überraschend die
       [3][Bochumer Sozialarbeiterin Cansin Köktürk] an, die mit ihrer Kritik an
       der Berliner Ampel bei Markus Lanz bundesweit bekannt geworden ist. „Nein,
       ich habe kein Votum“, erklärte Köktürk. Allerdings stehe sie für
       „bedingungslose Menschlichkeit“, für „Solidarität“ mit Flüchtenden und
       Obdachlosen. Eine „Lobby“, ein „Netzwerk“ in der Partei brauche sie deshalb
       nicht – was ihr den Vorwurf mangelnder Teamfähigkeit einbrachte.
       
       Gegen den Kommunalpolitiker Martin Metz, Fraktionschef im rheinischen Sankt
       Augustin, fiel Köktürk mit 18 zu 75 Prozent durch. Weitere 74 Listenplätze
       wollen die Grünen noch bis Sonntag besetzen.
       
       11 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
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