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       # taz.de -- Lithiumgewinnung in Argentinien: „Proteste werden kleingehalten“
       
       > Für die Verkehrswende werden im südamerikanischen Lithiumdreieck Unmengen
       > Wasser verbraucht. Das trifft vor allem die indigenen Gemeinschaften.
       
   IMG Bild: In der Sole der Salzseen befindet sich das begehrte Lithium
       
       Buenos Aires taz | Ein Problem gelöst, neue Probleme produziert: [1][15
       Millionen Elektroautos sollen bis Ende 2030 auf deutschen Straßen rollen],
       rund neunmal so viel wie gegenwärtig. Das ist eins der [2][Ziele im
       Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung], mit denen die Klimakrise
       gebremst werden soll. Aber für diese Verkehrswende werden Lithiumbatterien
       gebraucht. Und das Leichtmetall muss irgendwo abgebaut werden – was in den
       Herkunftsländern die Umwelt schwer belastet. In Argentinien etwa führt die
       Lithiumextraktion zu gefährlicher Wasserknappheit.
       
       „[3][Lithium ist einer der Schlüsselrohstoffe für die Elektromobilität]“,
       erklärte Andreas Wendt vom Vorstand der BMW, als der Automobilkonzern im
       März 2021 bekannt gab, einen Lithiumliefervertrag über rund 285 Millionen
       Euro mit dem US-Unternehmen Livent abgeschlossen zu haben. Livent
       extrahiert Lithium vor allem aus dem Salar del Hombre Muerto in der
       argentinischen Provinz Catamarca. Der 600 Quadratkilometer große Salzsee
       liegt auf einer Höhe zwischen 3.400 und 4.600 Meter über dem Meeresspiegel
       in einem Gebiet mit extremer Trockenheit.
       
       „Ein Salzsee ist ein Feuchtgebiet. Das macht ihn zu einer strategisch
       wichtigen Wasserreserve“, sagt Verónica Gostissa von der Versammlung
       Pucará, die sich in Catamarca für den Schutz des Wassers einsetzt. Um
       Lithium zu gewinnen, wird die unter der Saline lagernde Sole in flache
       Becken gepumpt und mit einer riesigen Menge an Süßwasser vermischt. In den
       Becken werden unterschiedliche Mineralien und Metalle gewonnen, wenn das
       Wasser durch die Sonneneinstrahlung verdunstet – vom schlichten Tafelsalz
       bis zu Lithiumcarbonat oder -hydroxid. Um eine Tonne Lithium zu gewinnen,
       werden 2 Millionen Liter Wasser benötigt.
       
       Der immense Verbrauch senkt den Pegelstand der unterirdischen
       Süßwasserreservoirs, die sich ausschließlich durch Regen speisen. Der
       Wasserspiegel in den Lagunen fällt, die Flüsse führen kaum Wasser. „Die
       einstmals breiten und grünen Randzonen entlang des Flusses Trapiche, der in
       den Salar del Hombre Muerto mündet, sind inzwischen ausgetrocknet“, so
       Gostissa. Selbst das Umweltministerium der Provinz Catamarca hat den
       Schaden als irreversibel eingestuft.
       
       ## Der Preis hat sich verdreifacht
       
       Zur Wassernot kommen giftige Stäube, die bei der Extraktion entstehen und
       die Tiere krank machen oder töten, von denen die Kollas leben, eines der
       wenigen verbliebenen indigenen Völker in Südamerika.
       
       Als Sony 1991 mit den ersten Lithiumbatterien auf den Markt ging, wurden
       sie vor allem in tragbare Elektrogeräte gesteckt. Sie lieferten nicht nur
       ausdauernd Strom, sie waren auch sehr leicht. Doch während in einer
       Smartphonebatterie etwa 3 Gramm Lithium sind, werden für ein Elektroauto
       rund 10 Kilogramm benötigt. Nach aktuellen Prognosen wird sich die
       Nachfrage nach Lithium in diesem Jahrzehnt verzehnfachen. Die Preise
       steigen. Kostete eine Tonne Lithium im Jahr 2004 noch knapp 2.000
       US-Dollar, so sind es inzwischen rund 6.000 Dollar.
       
       Derzeit wird die Lithiumnachfrage vor allem von Australien, China und Chile
       gedeckt. [4][Mit weitem Abstand folgen Argentinien und Bolivien]. Während
       das australische Lithium aus Spodumenerz extrahiert wird, das aus den
       Bergbauminen stammt, wird Lithium in Südamerika aus der Sole riesiger
       Salzseen gewonnen. Geschätzt wird, dass in den Salinas von Chile,
       Argentinien und Bolivien bis zu 60 Prozent der globalen Lithiumreserven
       lagern.
       
       Die von den Experten*innen gern als Lithium-Dreieck bezeichnete Region
       erstreckt sich über rund 25.000 Quadratkilometer. „Von den 86 Millionen
       Tonnen Lithiumressourcen der Welt verfügt Bolivien über 21 Millionen,
       gefolgt von Argentinien mit 19,3 Millionen und Chile mit 9,6 Millionen“,
       heißt es in einer im August 2021 veröffentlichten [5][Studie des Center for
       Strategic and International Studies], die die geostrategische Bedeutung der
       Region bei der zukünftigen Dekarbonisierung von Industrie und Verkehrs
       betont.
       
       ## Regierungen, Konzerne, Sicherheitskräfte
       
       „Für uns besteht das Lithium-Dreieck aus nationalen und provinziellen
       Regierungen, den transnationalen Bergbauunternehmen und den
       Sicherheitskräften, egal ob staatlich oder privat“, sagt Gostissa, die sich
       als Rechtsanwältin auf Umweltrecht spezialisiert hat. Diese drei agierten
       koordiniert, „damit die Extraktion reibungslos vorangeht und Proteste
       kleingehalten werden können“.
       
       Die groß angelegte Lithiumgewinnung geht vor allem auf Kosten der lokalen
       Gemeinschaften und ihrer Weide- und Landwirtschaft sowie ihrer
       traditionellen Salzgewinnung. „Es gab bereits mehrere Episoden von
       Kriminalisierung, Gerichtsverfahren und polizeilicher Verfolgung gegen
       Aktivisten, aber auch gegen indigene Anführer“, so Gostissa.
       
       Bodenschätze sind in Argentinien Eigentum der jeweiligen Provinzen. Die
       Provinzregierungen vergeben die Konzessionen für die Extraktion gegen einen
       geringen Anteil am Wert der ausgebeuteten Rohstoffe in der Regel an
       ausländische Unternehmen. Im Fall von Catamarca erhält die öffentliche Hand
       gerade mal 3 Prozent.
       
       Der Startschuss für den Lithiumabbau fiel 1997, als Livent, damals noch
       unter dem Namen Minera de Altiplano, mit der Erkundung und nur kurze Zeit
       später mit der Ausbeutung der Vorkommen im Salar del Hombre Muerto begann.
       2018 gab der Konzern bekannt, die Lithiumgewinnung zu verdreifachen. Der im
       vergangenen März verkündete Liefervertrag mit BMW hat das Vorhaben noch
       beschleunigt.
       
       Damit überhaupt genug Wasser bereitsteht, musste ein Aquädukt errichtet
       werden – über indigenes Gemeinschaftsland. Für den Bau hätten die indigenen
       Gemeinschaften vorab befragt werden müssen. Diese Consulta previa fand
       jedoch nicht statt, und der Bau der Wasserleitung ist in vollem Gang. „Wenn
       Livent seine Produktion verdreifacht und die sieben weiteren Unternehmen,
       die gegenwärtig ihre Anlagen installieren, mit der Extraktion beginnen,
       wird der Wasserverbrauch das ganze Ökosystem des Salars auf den Kopf
       stellen“, so Gostissa.
       
       29 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Tesla-Gigafactory-bei-Berlin/!5816161
   DIR [2] /Umweltpolitik-der-Ampel-Koalition/!5817700
   DIR [3] https://www.press.bmwgroup.com/austria/article/detail/T0328716DE/fuer-einen-schnellen-ausbau-der-e-mobilitaet:-bmw-group-erhoeht-nachhaltigen-bezug-von-lithium-fuer-die-batteriezellfertigung
   DIR [4] /Lithiumgewinnung-in-Bolivien/!5709257
   DIR [5] https://www.csis.org/analysis/south-americas-lithium-triangle-opportunities-biden-administration
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Vogt
       
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