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       # taz.de -- Raúl Krauthausen über BVerfG-Urteil: „Der Staat muss uns schützen“
       
       > Das Triageurteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Erfolg für
       > Menschen mit Behinderungen, sagt Inklusionsaktivist Raúl Krauthausen.
       
   IMG Bild: Dem Aktivisten Raúl Krauthausen geht es nicht darum, neue Triage-Regeln aufzustellen
       
       taz: Herr Krauthausen, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am
       Dienstag entschieden, dass behinderte Menschen bei Behandlungen nicht
       benachteiligt werden dürfen, auch wenn Intensivstationen und Kliniken
       überlastet sind. Wie bewerten Sie das sogenannte Triage-Urteil? 
       
       Raúl Krauthausen: Das [1][Bundesverfassungsgericht] hat uns und unsere
       Bedürfnisse ernst genommen, das ist sehr gut. Damit wird Artikel 3 Absatz 3
       des Grundgesetzes …
       
       … der besagt, dass niemand wegen einer Behinderung benachteiligt werden
       darf … 
       
       … das wird jetzt ausgeweitet: Der Staat verpflichtet sich, Menschen mit
       Behinderungen stärker zu schützen.
       
       War das bislang nicht so? 
       
       Die staatliche Schutzverpflichtung ist neu. Jetzt muss der Gesetzgeber auch
       gemäß der UN-Behindertenkonvention dafür sorgen, dass Menschen mit
       Behinderungen bei intensivmedizinischen Behandlungen nicht benachteiligt
       werden – auch wenn die Ressourcen pandemiebedingt knapp sind.
       
       Nancy Poser, eine der neun Beschwerdeführer:innen und selbst
       Richterin mit Behinderung, [2][hat vor einem Jahr in der taz] gesagt, dass
       Menschen wie sie im Falle einer pandemiebedingten Triage zuerst „geopfert“
       würden, weil Menschen mit Behinderungen von jeher eine schlechtere
       Gesundungsprognose erteilt werde. Aktuell stellt sich die Lage auf den
       Intensivstationen aber anders dar: Schlechtere Überlebenschancen haben eher
       Ungeimpfte ohne Behinderung als Geimpfte mit einer Behinderung. 
       
       Uns ging es nicht darum, neue Triage-Regeln aufzustellen. Da ist der
       Gesetzgeber jetzt in der Pflicht, der uns jetzt stärker schützen muss.
       
       Oliver Tolmein, der Anwalt der Beschwerdeführer:innen, argumentiert, dass
       es gut sei, wenn erst gar keine Triage-Entscheidungen getroffen werden
       müssen. Im nächsten Jahr kommen Intensivmediziner:innen aber
       womöglich nicht mehr an einer Triage vorbei. 
       
       Als wir die Klage vor einem Jahr angestrebt haben, war die Lage in den
       Kliniken, so wie wir sie jetzt haben, bereits absehbar. Nur hat das damals
       kaum jemanden interessiert. Das Problem dahinter ist doch die unzureichende
       Ausstattung in Krankenhäusern: Es mangelt an Betten, an Ausstattung und vor
       allem an Personal.
       
       Haben Sie selbst schon einmal erlebt, dass Sie aufgrund Ihrer Behinderung
       im Krankenhaus oder in einer anderen medizinischen Situation „geopfert“
       wurden? 
       
       Als ich geboren wurde, prophezeiten die Ärzte meinen Eltern, dass ich nur
       drei Tage leben werde. Dann waren es drei Wochen, später drei Monate. Jetzt
       bin ich 41 Jahre alt. Oder anders gesagt: Was würde passieren, wenn wir
       Menschen, die länger brauchen, um gesund zu werden, von vornherein eine
       medizinische Versorgung verwehren? Die Antwort ergibt sich von selbst.
       
       28 Dec 2021
       
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