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       # taz.de -- Jahreswechsel in Berlin: Lasst es leise krachen!
       
       > Corona steht auch für Entspannung: Wieder sorgt die Pandemie dafür, dass
       > der Druck wegfällt, am Silvesterabend in Berlin etwas Tolles zu erleben.
       
   IMG Bild: Auch ein kleines Tischfeuerwerk funkelt und knistert
       
       BERLIN taz | Kein Feuerwerksverkauf, nirgendwo, Böllerverbotszonen überall
       in der Stadt, Clubs und Diskotheken sind dicht. Die offizielle Party am
       Brandenburger Tor wäre das Letzte gewesen, was irgendwie
       Jahreswechsel-Normalität ausgestrahlt hätte – zumindest für all jene, die
       so etwas normal finden. Aber auch das ist verpufft wie ein Heuler aus dem
       Aldi-Sortiment: Bei „Celebrate at the Gate“ kann man auch in diesem Jahr
       wieder nur vom heimischen Sofa aus mitfiebern.
       
       Pandemiebedingt habe man schweren Herzens entschieden, die Show „wieder als
       reine Fernsehproduktion umzusetzen“, teilte die veranstaltende Silvester in
       Berlin GmbH schon vor drei Wochen mit. Dennoch muss natürlich alles vor der
       Kulisse des ollen Langhans-Baus stattfinden – die Leute erwarten das doch
       –, weshalb der östliche Abschnitt der Straße des 17. Juni zwischen
       Yitzhak-Rabin-Straße und Ebertstraße für eine geschlagene Woche gesperrt
       bleibt. Erst am 2. Januar ist wieder alles abgeräumt.
       
       Beim Umzug ins ZDF (20.15 Uhr) ist irgendwie auch der glamouröse Name des
       Events verrutscht, im TV-Programm wird es nun als „Willkommen 2022“
       annonciert. So bieder wird das Ganze dann auch, Lightshow,
       „Bühnenfeuerwerk“, das Bundespolizeiorchester Berlin und ein absolutes
       Promi-Line-up inklusive. Stars wie Marianne Rosenberg, Dieter Hallervorden
       und Art Garfunkel Junior „sorgen für Gänsehautmomente“, und „bei exklusiven
       Liveschalten“ in die Wohnzimmer von „Celebrities“ (O-Ton Silvester in
       Berlin GmbH) wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bleibt am Ende
       kein Auge trocken. Glücklich, wer da Besseres zu tun hat!
       
       ## Das Politische
       
       Wer sich politisch betätigen möchte, um nachzuholen, was das ganze Jahr
       über auf der Strecke geblieben ist, hat am letzten Tag des Jahres noch
       vielfältige Möglichkeiten.
       
       Zum Frustabbau bietet es sich etwa an, Coronaschwurbler anzupöbeln, denen
       selbst an Silvester nicht langweilig wird vom ganzen Demonstrieren. Wer
       aber nicht darauf warten will, dass der verschwörungsideologische Autokorso
       auf seiner Tour quer durch die Stadt durch die eigene Straße kommt, muss
       dafür spontan sein. Denn Oberschwurbler Anselm Lenz, einer der
       Hauptorganisatoren der als „Großdemo“ beworbenen illegalen Versammlung,
       will erst ab 12 Uhr über den Auftaktort des zwei Stunden später startenden
       Protests informieren. Massen wird das Spektakel trotz des Mottos „Wir sind
       viele“ wohl aber eher nicht heranlocken; zu schlecht lief die letzte
       derartige Versammlung Anfang Dezember. Und zu groß dürften die
       Einschränkungen und die Polizeipräsenz in Berlin angesichts von 50
       Versammlungsverbotszonen an diesem Tag sein.
       
       Womöglich, um nicht mit der Knallerverbotszone rings um die
       Justizvollzugsanstalt Moabit in Konflikt zu geraten, zieht die
       traditionelle anarchistische „Silvester zum Knast“-Demo dieses Jahr
       beginnend an der Frankfurter Allee zum Frauengefängnis nach Lichtenberg.
       „Für die Herrschenden ist Knast ein wichtiges Instrument, Widerstand zu
       bestrafen, zu diffamieren und zu delegitimieren“, heißt es im Aufruf. Wer
       stattdessen lieber mal ein Gefängnis von innen sehen und dann im nächsten
       Jahr Demobesuch kriegen möchte, kann sich auch um 22 Uhr Ecke Kottbusser
       Damm/Sanderstraße zu den angekündigten Silvesterkrawallen einfinden.
       
       ## Das Tänzchen
       
       Dass man dann nach dem Dinner oder den sonstigen Dingen, die man
       traditionell gern an diesem Abend macht, noch schnell in einem Club
       vorbeischaut, bevor das neue Jahr losgeht, geht halt nicht. Wieder einmal.
       Zynischerweise könnte man fast schon von einer neuen Tradition sprechen,
       die sich mit der Pandemie herausgebildet hat: Silvester kommt, die Clubs
       haben zu. Im gerade noch angeschärften und recht umfänglichen Regelkatalog
       für Berlin heißt es unter dem Stichwort „Veranstaltungen, Versammlungen und
       Kulturleben“ apodiktisch knapp: [1][„Tanzveranstaltungen sind grundsätzlich
       verboten.“]
       
       Grundsätzlich. Nichts geht mehr mit Tanzen. Drinnen sowieso nicht und jetzt
       auch draußen.
       
       Noch einmal bestätigt wurde das Tanzverbot diese Woche in Eilentscheidungen
       des Verwaltungsgerichts Berlin. Um eben die Infektionsgefahr zu verringern.
       Weil: „Tanzlustbarkeiten begründeten aufgrund verschiedener Faktoren eine
       besonders hohe Ansteckungsgefahr durch Aerosolübertragung.“
       
       Prinzipiell müssten die Clubs übrigens gar nicht geschlossen haben, „nur“
       das Tanzen ist ja nicht erlaubt. Ohne Tanzen aber lohnt es sich halt nicht,
       nicht vom Gefühl her und nicht im wirtschaftlichen Sinn. Läden, in denen
       nicht ausschließlich getanzt wird, könnten aufmachen, wie etwa Clärchens
       Ballhaus. Das traditionsreiche Tanzlokal mit Restaurant in Mitte hat sich
       aber doch für Betriebsferien noch bis Mitte Januar entschieden. Auch die
       immer sehr gesellige Ankerklause am Landwehrkanal hat über Silvester noch
       die Schotten dicht und startet erst am Neujahrstag wieder mit dem Betrieb.
       
       Man wird also schon ein wenig suchen und erst mal schauen müssen, ob das
       Restaurant seines Vertrauens überhaupt auf hat, um dort sein
       Silversterdinner einzunehmen. Mit der Reservierung in irgendeinem
       Restaurant aber könnte es schon noch klappen. Oder halt gleich irgendeine
       Kneipe – wenn man denn eine findet. Auf der Suche mag man in der eher
       milden Silvesternacht dann halt tänzelnd unterwegs sein. Sollte es regnen,
       hält man sich einfach an den Klassiker „Singin’ in the Rain“, wie Gene
       Kelly in dem gleichnamigen Film.
       
       Und Kelly und Tanzverbot, das geht doch gar nicht.
       
       ## Und doch der Böller
       
       Nix wie raus aus der Stadt. Und rein ins böllerfreie Paradies? Silvester
       bei Lagerfeuer und mit Wunderkerzen und Sekt im Garten? Ganz so einfach ist
       es leider nicht. Denn: Wenn in Brandenburgs Dörfern zum Jahreswechsel nicht
       geböllert wird, könnten schon mal die Alarmglocken schrillen: Wo sind die
       Kinder im chinakracherfähigen Alter? Wohnen da nur noch Rentner? Oder haben
       die Ökos das Dorf übernommen?
       
       Die Fragen sind berechtigt. Stille Dörfer heißen die Ortschaften, in denen
       es an den Wochenenden mehr Bewohner gibt als Einheimische. Ein bisschen
       ist es so wie mit den Wohnungen in den Städten, in denen ständig die
       Jalousien unten sind. Böller zu Silvester können in Brandenburg also auch
       ein Lebenszeichen sein. Und in Polen kann man auch legal welche kaufen.
       
       30 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.berlin.de/corona/massnahmen/veranstaltungen-und-kultur/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claudius Prößer
   DIR Thomas Mauch
   DIR Uwe Rada
   DIR Erik Peter
       
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