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       # taz.de -- Kongress des Chaos Computer Clubs: Der CCC im Hier und Jetzt
       
       > Der rC3 tut der Zivilgesellschaft gut, auch weil er online stattfindet.
       > Zentral diskutiert wird die Frage der Freiheit.
       
   IMG Bild: (K)ein Hacksenwerk: Auf dem CCC gibt es auch Workshops für Anfänger:innen
       
       Der rC3 tut der Zivilgesellschaft gut – auch weil er nur online stattfindet
       und nicht wie bis zur Pandemie vor allem in riesigen Hallen, aus denen
       jedoch ebenfalls gestreamt wurde. Das verändert das Bild, das
       Nicht-Hacker*innen vom Kongress haben. Viele wussten bisher nicht vom
       Streaming-Angebot des Kongresses, dachten beim jährlichen Kongress des
       Chaos Computer Clubs (CCC) bisher an eine „Nerd-Veranstaltung“, auf der
       sich nur Hacker*innen treffen. Die Tickets waren begrenzt und die Angst,
       unter 17.000 Hacker*innen als einzige Person keine Ahnung von
       IT-Sicherheit zu haben, kann abschrecken. Auch im zweiten Online-Only-Jahr
       beweist der Kongress, dass er einladend sein kann.
       
       Seit 1984 organisieren Ehrenamtliche den Chaos Communication Congress jedes
       Jahr. Früher traf sich die Szene Ende Dezember in Hamburg, Berlin und
       Leipzig, jetzt findet das Ganze wegen Corona zum zweiten Mal als Remote
       Chaos Experience (rC3) komplett im Internet statt. Der CCC, der sich in
       seiner Vereinssatzung als „galaktische Gemeinschaft von Lebewesen,
       unabhängig von Alter, Geschlecht und Abstammung sowie gesellschaftlicher
       Stellung“ bezeichnet, ist mit seinem Streaming-Angbot auch für Menschen,
       die einfach mal kurz reinschauen wollen. Ein vierzigminütiges Gespräch über
       Chinas Sozialkreditsystem? Kann man sich zwischen den Jahren ja mal ganz
       entspannt auf der Couch lungernd ansehen.
       
       Dabei kommt die rC3 zum richtigen Zeitpunkt: Nach zwei Jahren Pandemie,
       Zuhausesitzen, steigt der Drang, wieder aktiv zu werden – auch politisch.
       
       Unter dem Titel „Now/Here“ (Jetzt/Hier), nicht „Nowhere“ (Nirgendwo), setzt
       der Kongress ein Zeichen: Das Digitale muss und kann mitgedacht werden bei
       all den großen Themen der Zeit – und zwar global. Die rC3 blickt nach
       China, in die USA, nach Italien und in die Schweiz, zeigt Probleme und
       Erfolge der digitalen Zivilgesellschaften auf, die sich in vielen Ländern
       parallel entwickeln. Die Kernthemen des CCC, Überwachung, Datensicherheit
       und Informationsfreiheit spiegelt der Kongress dabei in Themenbereichen,
       die viele Menschen bewegen, insbesondere im Gesundheitssektor.
       
       ## Wohin mit dem Tatendrang?
       
       Während rechtsideologische, verschwörungsgläubige, teilweise gewaltbereite
       Coronaleugner*innen seit Monaten auf die Straße gehen, bleiben viele
       andere aus Vernunft zu Hause. Sie können ihren Protest gegen diese Gruppe,
       aber auch gegen einige politische Entwicklungen nicht in der analogen
       Öffentlichkeit ausleben. Hinzu kommen schockierende Datenlecks, sei es bei
       Schul-Software oder bei Coronatestzentren. Wohin aber mit all der Wut und
       dem Tatendrang?
       
       Die rC3 präsentiert da ein paar Vorschläge, auch für Menschen, die (noch)
       nicht hacken. IT-Wissen wird ohne Expertenton vermittelt, in Talks wird
       erklärt, wie man Politiker*innen besonders gute Fragen stellt und
       welche Möglichkeiten es dafür eigentlich gibt. In anderen Veranstaltungen
       diskutieren „Panelistas“, [1][wie man Sicherheitslücken am besten meldet],
       ohne dabei selbst juristisch angegriffen werden zu können, wie es 2021
       leider einigen IT-Sicherheitsexpert*innen geschehen ist. Immer wieder
       betonen die Expert*innen: Ohne Menschen aus anderen Gebieten hätten sie
       diese Projekte nie umsetzen können.
       
       Die rC3 liefert Themen, die momentan viele bewegen. Die CCC-Klassiker
       Überwachung und Sicherheitslücken finden 2021 vor allem im
       Gesundheitsbereich statt, aber auch im neuen Koalitionsvertrag, der Stück
       für Stück seziert und bewertet wird. Es geht um Umweltschutz und darum, was
       während Corona mit unser aller Daten und der Gesellschaft so angestellt
       wird, es geht um Utopien – und um Wut.
       
       Die zeigt IT-Sicherheitsexpertin Lilith Wittmann bereits im
       Eröffnungsbeitrag des Kongresses. Sie teilt ordentlich aus: Gegen den
       Hackerparagraf, der es ermöglicht, Menschen anzuzeigen, die durch
       mutmaßliches Hacking Sicherheitslücken entdecken und darauf aufmerksam
       machen. Responsible Disclosure heißt dieses Verfahren. [2][Wittmann wurde
       2021 deswegen von der CDU angezeigt,] nachdem sie deren Wahlkampf-App
       untersucht und ein großes Datenleck gefunden hat. Inzwischen wurde das
       Verfahren eingestellt.
       
       Doch die Enttäuschung bleibt. Auch darüber, wie der Staat mit Daten umgeht,
       für die Bürger*innen mit ihren Steuern gezahlt haben, etwa zu
       Wetterlagen aber auch Verkehrsaufkommen. Über offene Schnittstellen sind
       diese Daten frei abrufbar; und eigentlich ist der Staat verpflichtet, diese
       Schnittstellen zu protokollieren und nutzbar zu machen.
       
       Wittmann und andere haben dafür 2021 eine Seite ins Leben gerufen, auf der
       sie selbst die von ihnen entdeckten Schnittstellen protokollieren. So
       können die Daten etwa für eigene Wetter-Apps genutzt werden oder in die
       OpenStreetMap eingepflegt werden. Wittmann nennt das „Daten aus staatlichen
       Systemen befreien“. Doch nicht alle Behörden unterstützen das, manche
       verändern die Schnittstellen nachträglich, erschweren so die Arbeit der
       digitalen Zivilgesellschaft.
       
       Manchen Lichtblick sehen sie und Co-Moderator HonkHase im
       Koalitionsvertrag: etwa die Abkehr von Hackbacks, also der Möglichkeit,
       Hacker zurückzuhacken und damit die Zuwendung zu ziviler, defensiver
       Cybersicherheit. „Es sind Lernfortschritte der Regierung erkennbar.“
       
       Entwicklerin Bianca Kastl berichtet über die 15 Monate, in denen sie
       versucht hat, den öffentlichen Gesundheitsdienst während Corona zu
       digitalisieren. Von Tests an und Lücken bei der Luca-App, über Plattformen
       für Impfnachweise und Spuren von Kontaktnachverfolgung.
       IT-Sicherheitsexpert*innen nehmen die Umgebung von technischen Hilfsmitteln
       wie Herzschrittmachern auseinander und untersuchen, wie diese gehackt
       werden können.
       
       ## Hilfe bei der CoronawarnApp
       
       Auch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf die Hackingszene
       selbst werden betrachtet. So diskutiert Podcaster Ajuvo die Frage, wie
       stark der CCC weiterhin die Freiheit, auch die Freiheit der Unvernunft,
       verteidigen muss – selbst wenn ein großer Teil des CCC sich stark gegen
       Corona engagiert, sogar die Bundesregierung beraten hat bei der Entwicklung
       der CoronawarnApp.
       
       Er habe die Ahnung, dass „die Geschichte mit Impfverweigerung, Registern,
       Überwachung, Kontaktbeschränkung“ ein weiteres Argument für die
       Sicherheitspolitik werden könne, das dem „Kinderporno-Argument“ ähnelt.
       
       „Es wird ganz schön schwierig und auch eklig werden, die Freiheit vor
       Überwachung verteidigen zu müssen am Beispiel von Menschen, deren Meinung
       und deren Meinungsbegriff man so überhaupt nicht teilen kann.“
       
       30 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Sicherheitsluecke-in-Deutschland/!5819208
   DIR [2] /IT-Experte-wird-angezeigt/!5808171
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Drosdowski
       
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       Die Dokumentation „Alles ist eins. Außer der 0“ erzählt die Geschichte des
       Chaos Computer Clubs. Er liefert starkes Bild- und Tonmaterial.