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       # taz.de -- Infrastruktur, Sicherheit und Bildung: Digital wird besser
       
       > Der Digitalisierungsstau ist groß, die Ampel will das ändern. Ziel muss
       > sein, dass Regierung, Netzgemeinde und Tech-Giganten an einem Strang
       > ziehen.
       
   IMG Bild: Deutschland ist seit vielen Jahren im digitalen Rückstand
       
       Das Internet war einst Neuland für Altkanzlerin Angela Merkel. In den
       Behörden stehen immer noch Faxgeräte. Online Termine beim Bürgeramt buchen?
       Nur was für nervenstarke Einwohner:innen. In Brandenburg sitzt man bis
       heute weitgehend im Funkloch. Das Land ist seit Jahren im digitalen
       Rückstand. Die Pandemie hat schmerzlich gezeigt, wie groß die Lücken beim
       Ausbau von Infrastruktur sind, wie wenig die Digitalisierung des
       öffentlichen Lebens auf der politischen Agenda behandelt wird. Dabei sind
       digitale Technologien längst Standard im Alltag der Bürger:innen.
       
       Mit der neuen Bundesregierung tut sich ein Lichtblick auf. Das sagt selbst
       die allseits kritische Hackercommunity, die sich in dieser Woche – remote,
       also nur im digitalen Raum – zum Chaos Communication Congress traf. Es
       scheint der Ampel ein echtes Anliegen zu sein, die Digitalisierung nicht
       weiter im Schneckentempo anzugehen, sondern den berühmten Turbo einzulegen.
       Digitalisierung sei Querschnittsaufgabe, mitgedacht bei allen
       Gesetzesvorhaben, Bestandteil der Ampel-DNA, heißt es. Also Problem
       erkannt?
       
       ## Eine gemeinsame Sprache
       
       Es sieht so schlecht nicht aus. Etwa bei der Förderung von
       Open-Source-Projekten, in der öffentlichen Verwaltung. Zehn Millionen Euro
       sind dafür vorgesehen. Daten des Staates aus allen Verwaltungsebenen sollen
       zusammenfließen und in einheitlichen Formaten abgebildet werden. Die
       Akteur:innen müssen sich nur noch auf einen gemeinsamen Standard, eine
       gemeinsame Sprache einigen. Mit ein bisschen gutem Willen lässt sich das
       bewerkstelligen.
       
       Dann kommt es auf das Wie an. Wer arbeitet mit? Wohin fließt die Förderung?
       Kommen die Daten tatsächlich dem Gemeinwohl zugute? Wie transparent ist der
       Prozess? An Arbeitsgruppen wird es in den kommenden Jahren sicher nicht
       mangeln.
       
       Und vermutlich auch nicht an Geld. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur
       insbesondere im ländlichen Raum wird einiges kosten. Priorität habe das
       Thema, bekräftigt der neue Digital- und Verkehrsminister Volker Wissing
       (FDP). Die Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag, Tabea Rößner
       (Grüne) will Druck machen. Jetzt müssen nur noch Vergabeverfahren
       entbürokratisiert werden, damit das Geld dort landet, wo es hin soll.
       Nämlich in den letzten Winkeln der Republik.
       
       ## Das Netz als Lernort
       
       Auch die digitale Bildung ist der Ampel einiges wert. Sogar ein eigenes
       Institut nach dem Vorbild der Bundeszentrale für politische Bildung wird
       genannt. Es geht um Kompetenzen im Umgang mit sozialen Medien, um
       Datenschutz, um Meinungsbildung im Netz. Aber auch darum, dass Schule nicht
       im miefigen Klassenzimmer festsitzt, sondern in digitale Plattformen
       freigelassen wird. Das Netz als Lernort. So soll Internet schließlich sein.
       
       Aber Digitalisierung ist nicht nur Infrastruktur, Verwaltung, das
       Bereitstellen von Plattformen. Freiwillige haben in den vergangenen Monaten
       auf Sicherheitslücken hingewiesen und gefixt, Datenlecks entdeckt und
       veröffentlicht, Hassrede und digitale Gewalt im Netz angeprangert und
       juristisch verfolgt – kurz den digitalen Rückstand auf allen Ebenen
       sichtbar gemacht. Die Ampel ist gut beraten, ihre Expertise in sämtliche
       Vorhaben einzubinden.
       
       ## Das Cyberhilfwerk
       
       Ein konkretes Beispiel für ein Lieblingsprojekt der neuen Bundesregierung,
       die Digitalisierung der Verwaltung: Die AG Kritis, ein Zusammenschluss von
       knapp 40 IT-Sicherheitsexpert:innen, hat die Idee eines Cyberhilfwerks
       aufgelegt, einer Art THW für die digitale kritische Infrastruktur.
       [1][Kommt es zum digitalen Katastrophenfall in Verwaltung, Behörden,
       Krankenhäusern oder Einrichtungen, die Strom- und Abwasserversorgung
       organisieren], kommen die Helfer:innen zum Einsatz. Die
       Zivilgesellschaft wehrt Cyberangriffe ab oder schließt Sicherheitslücken
       gemeinsam mit den Zuständigen aus den Unternehmen und Verwaltungseinheiten.
       
       Was nach weit entfernter Zukunft klingt, will Sachsen-Anhalt umsetzen,
       zumindest prüft das dortige Digitalministerium derzeit einen solchen
       Vorschlag. Das Land agiert aus Erfahrung: Im Landkreis Anhalt-Bitterfeld
       musste im Sommer der digitale Katastrophenfall ausgerufen werden.
       Angreifer:innen hatten dort Rechner verschlüsselt und die Verwaltung
       lahmgelegt. Die Bundeswehr musste damals zu Hilfe eilen. Gelingt das
       Cyberhilfswerk in Sachsen-Anhalt, könnten andere Bundesländer nachziehen.
       
       Im weltweiten Netz bewegen sich nicht nur die Guten, die Freundlichen,
       sondern auch die Hasserfüllten und Gierigen, die arglose Nutzer:innen
       auch schon mal um viel Geld in der physischen Welt erpressen. Wer digitale
       Technologien nutzt, hinterlässt Datenspuren. Einige wenige Tech-Giganten
       strecken die Fühler aus, saugen die Daten ihrer Nutzer:innen auf.
       Verkaufen ihnen dann schöne Produkte, nebenbei werden noch politische
       Haltungen angeboten. Vermeintliche Vorbilder, gesellschaftliche Dos and
       Don'ts, Werbung, Falschnachrichten, gezielte Desinformation spülen sich
       durch alle Online-Kanäle, mogeln sich zwischen verifizierte News.
       
       ## Zeit für eine Offensive
       
       Weil das alles nicht schön ist, wird es Zeit für eine Offensive, die mehr
       ist als von der Ampel geplant. Die Utopie könnte ungefähr so aussehen:
       Überall im Land schwärmen Bagger aus, um Schneisen für Leitungen zu
       buddeln. Jedes Amt wird mit neuer Hardware ausgestattet. Es gibt eine
       Software, die Bund, Land, Kommunen problemlos vernetzt, wenn sie
       Informationen zu Klima, Verkehr, dem Infektionsgeschehen teilen. Ohne viel
       Aufwand, mit einer Schulung, damit alle wissen, wie es geht.
       
       Der Datenaustausch ist nicht verpönt, sondern im Sinne der
       Verbraucher:innen anonymisiert und orientiert sich an einem schöneren
       digitalen Leben. Die Tech-Giganten machen auch mit. Immerhin ist das auch
       ihr Anliegen. Es gelten klare Regeln mit Strafen und Bußgeldern – aber die
       sind gar nicht nötig. Ist doch klar, warum die Nutzer:innen gut
       behandelt werden müssen und nicht manipuliert und ausgenutzt.
       
       Weil Netzaktivist:innen und IT-Sicherheitsexpert:innen seit Jahren
       wissen, wie das Netz sicher und doch offen sein kann, bleiben sie nicht in
       der Nische, sondern stehen an vorderster Front, wenn Sicherheitslücken
       entstehen, um gemeinsam Seite an Seite mit den Menschen in den Behörden
       Cyberangriffe abzuwehren. Wer in den sozialen Medien angemosert wird,
       bekommt von der Netzgemeinde mindestens ein Herz geschickt. Der Hass läuft
       ins Leere, verschwindet im Meer der Solidarität.
       
       Es wäre ein Riesenschritt in die Zukunft und gleichzeitig die Rückkehr zur
       Grundidee des Internets, der Netzgemeinde, der Entwickler:innen, die die
       digitale Welt bauen. Der Traum einer schönen digitalen Welt ist kein
       Hirngespinst. Er ist nur sehr zerbrechlich.
       
       1 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Omikron-Variante-gefaehrdet-Versorgung/!5821243
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tanja Tricarico
       
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