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       # taz.de -- Kindermusik-Projekt „Unter meinem Bett“: Und jetzt alle
       
       > Einige Stars der aktuellen Kindermusik kommen aus Hamburg. Dazu gehört
       > das Projekt „Unter meinem Bett“, bei dem es neben der Musik um Puppen
       > geht.
       
   IMG Bild: Für Kinder und Erwachsene gemacht: „Unter meinem Bett“-Konzert in der Hamburger Fabrik
       
       Es ist Egal-wie-viel-Uhr, aber es muss jetzt schnell gehen. Kinder, Koffer,
       Kuscheltiere sind im Auto verstaut, es geht zu Oma und Opa, in die Berge,
       ans Meer. Die Kids über Stunden bei Laune halten, das ist immer wieder eine
       Herausforderung. Bücher vorlesen klappt vom Beifahrersitz aus nicht so gut,
       und irgendwann wird auch die Stimme heiser. Früher schmiss man die übliche
       Musik an und stellte die eigenen Ohren schnell auf Durchzug.
       
       Heute ist das nicht mehr nötig. Denn [1][Kindermusik] ist plötzlich cool.
       Mehr als das: Sie hat in den letzten fünf Jahren eine Revolution in der
       Musikindustrie ausgelöst. Die Band [2][Deine Freunde füllt 1.000er-Hallen],
       chartete im November 2020 auf Platz fünf und lässt dabei Schwergewichte wie
       AnnenMayKantereit, Andre Rieu, Elton John – vor allem aber einen gewissen
       Rolf Zuckowski – weit hinter sich. Es ist ein Zeichen einer sich schon
       länger anbahnenden Wachablösung. Denn die Band Deine Freunde macht
       Kindermusik, die auch Erwachsenen gefällt, und sie sind nicht die Einzigen.
       
       Hinter dem „Gorilla Club“ stecken Teile der Kölner Indie-Folk-Popper Locas
       In Love, an „Rotz ’n’ Roll-Radio“ beteiligten sich unter anderem Oliver
       Kalkofe, Anna Thalbach und Bürger Lars Dietrich, das rappende Nashorn Dikka
       hat sich wiederum ein Berliner Rapper einfallen lassen. Nein, nicht Sido,
       aber der ist genauso wie Mark Forster als Feature-Gast auf dem Album der
       Dickhäuter-Figur zu hören, auf dem die Songs Titel wie „Pommes mit Majo“
       oder „Superpapa“ tragen.
       
       Doch der Erfolg dieser neuen Musik liegt keineswegs nur an der erwachsenen
       Musiker:innen-Prominenz, die hinter den Pseudonymen steht oder in anderer
       Form an den unterschiedlichen Projekten beteiligt ist. „Puppen sind nicht
       nur für Kinder, dieser Reiz, sich das Infantile zu bewahren, besteht auch
       für Erwachsene.“ Jules Wenzel zieht den Vorhang zurück und gibt den Blick
       frei auf Kisten voller Stoffpuppen, die in einem Regal ihres Ateliers im
       Hamburger Oberhafenquartier lagern. Es sind die Figuren der Serie
       [3][„Unter meinem Bett“], die als Pionier dieser neuen Kindermusik gilt und
       in mittlerweile sechs Ausgaben mit Gisbert zu Knyphausen, Olli Schulz, Jan
       Plewka, Dota oder Cäthe die Crème de la Crème der deutschen
       Singer/Songwriter-Szene versammelt.
       
       ## Puppen als Cover-Motive
       
       Wenzel, Illustratorin und Tätowiererin, ist von Beginn an dabei. Sie
       zeichnete nicht etwa nur Cover-Motive für die Alben, die zuerst ganz
       klassisch als CD, aber eben auch auf Vinylplatte erschienen sind: „Das ist
       dann dieser Spiel- und Sammeltrieb, den sich die Erwachsenen dann
       bewahren“, sagt Wenzel. Sie schuf mit genähten Illustrationen, wie sie es
       nennt, eine eigene, detailverliebte Welt. „Wenn ich eine Illustration
       mache, ist die oft ein bisschen düster, ein bisschen morbide, hat ein
       bisschen was Melancholisches, das ist dann weniger was für Kinder.“ Die
       Stoffpuppen sind bunt, fröhlich, verspielt, aber man kriegt auch die Eltern
       damit. „Es ist das gleiche Prinzip, das die Musik auf den Alben auch
       verfolgt.“
       
       So schuf sie den Cowboy Leroy, der so gar nichts mit dem Marlboro-Mann
       gemein hat, die Fledermaus Flattermann, die mit ihrer sternförmigen
       Sonnenbrille, Umhang und Keyboard an P-Funk-Ikone Bootsy Collins erinnert,
       den „Wolf mit dem Hut“ (benannt nach einem Beitrag Bela B.s) oder den
       „Supermänsch“, über den Popsängerin Mine und Edgar Wasser singen: „Ich bin
       kein Superheld, ich bin ein Supermänsch und meine Superkraft ist, dass ich
       sein kann, wie ich bin.“ Zeilen, die generationsübergreifend funktionieren.
       
       So umfänglich wie keine anderer dieser Kinderlieder-Reihen führt „Unter
       meinem Bett“ die Welten der Erwachsenen und der Kinder zusammen, eine
       strikte Trennung in Klang, Form, Bild und Inhalt wie früher gibt es hier
       nicht. Das geht so weit, dass Maxim in „Issaa“ über einen Flüchtlingsjungen
       singen oder Die Orsons-Rapper Maeckes „Es macht ’nen Ruck nach rechts und
       die Welt wird krumm. Also halte dich fest, sonst fällst du um“ in seinem
       Anti-Nazi-Song dichten kann. Und bei allem bleiben Eigenarten und
       Alleinstellungsmerkmale der großen und kleinen Hörer:innen erhalten.
       
       Ausgedacht haben sich die Reihe der Hamburger Musiker und Autor Wolfgang
       Müller und Markus Langer, damals bei der Oetinger Verlagsgruppe
       verantwortlich für Kindermusik und Hörspiele, heute bei einem Unternehmen
       tätig, dessen Produkt ebenfalls einen wesentlichen Anteil an dem Erfolg der
       Kindermusik hat und selbst einen Hype auslöste: Der Tonie-Firma mit den
       kleinen, meist mit Musik oder Hörspielen bespielten Kunststofffiguren, die
       sich über die gleichnamige, kubusförmige Box abspielen lassen.
       
       Eltern bekannt als „Tonies“, wurden seit Einführung 2015 alleine 25
       Millionen Exemplare abgesetzt. Ende November erfolgte der Börsengang, die
       Aktie legte zeitweise um 30 Prozent zu. Pettersson & Findus, das Sams, die
       Olchis, Preußlers „Die Kleine Hexe“, Janosch – es gibt kaum
       Kindheitserinnerungen der letzten Jahrzehnte, die nicht für die
       Tonie-Plattform lizenziert sind.
       
       Sein Team und er hätten sich bei Oetinger irgendwann die Frage gestellt,
       wie man auf Kindermusik gucke, erzählt Langer. Der Vater von drei Töchtern
       kennt die eingangs beschriebene Situation gut und hat „einen zugegeben
       erfolglosen Singer-/Songwriter-Background“. Das ist sein Antrieb. Für ihn
       lag es auf der Hand, „die Leute, die ich selber höre, mal anzusprechen und
       zu fragen, ob sie Interesse hätten, eine Kinderlieder-Platte zu machen.“
       
       Bei seinen Recherchen stößt Langer auf das Projekt „Es war einmal und wenn
       sie nicht“, für das 17 deutsche Musiker:innen von Olli Schulz über Tom
       Liwa bis hin zu Gisbert zu Knyphausen Originalversionen von Grimm’schen
       Märchen lesen, musikalisch begleitet von Fink-Gitarrist Dinesh Ketelsen.
       Der Initiator: Wolfgang Müller. Covergestaltung und Illustration: Jules
       Wenzel.
       
       Als Wenzel mit ins Boot geholt wird, haben Müller und Langer die Idee für
       „Unter meinem Bett“ entwickelt, die Puppen kommen von ihr. Wenzel hat
       Illustration an der Muthesius Kunsthochschule Kiel studiert und dort „viele
       Wege aufgezeigt bekommen, was Illustration alles sein kann“. Auch mit Stoff
       habe sie dort zum ersten Mal gearbeitet, vorher noch nie Nadel und Faden in
       der Hand gehabt. „Ich kann genauso viel nähen, wie ich es brauche“, sagt
       Wenzel. „Wenn ich der Meinung bin, die Puppe muss einen Regenmantel
       anhaben, muss ich mir halt einen Regenmantel angucken und schauen, wie die
       Schnittmuster aussehen. Das ist für mich nicht selbsterklärend.“
       
       ## Seebär mit Klampfe
       
       Ihre mit Watte gefüllten Puppen haben ein Skelett, sind beweglich und vor
       allem auch aufwendig in Szene gesetzt durch den Fotografen Henning Heide.
       Jede Figur ist einem Stück der vorherigen Ausgabe entnommen und von Wenzel
       nach ihren Vorstellungen gestaltet. Außer die erste natürlich. „Da haben
       wir uns gefragt, was macht so einen klassischen Hamburger Songwriter aus?
       Und haben dann so einen Seebär mit Klampfe und Friesennerz gemacht. Wir
       wollten eine Hamburgische Identifikationsfigur schaffen“, sagt Wenzel.
       
       Markus Langer spricht von der Skepsis, die ihnen am Anfang von allen Seiten
       entgegengebracht wurde, der Kindermusik wegen, der komischen Indie-Musiker.
       Das Projekt werde kein Erfolg werden, hätten sie allerorten gehört. „Es
       hätte auch nach hinten losgehen, wir hätten scheitern können. Aber wir
       wollten es machen, wenigstens um es versucht zu haben“, sagt Langer.
       
       Und sie machten es allen Widrigkeiten zum Trotz. Die Compilation erschien
       schließlich bei Oetinger, dem (Kinder-)Buchverlag – selbst ein
       Indie-Vertrieb ließ sich nicht finden. „Am Anfang waren wir noch unsicher,
       ob und wie man das live umsetzen kann“, sagt Langer. Das Release-Konzert
       zur ersten Platte fand in der Fabrik in Hamburg statt: Gisbert zu
       Knyphausen ist dabei gewesen, Bernd Begemann, Jan Plewka – sie alle haben
       ihren Kindersong gespielt und dann einen aus ihrem normalen Repertoire. Und
       es funktionierte auf Anhieb.
       
       ## Mit der Tochter auf der Bühne
       
       „‚Unter meinem Bett‘ sind Leute, die normalerweise Erwachsenenmusik machen
       und sich dann auf die Möglichkeit stürzen, einmal kurz ihren ganzen
       Erwachsenenscheiß loszulassen und noch mal diesen Ort aufzusuchen, der sie
       verbindet mit dem Kind, das sie selbst waren und den Kindern, die sie
       vielleicht haben“, so begründet Bernd Begemann den Erfolg. Und das ist der
       entscheidende Unterschied zu der Kindermusik, die man selbst von früher
       kannte, in denen die Erwachsenen sich so gaben, wie sie glaubten, dass die
       Hörer:innen im Kindesalter sind. Heute ist das anders.
       
       Begemann selbst moderiert nicht nur von Anfang an fast jedes Konzert der
       Reihe, bei dem eine feste Band Songs der anwesenden Gastsänger:innen
       und andere Beiträge live spielt, sondern ist auch mit zwei Stücken
       vertreten – zusammen mit seiner Tochter Belinda. „Für mich war es eine
       tolle Gelegenheit, meiner Tochter beim Älterwerden zuzuschauen, dadurch
       dass wir zusammen Abenteuer erlebten. Mit der eigenen Tochter auf Tour zu
       sein, das ist ein Abenteuer, mit der eigenen Tochter zu performen, das ist
       die größte Freude.“
       
       Darum geht es letztendlich: Abenteuer erleben, Momente, die einen
       zusammenschweißen. Mit der Kindermusik von heute ist das möglich. Auf
       Platte und live.
       
       2 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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   DIR [2] /HipHop-fuer-Kinder/!5486145
   DIR [3] https://www.oetinger.de/unter-meinem-bett
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kevin Goonewardena
       
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