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       # taz.de -- Terroranschlag am Breitscheidplatz: Erinnern an 13 Getötete
       
       > Am Sonntag jährt sich der islamistische Anschlag auf einen
       > Weihnachtsmarkt in Berlin zum fünften Mal. Und die Kritik an den Behörden
       > verstummt nicht.
       
   IMG Bild: Erinnern am Breitscheidplatz: Das Denkmal für die Opfer ist ein symbolischer Riss
       
       Berlin dpa | Der 13. Name wird auf einer zusätzlichen kleinen Tafel stehen.
       Die anderen zwölf Namen der ermordeten Menschen sind bereits auf den Stufen
       an der Gedächtniskirche nahe dem Berliner Ku'damm zu lesen. Zusammen mit
       einem goldenen Riss im Boden bilden die beschrifteten Stufen das Mahnmal
       [1][für den Terroranschlag eines Islamisten am 19. Dezember 2016] auf den
       Weihnachtsmarkt an der Kirche.
       
       Elf Menschen starben in den Trümmern, als der Attentäter Anis Amri mit dem
       entführten Lastwagen quer durch die Buden fuhr. Den Lkw-Fahrer hatte er
       vorher getötet. Am 5. Oktober dieses Jahr [2][starb ein 49-jähriger Mann an
       Spätfolgen einer Verletzung], die er erlitten hatte, als er direkt nach dem
       Anschlag zu Hilfe eilte. Dabei wurde er mutmaßlich von einem Balken am Kopf
       getroffen. Seither musste er rund um die Uhr betreut werden. Er wird als
       13. Todesopfer des Anschlags eingestuft.
       
       Zum fünften Jahrestag des Anschlags werden am Sonntagabend Bundespräsident
       Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) und Berlins
       Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erwartet. Bei einer Andacht
       in der Gedächtniskirche wollen Steinmeier und Müller kurze Reden halten;
       die Predigt kommt vom evangelischen Bischof Christian Stäblein. Zugegen
       sind auch der katholische Erzbischof Heiner Koch, ein Rabbiner und ein
       Imam.
       
       Am Mahnmal ist ein stilles Gedenken mit Blumen, Kränzen und Kerzen auf den
       Stufen geplant. Die Namen der 13 Toten werden vorgelesen; um 20.02 Uhr, der
       Uhrzeit des Anschlags, schlägt die Kirchenglocke 13 Mal.
       
       Auch damals verletzte Menschen sowie Angehörige der Getöteten werden an dem
       Gedenken teilnehmen. Einige der mehr als 200 [3][Betroffenen kritisieren
       die Behörden], weil sie sich nicht ausreichend betreut und unterstützt
       fühlen. Und weil ihrer Meinung nach die Hintergründe des Terroranschlags
       nicht vollständig aufgeklärt wurden.
       
       „Ich kann das verstehen“, sagt Berlins Opferbeauftragter Roland Weber.
       Betroffene und Hinterbliebene hätten eine „unglückliche Kommunikation von
       Stunde null an“ erlebt. Die rund 200 Anträge an das Versorgungsamt nach dem
       Opferentschädigungsgesetz seien jedoch überwiegend positiv entschieden
       worden. Gegen die Entscheidungen gab es laut Weber vier Klagen bei
       Sozialgerichten und zwei Widersprüche.
       
       Ein Großteil des vom Bund bereitgestellten Geldes für Opfer von
       Terroranschlägen wurde demnach an die Betroffenen und Hinterbliebenen des
       Berliner Anschlags gezahlt, rund 3,7 Millionen Euro. Insgesamt seien aus
       mehreren Töpfen bislang knapp 5,6 Millionen Euro geflossen, so der
       Opferbeauftragte des Bundes, Edgar Franke.
       
       In Briefen an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundestagspräsidentin Bas
       forderten jüngst einige Opfer und Hinterbliebene eine weitere Aufklärung
       der Hintergründe der Tat. Im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses
       seien viele Fragen offen geblieben, „und die Opfer und Ersthelfer wurden
       nicht gehört“, heißt es darin.
       
       Tatsächlich hatten mehrere Untersuchungsausschüsse parallel Hunderte Zeugen
       befragt und festgestellt, dass dem Anschlag zahlreiche Fehler im
       Bundeskriminalamt (BKA), im Berliner Landeskriminalamt (LKA), im
       Verfassungsschutz, in Staatsanwaltschaften und anderen Behörden
       vorausgegangen waren.
       
       Es gebe „keinen einzelnen Schuldigen“ und „keine Einzelfehler“, die direkt
       zum Anschlag geführt hätten, hieß es in Berlin. „Es ist die Summe dieser
       Fehler und Versäumnisse, die den Anschlag möglich gemacht haben.“ Zwar sei
       der abgelehnte Asylbewerber Anis Amri aus Tunesien als gewalttätiger und
       möglicherweise gefährlicher Islamist bekannt gewesen. Trotzdem wurde er
       nicht weiter observiert und abgehört, geschweige denn aus dem Verkehr
       gezogen.
       
       ## Lehren aus dem Anschlag beim Berliner LKA
       
       Nach dem Anschlag erhielt die Berliner Kriminalpolizei zusätzliches
       Personal. Im Berliner LKA gibt es eine neue Abteilung für Islamismus und
       islamistischen Terrorismus, außerdem neue Fahrzeuge, Waffen und
       Schutzkleidung.
       
       Um besser einzuschätzen, wie hoch das Gewaltrisiko ist, das von einem
       bestimmten islamistischen Gefährder ausgeht, nutzen die Polizeibehörden von
       Bund und Ländern seit Juli 2017 ein neues Analyseinstrument. Radar-iTE soll
       der Polizei helfen, im Alltag die richtigen Prioritäten zu setzen. Damit
       von den aktuell rund 550 islamistischen Gefährdern vor allem diejenigen
       nicht aus dem Fokus geraten, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sie
       einen Anschlag begehen, besonders hoch ist.
       
       Dass dies nicht immer gelingt, zeigt das Beispiel des jungen Syrers, der in
       Dresden im Oktober 2020 ein homosexuelles Paar angegriffen und einen der
       beiden Männer mit dem Messer getötet hat. Er suchte und fand nach
       Erkenntnissen der Behörden erst in Deutschland Anschluss an die
       islamistische Szene. Seit 2017 hatten ihn die Behörden als Gefährder auf
       dem Schirm. 2018 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Dresden zu einer
       Jugendstrafe, weil er für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) geworben
       hatte. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis war der mutmaßliche Täter
       zwar observiert worden, aber nicht rund um die Uhr. Abschiebungen nach
       Syrien sind seit Jahren nicht möglich.
       
       „Ich gehe davon aus, dass das Netz, was die Überwachung von Gefährdern
       angeht, jetzt engmaschiger ist als 2016“, sagt Alexander Throm (CDU). Der
       innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion gehörte in der zurückliegenden
       Wahlperiode dem Untersuchungsausschuss Breitscheidplatz des Bundestages an.
       Er plädiert dafür, das Instrument der Sicherungsverwahrung bei gefährlichen
       Islamisten zu nutzen. Auch mit Blick auf Abschiebehindernisse wie im Fall
       des Syrers aus Dresden. Für die nachträgliche Anordnung der
       Sicherungsverwahrung – also in Fällen, wo sich jemand erst in der Haft der
       dschihadistischen Ideologie zuwendet – wäre eine Gesetzesänderung
       notwendig.
       
       17 Dec 2021
       
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