URI: 
       # taz.de -- Umstrittenes Mediengesetz in Polen: Proteste in Warschau geplant
       
       > Polens Parlament billigt ein Gesetz, das die Arbeit eines
       > regierungskritischen Senders einschränkt. Unklar ist, wie sich der
       > Präsident verhält.
       
   IMG Bild: Ein Fahrzeug des Senders TVN24 steht vor dem Gebäude des Rundfunkrats in Warschau
       
       Warschau taz | Polens Staatspräsident Andrzej Duda steht vor einer
       schwierigen Entscheidung: Soll er das Mediengesetz unterschreiben, mit dem
       die regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit
       (PiS) [1][den unabhängigen Fernsehsender TVN mundtot machen wollen?] Oder
       soll er sich für das Menschenrecht auf Informationsfreiheit einsetzen und
       sein Veto gegen das PiS-Mediengesetz einlegen? Für Sonntagabend wurden
       Demonstrationen vor dem Präsidentenpalast in Warschau und zahlreichen
       Städten Polens erwartet. Für die Meinungsfreiheit sind in Polen immer
       wieder zehntausende Menschen auf die Straße gegangen.
       
       Das neue Gesetz, das überraschend am Freitag mit der Mehrheit der
       PiS-Stimmen verabschiedet wurde, soll sogenannte Feindpropaganda in Polen
       verhindern, beispielsweise von russischen oder chinesischen Sendern. Doch
       der einzige Sender, auf den das neue Gesetz über Medien mit einem
       Mutterhaus „außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums“ zutrifft, ist der
       regierungskritische Fernsehsender TVN-Discovery mit Sitz in den USA.
       
       Schon im Juli, als die PiS das Gesetz zum ersten Mal in den Sejm, das
       polnische Abgeordnetenhaus, einbrachte, gab es scharfe Kritik: Nicht nur in
       Polen, sondern etwa auch in den USA warnten Politiker bis hinauf zum
       Präsidenten vor Konsequenzen für die polnisch-amerikanischen Beziehungen.
       
       Zusätzlich hatte sich die PiS für eine Sondersteuer ausgesprochen, die auf
       Einnahmen aus dem Verkauf von Reklame in Radio, Fernsehen und Zeitungen
       erhoben werden sollte. Die Höhe der Abgaben sollte noch dazu individuell
       für jedes Medium vom Staat, also der regierenden PiS, festgelegt werden.
       
       ## Das Vorhaben war unbeliebt
       
       Der „gute Wandel“, wie die Partei seit geraumer Zeit ihre Politik nennt,
       hätte also die freien Medien an den Rand des Ruins getrieben, während sich
       die PiS-loyalen über Reklameaufträge von Staatsunternehmen und prall
       gefüllte Kassen hätten freuen können. „Steuern statt Zensur“ – schon das
       Regime von Viktor Orbán in Ungarn hatte sich damit der freien Medien
       entledigt.
       
       Doch anders als in Ungarn taten sich in Polen fast alle noch unabhängigen
       Medien zusammen und publizierten eine schwarze Titelseite und die
       Schlagzeile „Medien ohne Wahl“. In Radio und Fernsehen lief in
       Endlosschleife die mit dramatischer Stimme vorgelesene Information über die
       geplante Abschaffung der freien Medien. Nur der Staatsfunk brachte ein
       normales Programm. Viele waren empört, dass der Staat ihnen ihre
       Lieblingszeitung wegnehmen wollte.
       
       In den Umfragen brach die Zustimmung zur PiS ein, und die Partei machte
       einen Rückzieher von ihrem Reklamesteuer-Gesetzesprojekt. Im September
       verwarf dann auch noch die zweite Kammer des polnischen Parlament, der
       Senat, das TVN-Mediengesetz in Gänze. Dann geschah einige Monate nichts
       mehr. Der ebenfalls von der PiS kontrollierte Landesrundfunkrat verlängerte
       sogar die Sendelizenz des Nachrichtensenders TVN24 um weitere zehn Jahre,
       und das Problem schien vom Tisch zu sein. TVN-Discovery verkündete neue
       Investitionen in Polen und plante sogar, erprobte Formate des
       amerikanischen Nachrichtensenders CNN-Discovery in Polen zu testen.
       
       ## Warum das Gesetz wieder auf den Tisch kam
       
       Die PiS und der staatliche Mineralölkonzern Orlen bauten derweil den von
       der deutschen Verlagsgruppe Passau erworbenen Polska-Press-Verlag zu einem
       linientreuen Haus um. Die Chefredakteure der 20 Regionalzeitungen wurden
       ausgetauscht, auch viele Journalist:innen mussten gehen oder kündigten
       von sich aus. 150 lokale Wochenzeitungen und knapp 500 Internetportale
       mussten sich an die neue Verlagslinie anpassen.
       
       Zum Teil gingen diese Veränderungen in das für dieses Jahr noch gültige
       Ranking der Pressefreiheit ein, das Reporter ohne Grenzen einmal im Jahr
       für rund 160 Staaten weltweit veröffentlicht. Seit dem Sieg der PiS in den
       Parlamentswahlen 2015 rutschte Polen von Platz 18 auf heute Platz 64 ab.
       Sollte Präsident Duda das TVN-Mediengesetz unterschreiben, wird Polen auf
       dem Ranking der Pressefreiheit weiter nach unten rutschen.
       
       Dass das TVN-Gesetz ausgerechnet jetzt wieder auf die Tagesordnung des
       Sejms kam, hat zwei Gründe: Zum einen waren wegen der geplanten Abstimmung
       über des Budget für 2022 genügend Abgeordnete im Sejm, um das Votum des
       Senats überstimmen zu können, zum anderen stehen in gut einem Jahr
       Parlamentswahlen an, die die PiS wieder gewinnen will. Bis dahin spätestens
       will die PiS den Sender, auf Parteilinie bringen, der beinahe täglich Fälle
       von Korruption und Vetternwirtschaft in der PiS aufdeckt, Missbrauch der
       Geheimdienste oder Verschwendung von Steuergeldern.
       
       Der einst für seinen Qualitätsjournalismus geschätzte Öffentlich-Rechtliche
       Rundfunk TVP hat diese Verwandlung bereits hinter sich. Seit sechs Jahren
       verbreitet er in erster Linie Parteipropaganda.
       
       19 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Mediengesetz-in-Polen/!5788506
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Lesser
       
       ## TAGS
       
   DIR Pressefreiheit in Europa
   DIR Protest
   DIR Polen
   DIR PiS
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Polen
   DIR Polen
   DIR Polen
   DIR Digitalisierung
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Zeitungskrise
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Verlässliche Informationen: Das schwer umkämpfte Gut
       
       Die Pressefreiheit ist fast überall durch illiberale Tendenzen bedroht.
       Doch gibt es inmitten der größten Krise auch einen Hoffnungsschimmer.
       
   DIR Veto gegen polnisches Mediengesetz: Duda wieder im Spiel
       
       Polens Präsident verhindert das umstrittene Mediengesetz – und emanzipiert
       sich so vom PiS-Patriarchen. Duda dürfte jetzt eine größere Rolle spielen.
       
   DIR Medienfreiheit in Polen: Präsident legt Veto ein
       
       Andrzej Duda blockiert ein umstrittenes Gesetz. Der regierungskritische
       Privatsender TVN sowie Unterstützer:innen der Pressefreiheit jubeln.
       
   DIR Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet: EU geht erneut gegen Warschau vor
       
       Es geht um umstrittene Urteile des polnischen Verfassungsgerichts zum
       Status von EU-Recht. Deshalb geht Brüssel nun rechtlich gegen das Land vor.
       
   DIR Digitalausschuss-Chefin über Telegram: „Wir werden Druck machen“
       
       Grünen-Politikerin Tabea Rößner über den Umgang mit Hetze auf Telegram und
       die Pläne der Ampelkoalition im Bereich Digitalisierung.
       
   DIR Sender reagiert auf taz-Recherche: SWR zieht Lisa Fitz zurück
       
       Die kritisierte „Spätschicht“-Sendung wird vom SWR depubliziert. Aussagen
       der Kabarettistin zu Toten durch Coronaimpfungen seien falsch.
       
   DIR Medien in Österreich: Das böse Geld
       
       Die Zeitschrift „Tagebuch“ in Österreich finanziert sich vor allem aus
       Verkäufen, um unabhängig zu sein. Nach zwei Jahren wird aber das Geld
       knapp.