# taz.de -- Ambientalbum von Hannu Karjalainen: Vom Kauern im Baum
> „Luxe“, das sanft verschrobene Ambientalbum des finnischen Künstlers
> Hannu Karjalainen, kommt multimedial: Zu allen Songs gibt es Videos.
IMG Bild: Cool as Ice: Hannu Karjalainen
Mit dem Siegeszug des Musikfernsehens Anfang der 1990er Jahre sind Songs
und Melodien auch Teil des kollektiven Bildgedächtnisses geworden.
Unmöglich ist es quasi – um nur ein Beispiel zu nennen –, an Michael
Jacksons [1][„Earth Song“] zu denken, ohne dabei den Sänger mit
ausgebreiteten Armen im brennenden Wald vor dem inneren Auge zu haben.
Die goldenen Zeiten von [2][Musikfernsehen] sind zwar längst vorbei,
soziale Medien haben ihre Rolle übernommen und Zugänge vereinfacht. Dennoch
sind Musikvideos weiterhin beliebt. Um sie zu produzieren, genügt heute ein
Smartphone, solange man keine elaborierten technischen Finessen erwartet.
Der finnische Künstler Hannu Karjalainen macht auch alles selbst, der
43-Jährige geht mit seinem neuen Album „Luxe“ aber in eine andere Richtung.
Zu jedem Track produzierte er jeweils auch ein Video, als gleichwertigen
Bestandteil: [3][sieben Stücke anspruchsvolle Videokunst,] verbunden durch
die Musik. „Luxe“ möchte der Finne als audiovisuelles Album verstanden
wissen, das man mit Augen und Ohren gleichermaßen konsumiert.
## Wanderer zwischen den Sparten
Geboren 1978 im finnischen Haapavesi, ist Karjalainen eben nicht nur als
Musiker, Komponist oder Soundkünstler tätig, er arbeitet auch mit Film,
Fotografie und Performance. 2009 wurde er als [4][Finnlands] „Artist of the
Year“ ausgezeichnet, ein Wanderer zwischen den Sparten.
Diese Flexibilität erwartet er auch von denen, die zuhören und -schauen,
vor allem auch eine andere, aktivere Hinwendung zum Ambient, wie man die
Musik nennen kann, die er macht, und die ja oft im Hintergrund spielt oder
sogar herumrauscht, wie eine – so wird Karjalainen im Pressetext des Albums
zitiert – „Schlaftablette, die den Status quo aufrechterhält“.
Karjalainen vermittelt durchaus eine Haltung zu jenem trüben Zustand der
Welt, samt den sich anbahnenden und fortschreitenden Katastrophen. „Luxe“
ist kein aktivistisches Album, das wäre übertrieben, aber es ist Musik, die
Irritationen erzeugt mit [5][Störgeräuschen] und mit rätselhaften Bildern.
Im Fokus von Karjalainens Interesse steht dabei der Mensch und seine
Beziehung zur Natur.
## Wasser tropft von Höhlendecke
Das zeigt sich schon beim Auftakt „Hidden Star“, in dem der Künstler
kosmische Klänge ums Trommelfell, wie Wassertropfen von einer Höhlendecke,
plätschern lässt. Sie winden sich mitunter fast schon ins Sakrale, hallen
dann wieder dröhnender, bedrohlicher nach. Auf der Bildebene löst sich
unterdessen ein im Raum schwebender Rollkoffer auf – unmissverständliches
Sinnbild eines klimaunfreundlichen Lebensstils – knautscht sich immer mehr
zusammen zum grauen Ball, der schließlich einem Auge gleicht, das sich mehr
und mehr schließt.
Manche der Videos des Albums gleichen Auszügen aus fiktiven Filmen, zu
deren Verständnis aber die entscheidenden Hinweise fehlen, andere bleiben
abstrakter, surreal bis kryptisch sind sie alle. Einfach macht Karjalainen
es einem nicht. „Rutistus“ ist der Track, der sich akustisch am stärksten
absondert.
## Modem imitiert Flipper
Ein wenig klingt sein Sound, als würde ein altes Modem einen
Flipperautomaten imitieren. Mit schrillen Spitzen und ratternden Rhythmen
fräst er sich in den Kopf, in den eigenen wie auch in den des merkwürdigen
Langhaarigen, der sich im zugehörigen Video mit gelber Tarnweste ins
Inneren eines Baumes gekauert hat. Menschen in Schutzbekleidung begegnen
einem öfters im Verlauf des Albums. Meist gehen sie nicht näher bestimmten
Arbeiten nach, draußen in der vom Menschen veränderten Natur.
Gletscher schmelzen vor sich hin, Landschaften verlieren ihre Umrisse. Und
immer wieder steigt Rauch auf. Die Welt brennt – wie damals bei Michael
Jackson, nur führt Karjalainen das weniger plakativ vor Augen, aber mit
ebenso vielen Fragezeichen. Verwirren, das kann er, mit rauschenden Klängen
und morphenden Bildern. Und am Ende ist da aber doch so etwas wie Hoffnung.
„X7“, das Finale auf „Luxe“, endet im Videoclip mit einem Schutzhelm, der
auseinanderbricht und aus dem ein Baum sprießt. Zugegeben, ein ziemlich
dürres Pflänzchen, aber immerhin.
22 Dec 2021
## LINKS
DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=XAi3VTSdTxU
DIR [2] /MTV/!t5330829
DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=0UzLdvMcM5g
DIR [4] /Finnischer-Musiker-Vladislav-Delay/!5777224
DIR [5] /Buch-ueber-Krautrock/!5784094
## AUTOREN
DIR Beate Scheder
## TAGS
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