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       # taz.de -- Die Wahrheit: Irisch oder Elfisch
       
       > Ein guter Vorsatz zum neuen Jahr könnte lauten, eine alte Sprache zu
       > lernen. Nur welche? Auf der Grünen Insel wird dafür gern ein Ausschuss
       > gegründet.
       
       Gi suilon! Das ist Elfisch und bedeutet: „Ich grüße Sie!“ Eigentlich hatte
       ich mir für das neue Jahr vorgenommen, mein Irisch zu verbessern. Doch dann
       las ich, dass Elfisch von mehr Menschen gesprochen wird als Irisch. Es gibt
       zehn verschiedene Elfisch-Dialekte, der populärste ist Sindarin, das in
       Mittelerde benutzt wird. Sollte ich also lieber Tolkiens Fantasiesprache
       lernen? Sie beruht zum Teil auf Latein, und immerhin habe ich das große
       Latinum.
       
       Irisch hingegen ist eine keltische Sprache, sie hat nichts mit dem
       Englischen zu tun und war den englischen Besatzern schon immer ein Dorn im
       Auge, weil sie nicht verstanden, was die aufsässigen Untertanen ausheckten.
       Heinrich VIII. und seine Nachfolger wollten ihnen deshalb die englische
       Sprache aufzwingen.
       
       Nach der großen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts, die eher ein Genozid
       war, da die englische Regierung trotz der Kartoffelpest weiterhin
       sämtliches Getreide und Fleisch aus Irland exportierte, war es verboten, in
       der Schule irisch zu sprechen. Die Kinder mussten einen Holzstock um den
       Hals tragen, in den für jedes irische Wort, das sie sagten, eine Kerbe
       eingeritzt wurde. War am Ende der Woche eine bestimmte Anzahl Kerben
       überschritten, wurden die Eltern des Kindes mit Lohnabzügen bestraft.
       
       Seit der Unabhängigkeit wird Irisch staatlich gefördert, um die Sprache am
       Leben zu erhalten. Vor gut zwei Wochen hat das Dubliner Parlament ein
       Gesetz verabschiedet, das vorschreibt, verstärkt Irisch-Sprecher in den
       öffentlichen Dienst einzustellen. Bis 2030 sollen zwanzig Prozent aller
       neuen Beamten irische Muttersprachler sein. Selbstverständlich muss dafür
       zunächst ein Ausschuss gebildet werden, der einen Plan aufstellt.
       Schließlich gilt es, Jobs für Parteigenossen zu schaffen.
       
       Unternehmen, in denen jemand irisch sprechen kann oder ein Kloschild auf
       Irisch hängt, bekommen eine Plakette, die sie sich an die Eingangstür
       nageln können. Oder vors Knie, denn die Aktion bringt lediglich dem
       Plakettenhersteller etwas – vermutlich ist es der Bruder eines Ministers.
       
       In Nordirland hat sich die Unterdrückung der irischen Sprache aber
       erhalten, wenn sie auch mit subtileren Methoden als mit Holzstöcken
       durchgesetzt wird. Im Jahr 2016 wurde versprochen, die irische Sprache mit
       der englischen per Gesetz gleichzustellen. Das haben die unionistischen
       Parteien im Belfaster Regionalparlament seitdem verhindert. Deshalb platzte
       dem britischen Nordirlandminister Brandon Lewis im Juni des vergangenen
       Jahres ein bisschen der Kragen: Falls das Gesetz bis Oktober nicht auf den
       Weg gebracht sei, moserte er, werde es das Unterhaus in London im Oktober
       tun.
       
       Das hat es aber nicht. Wahrscheinlich war Lewis zu sehr damit beschäftigt,
       für seinen Chef Boris Johnson und dessen Klüngel eine heimliche
       Lockdown-Weihnachtsfeier zu organisieren. Im Elfischen gibt es einen
       Begriff für das britische Unterhaus: Banalhan – der Ort, dem Verderbnis
       entspringt.
       
       3 Jan 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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