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       # taz.de -- Engagement fürs Klima: Vier machen Mut
       
       > Überall setzen sich Menschen für die Rettung des Klimas ein.
       > Klimakämpfer:innen aus Mexiko, den USA, Kenia und der Schweiz im
       > Porträt.
       
   IMG Bild: Sie kann nicht verstehen, warum nicht alle Essen im Garten wachsen lassen: Florence Nishida
       
       ## Waldschützer hinter Gittern
       
       Pablo López Alavés hat alles in seinem Heft festgehalten: die Verhaftung,
       die Widersprüche im Gerichtsprozess und die Berichte über die Lage in
       seinem Heimatdorf San Isidro Aloapam. So kann er Besuchern genau erklären,
       was alles schief läuft im Verfahren gegen ihn. Denn der Mexikaner lässt
       keine Zweifel daran, dass er unschuldig hinter Gittern sitzt. Seit elf
       Jahren. Sein Vergehen: Er hat sich gegen Holzfäller gewehrt, die den Wald
       rund um seine Gemeinde in den Bergen des südmexikanischen Bundesstaats
       Oaxaca zerstören.
       
       Die Vorwürfe gegen den Mitfünziger lesen sich allerdings anders. Ein
       Gericht hat ihn zu einer Haftstrafe von 30 Jahren verurteilt, weil er einen
       Mann aus der Nachbargemeinde San Miguel Aloapam ermordet haben soll. Dabei
       war der Indigene von Volk der Zapoteken zum Zeitpunkt des Verbrechens in
       einem anderen Dorf als Zimmermann beschäftigt. Das kann er beweisen.
       Allerdings werden bis heute seine Einsprüche nicht ernst genommen.
       
       Seit vielen Jahren befinden sich die Bewohnerinnen und Bewohner von San
       Isidro und San Miguel im Streit. Während die einen durch den Holzverkauf
       schnelles Geld verdienen wollen, setzen die anderen auf einen schonenden
       Umgang mit ihrem Wald, den sie als Lebensraum, nicht als auszubeutende
       Ressource verstehen. Doch im Gegensatz zu López und seinen Mitstreitern
       verfügen die Holzfäller über beste Kontakte zur Regierung. Und wie in
       vielen Regionen Mexikos arbeiten wohl auch in seiner Heimat korrupte
       Politiker, Beamte und Juristen sowie lokale Unternehmer eng zusammen, wenn
       es darum geht, ihre Interessen durchzusetzen.
       
       Dank des unermüdlichen Einsatzes seiner Frau Yolanda Perez haben sich
       zahlreiche Gremien mit López beschäftigt. Die [1][UN-Arbeitsgruppe gegen
       willkürliche Verhaftungen] ist davon überzeugt, dass der Zapoteke
       freigelassen werden muss. Für Jim Loughram von der
       Menschenrechtsorganisation [2][Front Line Defenders] verkörpert der Fall
       die Fehler des mexikanischen Justizsystems: „Es ist zu einer Waffe
       geworden, um Menschenrechtsverteidiger anzugreifen, die die Interessen der
       Reichen und Mächtigen bedrohen.“ Und damit in letzter Konsequenz auch das
       Klima, das Aktivisten wie López schützen wollen.
       
       ## Die Klima-Gärtnerin
       
       Die kleine, grauhaarige Frau in Leinenbluse und Cargo-Hosen steht mit einem
       Mann in blauem, durchgeschwitztem T-Shirt zwischen Obstbäumen, üppigen
       Salat- und Kräuterbeeten mitten in South Los Angeles. „Der Boden fürs
       Tomatenbeet muss noch fertig werden. Du weißt, wie’s geht?“, fragt die
       83-jährige Gärtnerin, schwingt eine Spitzhacke nach oben, lässt sie auf den
       harten Boden fallen und schaut zufrieden auf die gelockerte Erde. „Jetzt
       bist du dran!“
       
       Diese Parzelle war einmal ein von Autos plattgefahrenes Grundstück, auf dem
       nicht einmal Unkraut wuchs. Florence Nishida und ein Dutzend Freiwilliger
       ihrer Organisation [3][“LA Green Grounds“] haben es in einen fruchtbaren
       Garten verwandelt. In dem Viertel von Los Angeles, wo vor allem arme
       Menschen leben, gibt es in Supermärkten und Restaurants kaum frische,
       gesunde Zutaten zu kaufen.
       
       Nishida ist überzeugt: „Wenn Menschen selbst Essbares anbauen, verstehen
       sie, wie sehr ihr Leben von dem der Erde abhängig ist. Wenn sie das erste
       Mal eine Tomate ernten und leckeres Essen daraus machen, wenn sie sehen,
       welche Pflanzen sie bei Dürre öfter gießen müssen und welche mit wenig
       Wasser wachsen, verstehen sie die Zusammenhänge.“ Dann seien sie auch
       bereit, Umwelt und Klima zu schützen.
       
       Es ist ihr unerklärlich, warum sich vor kalifornischen Einfamilienhäusern
       ein liebevoll gepflegter Rasen an den anderen reiht. „Sie verwenden so viel
       Zeit und Energie damit, dieses Gras zu wässern. Dann mähen sie es, und was
       tun sie dann mit ihrer schönen Ernte? Sie werfen das Gras in die grüne
       Tonne und fangen wieder von vorne an.“ Sie lacht und fährt fort, den Boden
       aufzulockern.
       
       Florence Nishidas positive Lebenseinstellung ist erstaunlich, wenn man
       bedenkt, was sie als Kind erlebt hat. Nach dem Angriff Japans auf Pearl
       Harbor wurde die damals Vierjährige interniert, in Arizona. „Da war nichts
       als rote Erde. Aber: Egal wo du japanische Menschen hin verfrachtest, sie
       werden Gärten schaffen.“
       
       Im Lager sah Florence zum ersten Mal, wie Salat, Bohnen und Tomaten aus
       scheinbar unfruchtbarem Boden wuchsen. Wie das geht, bringt sie nun anderen
       bei. “Mein Traum ist es, dass niemand hier mehr einen grünen Rasen hat und
       alle verstehen, welch ein Segen unser Planet Erde ist.“
       
       ## Der Radgeber
       
       [4][Lincoln Wamae] sitzt vor seiner Werkstatt in der kenianischen
       Hauptstadt Nairobi, auf den Knien einen Teller mit Reis und Bohnen. Der
       32-Jährige hat es sich für seine Mittagspause auf einem elektrischen
       Rollstuhl gemütlich gemacht, der neben E-Scootern und elektrischen
       Motorrädern vor seiner Werkstatt geparkt ist. Wamae hat sie selbst
       entworfen und gebaut. „Ich wünschte, dass es nur noch elektrische Fahrzeuge
       gäbe“, sagt er seufzend, während sein Blick von den Bohnen und dem Reis auf
       seinem Teller immer wieder zur vierspurigen Schnellstraße wandert, die ein
       paar Meter von ihm entfernt verläuft. Die Folgen der Klimakrise beunruhigen
       ihn, sie sind in Kenia schon deutlich zu spüren: extreme Wetterereignisse
       wie Dürren und Überschwemmungen sind häufiger geworden, Regen- und
       Trockenzeiten folgen keinem klaren Muster mehr.
       
       Hinzu kommt, dass Verbrennungsmotoren aus Wamaes Sicht laut und lästig
       sind. Die vielen LKW, die dicht vor seiner Nase vorbeidröhnen, stoßen
       schwarze Rußwolken aus. Nicht viel besser riechen die vielen
       Motorrad-Taxen, deren Fahrer sich durch jede kleine Lücke drängen, die sich
       im dichten Verkehr auftut. Wamae will mehr Menschen dazu bringen, auf
       Benzin- und Dieselmotoren zu verzichten und auf elektrische Fahrzeuge
       umzusteigen. „Ich kann jedem, der es wissen will, versichern, dass
       E-Mobilität funktioniert.“
       
       Seine neueren Elektromodelle schaffen mit einer Batterieladung um die 100
       Kilometer. Weil es in Kenia praktisch keine Ladestationen gibt, ist der
       Radius faktisch allerdings nur halb so groß. Die Energie dafür stammt aus
       gebrauchten und recycelten Laptop-Batterien. Überhaupt bestehen Wamaes
       Fahrzeuge zu 80 Prozent aus Schrott, nur einen geringen Teil der
       Komponenten muss er neu kaufen.
       
       Der Erfinder hat kaum formale Bildung, aber für (fast) alles eine Lösung.
       Wie so viele Kenianerinnen und Kenianer konnte er die höhere Schule aus
       finanziellen Gründen nicht abschließen. Ingenieur ist er trotzdem geworden,
       hat nachgedacht, ausprobiert und anderes im Internet nachgelesen. Dass er
       seine Kreativität vor allem nutzt, um E-Fahrzeuge zu bauen, erklärt er
       schlicht so: „Ich hasse Benzinmotoren und liebe es, ökologisch zu leben.“
       
       ## Der Gletscherkühler
       
       Bei minus 17 Grad und Schneesturm scheint es so, als ob der Morteratsch ein
       Gletscher für die Ewigkeit ist. Doch Felix Keller, der im Oberengadin
       geboren ist, weiß, dass das ein Trugschluss ist. “Im Sommer ist es so warm,
       dass am Tag bis zu eine Million Tonnen Gletschereis schmilzt.„ Um das große
       Schmelzen aufzuhalten, [5][will der Glaziologe den Gletscher mit einer zehn
       bis zwölf Meter dicken Schneedecke schützen]. “Zum einen isoliert Schnee,
       zum anderen taut die Wärme, die in den Schnee eindringt, allenfalls den
       Schnee, so dass das Gletschereis darunter hundertprozentig geschützt ist –
       und der dritte Grund ist die Albedo, also die Reflexion kurzwelliger
       Sonnenstrahlen.“
       
       Die Albedo ist einer der Gründe, warum schmelzendes Schelfeis und eben auch
       schmelzende Gletscher das Weltklima so hart treffen. Frisch gefallener
       Schnee wirft neunzig Prozent des einfallenden Sonnenlichts zurück ins All,
       nur zehn Prozent der Wärme bleiben in der Atmosphäre. Schmilzt dagegen der
       Schnee, dann bleibt auch am Morteratsch Gestein zurück, das wegen seiner
       dunklen Farbe Hitze speichert.
       
       Natürlich hat Keller nicht vor, den 16 Quadratkilometer großen
       Morteratschgletscher zu beschneien, der auch noch so dick ist, dass ein
       zwanzigstöckiges Hochhaus oder der Eiffelturm in ihm verschwinden würde.
       Zum Glück kennt Keller sich mit Gletschern aus, und zum Glück spielt er
       Tangomusik – mit einem der berühmtesten Gletscherexperten überhaupt: dem
       Geophysiker Johannes Oerlemans, der Keller von Anfang an beriet.
       
       Deshalb weiß er, dass die von ihm entwickelten Schneiseile „nur“ eine
       Fläche von einem Quadratkilometer überdecken müssen, so ziemlich in der
       Gletschermitte. „Um diese umgerechnet eine Million Quadratmeter mit zehn
       bis zwölf Meter Schnee zu beschneien, brauchen wir 32.000 Tonnen Schnee am
       Tag – das schaffen keine noch so starken herkömmlichen Schneekanonen.“
       
       Die würden auch viel zu viel Strom verbrauchen. Keller verlässt sich
       dagegen allein auf die Wassersäule eines 600 Meter höher liegenden Sees.
       Fossile Energie braucht er keine. So bald wie möglich sollen die
       Schneiseile auch in den Himalaya exportiert werden. Mit Wissenschaftlern
       aus dem indischen Ladakh will Keller die dortigen Gletscher zu retten, von
       denen ganze Dörfer abhängen.
       
       3 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.frontlinedefenders.org/en/blog/post/case-pablo-lopez-murder-trial-could-shape-future-mexican-forests
   DIR [2] https://www.frontlinedefenders.org/
   DIR [3] https://www.lagreengrounds.org/
   DIR [4] https://www.linccelltechnology.com/
   DIR [5] https://mortalive.ch/
       
       ## AUTOREN
       
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   DIR Wolf-Dieter Vogel
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