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       # taz.de -- Kein veganer Stadion-Snack bei Union: Es geht um die Wurst
       
       > Union Berlin möchte keine vegane Stadionwurst anbieten. Über ein
       > deutsches Kulturgut – und warum der Fußballklub damit goldrichtig liegt.
       
   IMG Bild: 295,7 Kilokalorien und 22,8 mg Vitamin C: Die Stadionwurst ist Kult, und gesund ist sie auch
       
       Die gemeine Stadionwurst ist zwanzig Zentimeter lang, fettig und leicht
       angekokelt. Der verständige Konsument isst sie mit Senf, verbrennt sich den
       Mund, bespritzt sein Revers und schubbert sich am rauen Brötchen den Gaumen
       auf. Wie das Standardwerk „Fußball Unser“ verrät, hat eine Stadionwurst
       295,7 Kilokalorien, wobei die Zahl hinterm Komma besonders wichtig ist. Sie
       ist auch sehr gesund, denn ein gehaltvolles Exemplar enthält 12 Milligramm
       Kalzium, 1,3 Milligramm Zink (in Coronazeiten besonders wichtig) und 22,8
       Milligramm Vitamin C.
       
       [1][Die Stadionwurst ist deutsches Kulturgut]. In Kreisen der
       Wurstkultisten gilt ein Stadionbesuch nur dann als gelungen, wenn ein
       hübsch gegrillter Brätling samt Bier verzehrt wurde. Das weiß natürlich
       auch Union-Präsident Dirk Zingler. „Fußball bedeutet bei uns: Bratwurst,
       Bier, 90 Minuten Fußball.“ Das hat er jetzt in einem Interview verraten.
       Der Dreiklang gehöre zur Identität des Klubs wie das Weihnachtssingen oder
       das Image als Anti-Stasi-Klub. Mit einer kulinarischen Einschränkung
       allerdings: das vegane Würstchen.
       
       Dieses Zeug aus Lupinenbrei oder so will der Berliner Klubchef eher nicht
       in seinem Stadion wissen: „Ich habe grundsätzlich nichts gegen vegane
       Würstchen, aber wir werden nicht jeden Wunsch erfüllen.“ Der Kulturkampf,
       dessen Frontlinie im Fußball, wie die Süddeutsche Zeitung einmal
       festgestellt hat, „zwischen Leidenschaft und Kommerz, Liebe und Geld,
       Stadionwurst und Klebebrause“ verlaufe, ist hiermit eröffnet. Die neue
       Dimension: Tierwohl und Klimaschutz versus Tradition.
       
       ## Supervegane Schalker
       
       Die Unioner sind gewiss ein besonderes Völkchen, das seine Riten pflegt,
       aber zu den Modernitätsverweigerern zählen sie nicht, denn schon 2016 wurde
       Union Berlin für sein umweltfreundliches Abfallmanagement ausgezeichnet.
       Neben Mehrwegbechern gibt es Senf und Ketchup aus Großbehältern, und die
       Wurst wird nur im Brötchen und nicht auf Papptellern angeboten.
       
       Die vegane Wurst wird in anderen Arenen sehr wohl gereicht, und die
       [2][Tierschutzorganisation Peta zeichnete Schalke] mehrfach als
       veganfreundlichstes Stadion der Liga aus. Doch so einfach ist die Sache mit
       der veganen Wurst nicht, wie das Beispiel Borussia Mönchengladbach zeigt.
       Der Verein bot bis zum Ende der Saison 2017/18 ein reichhaltiges Angebot an
       vegetarischen wie veganen Produkten im Borussia-Park an, stellte aber
       alsbald fest, dass es keine ausreichende Nachfrage bei den Zuschauern gab.
       „Die Kosten für den Anbieter waren im Vergleich zum Umsatz ein
       Minusgeschäft, vor allem aber mussten unverhältnismäßig viele Lebensmittel
       entsorgt werden“, so der Verein.
       
       Was bleibt für den Veganer? Pommes und Brezel. Oder eine mitgebrachte
       Bemme. Das ist so schlecht nicht, zumal die Frage erlaubt sein muss: Warum
       switcht ein sendungs- und ernährungsbewusster Mensch von der carnivoren
       Ernährung um zur veganen, wenn er dann doch einen Jieper auf Wurst hat,
       also das Surrogat? Warum bleibt der Veganer seltsam indifferent, wenn er
       zwar den Inhalt einer Wurst ablehnt, nicht aber seine Form? Sollte er nicht
       die Wurst in sämtlichen Emanationen, in ihrer gesamten Symbolik des
       Schlechten ablehnen? Was kommt nach der veganen Wurst, Forderungen nach
       einer Sushi-Theke, Home Brew oder Los Wochos? Und schließlich: Müssen sich
       Menschen „dogmatisch“ ernähren?
       
       Der Autor dieser Zeilen ernährt sich seit einiger Zeit vegetarisch, also
       undogmatisch vegetarisch. Wenn ich irgendwo eingeladen bin oder zu Muttern
       fahre und es gibt dort – ohne Wenn und Aber – gefüllte Kohlrouladen, dann
       esse ich die. Schon aus Höflichkeit. Dirk Zinglers „Canceln“ der veganen
       Wurst ist nicht nur ein Hilfsangebot an die vegane Gemeinde, es ein
       bisschen ernster zu nehmen, er hat auch das Kassenbuch im Blick.
       
       7 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=goZ8KXq3L2I
   DIR [2] https://www.peta.de/presse/schalke-04-bleibt-veggie-meister-peta-kuert-vegan-freundlichste-stadien-der/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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