URI: 
       # taz.de -- Ode an die Schreibmaschine: Tack, tack, tack-tack-tack, tack
       
       > Der 8. Januar ist der Internationale Tag des Maschinenschreibens. Vier
       > Erinnerungen an Prä-Laptop-Zeiten.
       
   IMG Bild: Wenn das Tippen Kraft erfordert, hat ein Wort dann mehr Gewicht?
       
       ## Das Herz hängt noch immer an Gabriele
       
       Meine erste hieß Gabriele, und sie war nicht nur altmodisch, sondern auch
       ein bisschen schwergängig. Gabriele 2000 war eine mechanische
       Reiseschreibmaschine der Firma Triumph, deren zukunftsweisende Namensgebung
       nicht darüber hinwegzutäuschen vermochte, dass sie hoffnungslos veraltet
       war. Da sie aber nun einmal im Familienbesitz war, diente sie mir zur
       Übung: Als angehender Lokalreporter hatte ich meine ersten Artikel noch mit
       Zwei-Finger-Suchsystem auf Manuskriptpapier mit vorgegebenen 35 Anschlägen
       gehämmert. Rasch aber besuchte ich über die Volkshochschule einen
       Maschinenkurs in der benachbarten Realschule – an meinem Gymnasium gab es
       so etwas nicht, man nahm wohl an, dass Abiturienten später ohnehin eine
       Sekretärin haben würden. Gendern erübrigt sich an dieser Stelle.
       
       Im Schreibmaschinenkurs waren dann auch fast nur weibliche Teilnehmerinnen,
       während die Maschinen einen Kugelkopf hatten und von IBM stammten. Mit den
       elektrisch summenden Apparaten anstatt auf der klackernden
       Typenhebel-Gabriele zu schreiben, das war wie ein Umstieg von der Dampf-
       auf die Diesellok.
       
       Und doch hängt mein Herz bis heute an Gabriele. Dank ihr habe ich noch
       immer so viel Kraft in meinem rechten kleinen Finger, dass ich damit nicht
       nur Gabrieles Umstelltaste für Großbuchstaben bedienen, sondern locker eine
       E-Lok hochheben könnte. Unvergesslich auch das satte Pling!, wenn man mit
       einem schwungvollen Griff zum Hebel und einem Rumms den Wagen in die
       nächste Zeile befördert hatte. Zu Gabrieles Zeiten hatten Worte noch
       Gewicht. Martin Reichert
       
       ## Draußen schreibt Berlin Geschichte, drinnen macht’s peng
       
       Von meiner elektrischen Schreibmaschine verabschiedete ich mich am 9.
       November 1989. Sie hatte schon so ein Display, wo man eine einzige Zeile
       eintippen und eventuelle Fehler korrigieren konnte, bevor sie aufs Blatt
       gedruckt wurde. Nie mehr Tipp-Ex. Ein Segen. Einen PC mit Bildschirm kaufte
       ich mir jedoch nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, so ein klobiges Ding
       auf meinen Schreibtisch zu stellen. Ich kaufte mir einen Laptop, eine Art
       Prototyp eines Laptops. Der sah einer schweren elektrischen Schreibmaschine
       sehr ähnlich, hatte aber einen Deckel, den Bildschirm. Jetzt konnte ich
       ganze Seiten, ganze Manuskripte im Display schreiben, korrigieren,
       umstellen, bevor ich sie druckte.
       
       Am [1][Nachmittag des 9. November] hatte ich am Gerät meine Premiere. Gegen
       23 Uhr war der Spaß aber wieder vorbei. Die Maschine gab ihren Geist auf.
       Bis heute glaube ich, es hing damit zusammen, dass die Luft in Berlin bis
       zum Explodieren aufgeladen war. Und sie explodierte ja auch.
       
       In der „Tagesschau“ wurde Günter Schabowski auf der Pressekonferenz des
       Zentralkomitees der SED gezeigt, wie er, selbst irritiert, eine Mitteilung
       vorlas, auf der die unverzügliche Reisefreiheit bekannt gegeben wurde. Ich
       dachte: Hui, lass mal das Radio an, um das zu verfolgen. Erst tat sich
       nicht viel, alles war cool, nur ein Moderator wurde immer aufgeregter, er
       konnte nicht glauben, dass die Leute nicht verstanden, was da gerade
       geschah. Es hielt ihn kaum auf seinem Stuhl im Studio, er versuchte, Infos
       von den Grenzübergängen zu bekommen. Ja, nein, nichts los, doch was los.
       
       Auch ich wurde immer nervöser. Ist das wahr? Ist es nicht wahr? Draußen die
       Geschichte – und ich hier so unbedarft. Dann sickerten Infos von einzelnen
       Leuten durch, die von Ost- nach Westberlin kamen, und es machte peng. Der
       neue Laptop war kaputt.
       
       Okay, das ist ein Zeichen, dachte ich, du musst dir das anschauen. Ich ging
       zum Übergang an der Moritzstraße und später zur Warschauer Brücke. Jemand
       spielte „Die Internationale“ auf der Trompete. Es war magisch. Waltraud
       Schwab
       
       ## Von Bürofräuleins und Tippmamsells
       
       Sie hieß Irmgard, ich liebte sie innig, deshalb hängt bis heute ein Foto
       von ihr in meinem Heimbüro. Immer wenn ich bei einem Text ins Stocken
       komme, schaue ich drauf und lächle kurz. Nein, Irmgard war keine
       Schreibmaschine, sondern meine Oma – aber auf dem Foto ist sie an so einem
       Gerät zu sehen: an einer einst tipptopp modernen Schreibmaschine des
       Fabrikats Torpedo.
       
       1938, als die Aufnahme entstand, war meine Oma 16 und hatte gerade in der
       Registratur einer Nudelfabrik angefangen. Sie war eines von Millionen
       „Bürofräuleins“, eine Vertreterin der „Angestelltenkultur“, die der
       Soziologe Siegfried Kracauer erstmals im Jahr 1930 beschrieb – als eine
       neue Gattung von Erwerbstätigen, die sich in der Weimarer Republik formiert
       hatte, zwischen Arbeiterklasse und Bürgertum.
       
       Als „Tippmamsells“, Stenotypistinnen oder Telefonistinnen stellten Frauen
       gut ein Drittel dieser neuen gesellschaftlichen Gruppe. Qua Tarifvertrag
       verdienten sie 10 bis 20 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Und
       das, obwohl gerade Frauen meist die moderneren Bürogeräte bedienten,
       darunter Lochkartenleser, die Vorläufer des Computers. Und eben: edel
       glänzende Schreibmaschinen.
       
       Die Frau, die an solchen Apparaten ihr eigenes Geld verdiente, galt als
       „neue Frau“, war das Sinnbild für weibliche Emanzipation. Eine andere
       Irmgard, die [2][Schriftstellerin Irmgard Keun], widmete ihr 1931 einen
       Roman: „Gilgi, eine von uns“. Darin heißt es: „Die Stenotypistin Gilgi
       schreibt den neunten Brief für die Firma Reuter & Weber, Strumpfwaren und
       Trikotagen en gros. (…) Ihre braunen, kleinen Hände mit den braven,
       kurznäglig getippten Zeigefingern gehören zu der Maschine, und die Maschine
       gehört zu ihnen.“ Katja Kullmann
       
       ## Zwei-Finger-Suchmethode und entschlossenes Hacken
       
       Die Süddeutsche Zeitung hatte mich 1998 zur Fecht-WM nach La Chaux-de-Fonds
       geschickt, einem verregneten Ort in der Westschweiz, bekannt für die
       Produktion edler Uhren und eine Viehauktionshalle, in der die Teams auf der
       Planche antraten. Degen, Florett, Säbel. Ich hatte keine Ahnung, aber den
       Sportteil der Süddeutschen zeichnete ja eh aus, mehr so das Drumherum zu
       beschreiben – den Käsewagen im Mannschaftshotel der deutschen Fechter etwa.
       
       Wenn ich mal was Fachliches unterbringen wollte, war der FAZ-Kollege Jörg
       Stratmann zur Stelle. Als Säbelfechter war er bei den Olympischen Spielen
       ’84 in L. A. dabei gewesen; nun erklärte er mir Hiebe, Stiche, Kniffe.
       Manchmal nahm er mich auch im FAZ-Dienstwagen mit; ich war mit der Bahn
       angereist.
       
       Ich dagegen konnte ihm nicht helfen – im Gegenteil. Und das lag daran, dass
       ich nie gelernt habe, vernünftig auf der Maschine zu schreiben. Das war
       problematisch, denn bei der WM musste es oft schnell gehen, und –
       logisch – mit zehn Fingern schreibt es sich fünfmal schneller als mit der
       Zwei-Finger-Suchmethode. Ich versuchte, diesen Nachteil durch
       entschlossenes Hacken wettzumachen, Tastaturen leiden sehr unter mir – und
       in dem aufblasbaren Pressezelt neben der Viehhalle dann auch der Kollege
       Stratmann.
       
       Der hatte – nach dem Florettfinale der Frauen, das Sabine Bau gegen
       Svetlana Boiko gewann – seinen Bericht souverän rechtzeitig zum
       Redaktionsschluss in Frankfurt fertig und bemühte sich, ihn per
       Handyverbindung zu übermitteln, da hackte ich noch wild herum. Wir saßen an
       Tapeziertischen, die so wackelig waren, dass mein Gehacke Stratmanns
       Handyübertragung immer wieder unterbrach. Der feine Kollege fluchte nicht,
       sondern probierte es immer wieder. Erst als ich sendefertig war, klappte
       es, und so flutschten unsere beiden Texte knapp vor Redaktionsschluss
       nach Frankfurt und nach München. Felix Zimmermann
       
       8 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /9-November-in-der-deutschen-Geschichte/!5544947
   DIR [2] /Familienroman-von-Alena-Schroeder/!5741568
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Reichert
   DIR Waltraud Schwab
   DIR Katja Kullmann
   DIR Felix Zimmermann
       
       ## TAGS
       
   DIR Schreibmaschine
   DIR Mauerfall
   DIR Schreiben
   DIR Bildende Kunst
   DIR Digital
   DIR Arbeitsmigration
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Retrospektive für Tomas Schmit in Berlin: „Gehen Sie nach Hause“
       
       Schreibmaschine, Buntstifte, Anweisung: Mit feinen Mitteln und Witz
       arbeitete Tomas Schmit an der Erosion des Kunstbegriffs.
       
   DIR Regisseur mit Faible fürs Analoge: „Es geht um eine Balance“
       
       Analog ist anders, nicht unbedingt besser als digital, sagt Jens Meurer.
       Mit „An Impossible Project“ hat er einen Film über analoge Helden gemacht.
       
   DIR Forschungsprojekt zu Arbeitsmigration: „Weißer Schnee und schwarzes Brot“
       
       Die Wilhelmshavener Schreibmaschinenfirma Olympia avancierte einst Dank
       griechischer Arbeitsmigranten zum Weltmarktführer. Wie war deren Leben?