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       # taz.de -- Angebliche Nachhaltigkeit von Atomkraft: Angst essen Atom auf
       
       > Fürs Klima ist Atomenergie besser als Kohle und Gas, okay. Zweifel an
       > ihrer neu entdeckten Nachhaltigkeit sind dennoch mehr als angebracht.
       
   IMG Bild: AKWs sind kein unmittelbares Klimaproblem, aber darum gleich Ökostrom..?
       
       Es war lediglich ein Artikel über einen nie umgesetzten [1][Angriffsplan]
       der Amis aus den 1950er Jahren. Er handelte von Zielen für Atombomben
       mitten in Ost-Berlin. Allein die Vorstellung von der totalen Vernichtung
       der Stadt war gespenstisch. Wäre der Kalte Krieg eskaliert, hätte es in
       Ost-Berlin gleich dreimal einen apokalyptischen Boom gegeben: In der
       Normannenstraße unweit der Stasi-Zentrale, in der Karlshorster Waldowallee
       am Hauptquartier der sowjetischen Verwaltung und in einem Industriegebiet
       nahe dem S-Bahnhof Oberspree.
       
       Atompilze über Berlin – was für ein grauenhaftes Bild. Die unmittelbare
       Zerstörung durch die Explosionen und die jahrzehnte und länger währende
       indirekte Vernichtung durch die Strahlung: Ost-Berlin wäre in weiten Teilen
       zerstört worden und meine West-Berliner Heimat den Tod eines einzigen
       Kollateralschadens gestorben. Allein der radioaktive Fallout … Mir lief ein
       eiskalter Schauer über den Rücken.
       
       Mit dem Thema Atom kann man mich jagen. Als in der Schule das erste Mal von
       Atomen die Rede war, zuckte ich zusammen, in der Annahme, die kleinen
       Teilchen wären per se gefährlich. Ich war gerade mal zehn, als im April
       1986 in Tschernobyl der Kern schmolz. Generation Super-GAU. Durch diese
       Brille blicke ich auf die aktuelle Debatte über eine mögliche Renaissance
       der Atomkraft, im Gewand der Klimaretterin.
       
       Probs an das Phrasenschwein: Angst ist kein guter Ratgeber. Aber eine aus
       unmittelbarer Erfahrung entstandene Angst ist widerstandsfähig. Wenn es
       radioaktiv wird, fühlen sich über 1.000 Kilometer Luftlinie an wie ein paar
       Straßenecken: Der Anblick der Bagger, die den Sand der Spielplätze vor
       unserer Haustür erneuerten, war beklemmend. Wenige Wochen vorher tobte ich
       genau dort noch rum.
       
       Dann der erste Regen. Unsere Erzieherinnen schickten uns früher heim. Noch
       bevor die verstrahlten Tropfen fielen, sollten wir zu Hause sein.
       
       ## Pest und Cholera
       
       Natürlich möchte ich, dass wir den menschengemachten Klimawandel eindämmen
       und den heute bereits unumkehrbaren Konsequenzen daraus nicht noch
       gravierendere folgen lassen. Aber wollen wir die selbst verschuldete
       Cholera wirklich mit der hausgemachten Pest beseitigen?
       
       Durch regen Medienkonsum und Fachliteratur versuche ich seit einiger Zeit
       schon, meinem angstgesteuerten Bauchgefühl vernünftige Argumente
       entgegenzusetzen. Erfolglos! Selbst wenn die Kosten tragbar wären und der
       zeitliche Entstehungs- und Wirkungshorizont neuer, kleinerer Reaktoren
       bezüglich der Prognosen für das Ausbremsen der Erderwärmung tatsächlich
       hilfreich (eine Brücke hat keinen Sinn, wenn sie erst hinter der Schlucht
       beginnt), bliebe immer noch das immense Problem der Strahlungssicherheit.
       
       In den 45 Jahren meines bisherigen Lebens gab es mit Tschernobyl und
       Fukushima zwei Super-GAUs. Allein der erste hatte spürbare Konsequenzen
       auch für uns in Deutschland, trotz der Entfernung. Informationen über die
       Ausmaße des Unfalls und die Intensität der Strahlung flossen beide Male nur
       spärlich, von staatlicher (Sowjetunion und Japan) wie auch von
       Betreiberseite (Japan). Bisher gibt es weltweit (!) keine ernsthafte Lösung
       für den Atommüll (Grüße ins Wendland!), und Versicherer [2][deckeln die
       Haftpflichtversicherungssummen] meilenweit unterhalb der Kosten, die ein
       GAU tatsächlich verursachen würde. Warum wohl?
       
       Und war da nicht mal was mit AKWs und Terrorzielen? Mit schmutzigen Bomben
       aus radioaktivem Material? Und überhaupt: Wenn durch die bereits wirksame
       Erderwärmung Naturkatastrophen an Häufigkeit und Heftigkeit zulegen (Grüße
       ins Ahrtal!), wie steht es da eigentlich um die Reaktorsicherheit anno
       2022? No offense, Mister Burns, aber ich bleibe dabei: Atomkraft? Nein
       danke!
       
       10 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://nsarchive2.gwu.edu/nukevault/ebb538-Cold-War-Nuclear-Target-List-Declassified-First-Ever/
   DIR [2] https://www.bee-ev.de/fileadmin/Publikationen/Studien/110511_BEE-Studie_Versicherungsforen_KKW.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bobby Rafiq
       
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