# taz.de -- Staat gegen antiqueere Gewalt: Der blinde Fleck
> Gewalt gegen LSBTI-Personen bleibt oft unsichtbar. Einzig Berlin erhebt
> genauere Zahlen. Die Innenministerkonferenz will das nun ändern.
IMG Bild: Die Innenministerkonferenz stellt sich gegen antiqueere Gewalt
Berlin taz | Es war eine Premiere auf der Innenministerkonferenz: Erstmals
seit ihrem fast 70-jährigen Bestehen befasste sich die IMK Anfang Dezember
mit dem [1][Thema queerfeindliche Gewalt]. Berlins damaliger Innensenator
Andreas Geisel hatte den Tagesordnungspunkt eingebracht. Der SPD-Mann
sprach von einem „überfälligen“ Schritt. Die Opfer dieser Gewalt und die
Tätermotivation müssten „klar benannt“ werden.
Die Innenminister:innen fällten einen gemeinsamen Beschluss: Die
teils schweren Angriffe auf LSBTI-Menschen verurteile man „aufs Schärfste“,
heißt es darin. Es sei von [2][einer hohen Dunkelziffer] auszugehen. Diese
Gewalt müsse „wirksam“ bekämpft werden. Das Bundesinnenministerium solle
dafür eine unabhängige Fachkommission einberufen.
Die LSBTI-Community reagierte erleichtert. Jahrelang hatte sie erfolglos
gefordert, dass sich die Politik des Problems offensiver annimmt. Man
begrüße den Beschluss, den man als „Auftakt für eine abgestimmte und
gemeinsame Strategie“ mit den Interessenverbänden betrachte, erklärte
Alfonso Pantisano vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbansd
(LSVD).
Tatsächlich bleibt queerfeindliche Gewalt bis heute ein blinder Fleck. Erst
Anfang 2020 führte die Polizei in ihren Statistiken das Themenfeld
„Geschlecht/sexuelle Identität“ ein, um auch transphobe Tatmotive zu
erfassen. Zuvor schon existierte „sexuelle Orientierung“ für homophobe
Angriffe.
In beiden Feldern zusammen zählte das Bundeskriminalamt 2020 bundesweit 782
Straftaten – ein Jahr zuvor waren es noch 576. Für den LSVD ist das aber
nur die Spitze des Eisbergs: 80 bis 90 Prozent der Delikte würde nicht
angezeigt oder nicht korrekt registriert. Selbst drei schwulenfeindliche
Morde 2020 in Dresden, Gießen und Altenburg seien nicht in die Statistik
aufgenommen worden.
Einzig Berlin erhebt seit Längerem genauere Zahlen. Hier gibt es zudem seit
bereits knapp 30 Jahren eine hauptamtliche Ansprechperson für LSBTI bei der
Polizei, seit 2012 auch bei der Staatsanwaltschaft. Für 2020 zählte die
Hauptstadt insgesamt 341 queerfeindliche Straftaten, knapp die Hälfte der
bundesweiten Delikte – auch, weil anderenorts die Straftaten kaum erhoben
wurden. Für 2021 wurden in Berlin vorläufig erneut 383 Delikte erfasst.
Bundesweite Zahlen liegen hier noch nicht vor.
Zuletzt beschloss nun auch Bremen, queerfeindliche Straftaten detaillierter
zu erheben. Andere Bundesländer erfassen diese teilweise. Demnach gab es
2020 in Baden-Württemberg 67 queerfeindliche Delikte, in Hamburg 30, in
Bayern 37 und in Sachsen angeblich nur 19. Dass dies wirklich alle Taten
waren, darf bezweifelt werden.
## Fortschritte in Sicht
Die neue Bundesregierung will die Erfassung LSBTI-feindlicher Kriminalität
verbessern. Sie soll künftig auch als strafverschärfend gesetzlich
festgeschrieben werden. Erstmalig wurde diese Woche mit Sven Lehmann,
Grünen-Staatssekretär im Familienministerium, auch ein Queerbeauftragter
der Bundesregierung ernannt. Er soll einen „Nationalen Aktionsplan für
Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ anschieben,
mit Aufklärungsprogrammen an Schulen und „Diversity Management“ in der
Arbeitswelt.
Dazu kommt die auch von der IMK beschlossene neue Fachkommission aus
Wissenschaftler:innen und LSBTI-Vertreter:innen, die das
Bundesinnenministerium auf den Weg bringen soll. Bis zur übernächsten IMK
im Herbst 2022 soll sie erste Empfehlungen vorlegen, wie Gewalt gegen LSBTI
besser bekämpft werden kann. Der Fokus liegt auf der Erfassung, der
Sensibilisierung der Polizei und der Opferbetreuung.
Ob für die Kommission schon Schritte unternommen wurden, konnte das
Innenministerium auf taz-Anfrage jedoch nicht mitteilen. LSVD-Vorstand
Pantisano fordert, dass die neue Innenministerin Nancy Faeser (SPD) das
Gremium innerhalb ihrer ersten 100 Amtstage einsetzt: „Im Hinblick auf die
jahrzehntelange Verharmlosung und Ignoranz von Hasskriminalität gegen
queere Menschen darf keine Zeit mehr verloren gehen.“
8 Jan 2022
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## AUTOREN
DIR Konrad Litschko
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