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       # taz.de -- Nabu-Chef über „Dinosaurier des Jahres“: „Wir brauchen freie Flächen“
       
       > Das Baugebiet Conrebbersweg in Emden erhält den Umwelt-Schmähpreis 2021.
       > Naturschützer Jörg-Andreas Krüger erklärt, was das Problem ist.
       
   IMG Bild: Der Nabu fordert: Die Flächenversiegelung muss gestoppt werden (Symbolfoto)
       
       taz: Herr Krüger, der [1][Dinosaurier des Jahres] ist ein Negativpreis für
       Umweltsünder. 2021 geht er an das Baugebiet Conrebbersweg in Emden. Warum? 
       
       Jörg-Andreas Krüger: Wir zeichnen mit dem Dino des Jahres Projekte aus, die
       aus der Zeit gefallen sind. In Conrebbersweg werden 75 Hektar Grünland für
       ein Neubaugebiet aus Einfamilienhäusern versiegelt. Die Stadt Emden
       versucht damit ein attraktives Angebot an Menschen zu machen, die
       vielleicht in Emden wohnen wollen.
       
       Was erhoffen Sie sich konkret von der diesjährigen Preisverleihung? 
       
       Wir möchten zur Diskussion in und um Emden herum anregen. Die Stadt hat
       gerade verkündet, dass sie die Vermarktung des Baugebiets starten will. Das
       heißt, dass jetzt die letzte Möglichkeit ist, nochmal innezuhalten und
       umzudrehen. Außerdem wollen wir auf den [2][bundesweit hohen
       Flächenfußabdruck von 50 Hektar Boden- und Flächenversiegelung täglich]
       hinweisen. Das entspricht einer Fläche der Größe des Saarlands bis 2050. In
       einem dicht besiedelten Land wie Deutschland müssen wir anerkennen, dass
       Fläche endlich ist und dass wir freie Fläche brauchen.
       
       Was soll Ihrer Meinung nach mit dem Gebiet geschehen? 
       
       Das Gebiet sollte als Grünlandgebiet erhalten werden. Wenn es die Kriterien
       für Naturschutz erfüllt, dann sollte es als Naturschutzgebiet dauerhaft
       gesichert werden.
       
       Warum ist Flächenversiegelung eine Umweltsauerei? 
       
       Zum einen fällt der Lebensraum für die Arten, die dort leben, weg. In Emden
       sind das [3][Vogelarten wie der Wiesenpieper, Feldschwirl und Kiebitz. Die
       sind hochbedroht und stehen auf der roten Liste.] Auch wird das im Boden
       gespeicherte CO2 freigesetzt. Auf versiegelten Flächen kann außerdem kein
       Niederschlag mehr versickern, bei Starkregen gibt es entsprechende
       Schwierigkeiten mit Hochwasser. Zusätzlich heizen sich versiegelte Flächen
       stärker auf. Ich lebe in Berlin und hatte im Sommer 2018 und 2019 den
       Eindruck, die Stadt kommt aus der muffigen Stauwärme nicht mehr raus.
       
       Trotz allem halten Kommunen sehr an Boden- und Flächenversiegelungen fest.
       Wie erklären Sie sich das? 
       
       Seit 50 Jahren gilt das Einfamilienhaus am Stadt- oder Ortsrand als das
       erstrebenswerte Ziel für eine junge Familie. Dann hat man etwas erreicht.
       Doch wir müssen in vielen Lebensbereichen unsere Wertemuster ändern. Wir
       können nicht alle auf 120 Quadratmetern pro Person leben. Das Wohnen im
       Zentrum von Ortschaften und Städten sollte wieder attraktiver werden. Dazu
       gehören neue Konzepte von klimafreundlichem und ökologischem Wohnen. Doch
       für viele Kommunen ist es eben einfacher, eine grüne Fläche zuzubauen. Da
       außerdem die Steuerzuweisung von der Einwohnerzahl abhängt, möchte man in
       schrumpfenden Kommunen den Abwanderungsprozess eindämmen. Denn mit
       geringeren Geldern kann man sich weniger Bibliotheken und Schwimmbäder
       leisten.
       
       Flächenversiegelung ist schlecht für die Natur – doch Wohnraum ist
       vielerorts knapp und oft für ärmere Menschen nicht zu bekommen. Besteht
       zwangsläufig ein sozialökologischer Konflikt? 
       
       Das glaube ich nicht. Wohnraum für schwächere Einkommen entsteht nicht
       durch Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese. Das Finanzvolumen, um mir ein
       Einfamilienhaus leisten zu können, entspricht eben nicht den schwächeren
       Einkommen. Für diese muss ein Konzept für ein sozialökologisch
       verträgliches Leben in der Stadt entwickelt werden.
       
       Was erhoffen Sie sich von der neuen Bundesregierung in puncto
       Flächenversiegelung? 
       
       Die neue Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, 400.000 neue Wohnungen
       zu bauen. Da sagen wir: Das kann und darf nicht auf der Wiese passieren.
       Das muss eine Aufstockung von Gebäuden in den Ballungsräumen sein, wo eben
       auch die hohe Nachfrage ist. Außerdem gibt es viel Leerstand in den
       ländlichen Räumen. Wie sehen unsere Arbeits- und Lebensbedingungen der
       Zukunft aus? Benötigen wir weiterhin Zuzug in die Stadt, weil alle
       attraktiven Jobs dort sind? Oder ist es möglich über mobiles Arbeiten,
       durch eine gute digitale Infrastruktur und durch ein vernünftiges
       ÖPNV-Konzept, den ländlichen Raum anzuschließen? Das sind doch die klugen
       Konzepte nach vorne.
       
       Die Auszeichnung „Dinosaurier des Jahres“ wird seit 1993 vergeben. Was hat
       der Preis bisher bewirkt? 
       
       Wir haben die Preisträger*innen zu öffentlichen Veranstaltungen wie
       Talkshows eingeladen und den gesellschaftlichen Diskurs gepflegt. Doch es
       geht nicht darum, einen Blame- und Shame-Preis zu machen. Der Preis ist
       vielmehr ein Diskussionsanlass. Wir wollen mit dem Preis darauf aufmerksam
       machen, was aus unserer Sicht falsch läuft. Wir werden den diesjährigen
       Preisträger nutzen, um sowohl in Emden als auch bundesweit die Diskussion
       über Flächenversiegelung weiterzubringen.
       
       27 Dec 2021
       
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