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       # taz.de -- Verurteilung von Tunesiens Ex-Präsident: Vier Jahre Haft für Marzouki
       
       > Nach dem Sturz Ben Alis sollte Moncef Marzouki Tunesiens Übergang zu
       > einer Demokratie leiten. Nun wurde er in Abwesenheit verurteilt.
       
   IMG Bild: Mohamed Moncef Marzouki bei einer Pressekonferenz in Valetta 2021
       
       Kairo taz | Tunesien war nach dem Sturz des Diktators Ben Ali vor fast elf
       Jahren das demokratische Musterland des [1][Arabischen Frühlings]. Jetzt
       hat ein tunesisches Gericht Moncef Marzouki, einen der schärfsten Kritiker
       des Präsidenten Kais Saied, in Abwesenheit zu vier Jahren Gefängnis
       verurteilt. Er wurde für schuldig befunden, die „externe Sicherheit des
       Staates angegriffen und den Präsidenten beleidigt zu haben“.
       
       Die Ironie: Marzouki hatte einst selbst das Amt des Staatschefs in Tunesien
       inne. Nach dem Sturz Ben Alis sollte der ehemalige Menschenrechtsaktivist
       als Interimspräsident den Übergang seines Landes zu einer Demokratie
       leiten.
       
       „Es ist wohl mein Schicksal, bis zum Ende meines Lebens gegen Diktaturen in
       meinem Land zu kämpfen“, erklärte Marzouki aus seinem Exil in Paris
       gegenüber der arabischen Fernsehstation Al Jazeera trotzig. Er erkennt das
       Urteil nicht als legitim an und hat seine Anwälte angewiesen, nicht darauf
       zu reagieren.
       
       „Die Leute haben beschlossen, zusammenzukommen, um in Abwesenheit
       irgendeines Verteidigers und in Abwesenheit des Angeklagten ein Urteil zu
       sprechen“, kritisierte er. „Was mich beunruhigt: Wenn sie das mit einem
       ehemaligen Staatschef machen können, der, wie jeder weiß, sein Leben damit
       zugebracht hat, für Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen, was können
       sie dann mit einfachen und mittellosen Tunesiern machen, die diesem
       Polizeisaat ausgesetzt sind?“, fügte er hinzu.
       
       ## Saied inszeniert sich als Retter der Nation
       
       Marzouki nahm in seinem französischen Exil nie ein Blatt vor den Mund, wenn
       es darum ging, seinen Nachfolger zu kritisieren. Er rief zu Protesten gegen
       den heutigen Präsidenten auf, dessen Machkonzentration er als einen Coup
       bezeichnet.
       
       Tatsächlich folgt Kais Saied, der 2019 in Tunesien zum Präsidenten gewählt
       wurde, quasi dem Handbuch arabischer Autokraten. Sein Drehbuch ist schnell
       erzählt: [2][Letzten Juli suspendierte er das Parlament zunächst für einen
       Monat, setzte die Regierung ab] und rief den Notstand aus. Damit hat er de
       facto die Gewaltenteilung aufgehoben.
       
       Er trat dabei als Retter der Nation auf: Er wolle das Land aus seiner
       wirtschaftlichen und politischen Paralyse führen, argumentierte er, und
       hatte dabei die [3][Unterstützung vieler Tunesier, die hofften, dass er vor
       allem die Wirtschaft wieder in Gang bringt]. Tunesien Schulden wachsen so
       schnell wie die Inflation. Fast jeder fünfte Tunesier ist arbeitslos.
       
       Im August verlängerte Saied diesen Zustand dann auf unbestimmte Zeit. Erst
       diesen Monat verkündete er dann seinen [4][Plan, im Juli nächsten Jahres
       ein Verfassungsreferendum abzuhalten] und die Wahl eines neuen Parlaments
       um ein ganzes Jahr zu verschieben. Zuvor hatte er auch wieder [5][eine
       Regierung eingesetzt].
       
       Marzouki ist nicht der einzige Kritiker, der vor Gericht gestellt wurde.
       Human Rights Watch hat fünf weitere Fälle dokumentiert, in denen
       Parlamentsabgeordnete, Fernsehmoderatoren oder Kommentatoren wegen
       Beleidigung des Staatsoberhaupts, der Verleumdung von Staatsbeamten oder
       der Armee angeklagt wurden.
       
       „Wer den Präsidenten öffentlich herausfordert, weil er Sonderrechte für
       sich in Anspruch genommen hat, der riskiert, vor Gericht zu landen“, sagt
       Eric Goldstein, der bei Human Rights Watch die Nahost- und
       Nordafrikaabteilung leitet. „Kritiker in einer Zeit zum Schweigen zu
       bringen, in der der tunesische Präsident damit beschäftigt ist, so viel
       Macht in seiner Hand zu konzentrieren“, sagt er, „ist ohne Zweifel
       gefährlich“.
       
       23 Dec 2021
       
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