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       # taz.de -- Demos pro und contra Corona-Impfen: Es gilt das Vermummungsgebot
       
       > In der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Preetz treffen Gegner*innen
       > und Befürworter*innen von Corona-Maßnahmen aufeinander.
       
   IMG Bild: Frommer Wunsch: Respekt füreinander trotz gravierender Meinungsverschiedenheiten
       
       Preetz taz | Die Männer, die mit Bierflaschen in der Hand vor dem Rewe am
       Preetzer Markt stehen, schauen interessiert zu, was sich da auf der anderen
       Seite des Platzes tut. Für so eine kleine Stadt – rund 16.000
       Einwohner*innen – ist der Markt weitläufig und langgestreckt.
       Kopfsteinpflaster und weiße Fassaden prägen das Bild. Im Sommer sitzen
       Tourist*innen vor dem Eiscafé oder schlendern um den Brunnenstein.
       
       An diesem Januarabend ist das Wasser abgestellt, und anstelle von
       Müßiggänger*innen versammeln sich Menschen, die „nicht dagegen,
       sondern dafür“ sind, ruft Steffen Gnutzmann. Er hat zu einer Demonstration
       pro Impfen aufgerufen. Es ist das zweite Mal, dass sich in Preetz, rund 15
       Kilometer südlich von Kiel, Impfbefürworter*innen versammeln.
       
       Aber auch die Gegner*innen sind da: Während die Kundgebung noch läuft,
       zieht am Rand des Marktes eine lange Reihe von Menschen vorbei – ohne
       Masken, ohne Abstände, dafür mit bunten Kinderlaternen und Lichterketten,
       die sich viele wie Schals umgewickelt haben. Zwischen beiden Gruppen steht
       die Polizei. Es ist der Abend, an dem der Landtag in Kiel die epidemische
       Lage ausruft und weitere Maßnahmen beschließt, um die Ausbreitung des
       Corona-Virus zu stoppen.
       
       Ein Mann aus den Reihen der Pro-Impfen-Demo stellt sich am Rand des
       Gegen-Zuges auf. „Nein, ihr seid nicht unfrei!“, ruft er. „Niemand schränkt
       eure Rechte ein!“ Es gibt kaum Antworten – merkbar [1][achten die
       Impfgegner*innen darauf], als ruhige, organisierte Gruppe aufzutreten.
       
       ## „Impfen statt Schimpfen“
       
       Nur als die Pro-Impf-Gruppe einen Sprechchor startet und „Impfen statt
       Schimpfen“-Rufe über den Platz hallen, schreien einige der Gegner*innen
       zurück: „Haltet die Fresse!“ Nein, überzeugen ließen die sich nicht, meint
       der Mann. „Die sind beratungsresistent.“ Aber hier aufzutreten, müsse sein:
       „Flagge zeigen, denen das Feld nicht überlassen, so das Übliche halt.“
       
       Das sehen viele derer so, die sich auf dem Markt versammelt haben. „Preetz
       hat nur darauf gewartet, dass jemand etwas unternimmt“, sagt Tina Fenge.
       Sie gehört zu dem Team um Gnutzmann, das die Demos organisiert. Beim ersten
       Mal, am 3. Januar, folgten rund 200 Personen dem Aufruf. Ihnen gegenüber
       standen rund doppelt so viele Impfgegner*innen, die sich, wie in anderen
       Städten, zu einem „Spaziergang“ verabredet hatten.
       
       Vor der Wiederholung gab Gnutzmann sich hoffnungsvoll. Das Ziel sei, „das
       Team der Impfgegner nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ in den
       Schatten zu stellen“, schrieb er. Doch das misslingt an diesem Abend:
       Wieder laufen weniger als 200 auf der Seite der Befürworter*innen von
       Corona-Schutzmaßnahmen mit, aber etwa 300 „Spaziergänger*innen“.
       
       Die Befürworter*innen erklären das damit, dass die Gegner*innen aus
       einem weiten Umkreis zusammenkommen: „In den Straßen stehen lauter Autos
       mit Kieler Kennzeichen“, berichtet ein Demonstrant.
       
       Nach einer kurzen Rede, in der Gnutzmann an die Toten durch
       Corona-Infektionen erinnert, zieht der Zug los. Mit dabei sind Aktive der
       „Fridays for Future“, vom „Bündnis gegen rechts“ und der „Omas gegen
       rechts“, eine junge Frau verteilt „pro Asyl“-Aufkleber. Die Stimmung ist
       ruhig, zu ruhig für Gnutzmann, der mehrfach dazu auffordert, die
       Botschaften, die man habe, auch zu verbreiten: „Wir sind kein
       Schweigemarsch!“ Eine kräftige Stimme meldet sich schließlich mit „Impfen
       ist – Solidarität!“
       
       Vom Markt biegt der Zug in eine Straße, einige Autos müssen anhalten. Dann
       geht es in einen Fußweg parallel zum Markt, vorbei an einem Pflegeheim.
       Hinter den hohen Fenstern sitzen die Bewohner*innen vor ihren
       Fernsehern, ohne auf die Demonstration zu achten.
       
       Nach wenigen Minuten ist der Zug zurück auf dem Markt, und wieder zieht –
       am unteren Ende des Platzes – [2][die Gegendemonstration vorbei.] Die
       Pro-Impfen-Gruppe stimmt „Impfen ist – Solidarität!“an, jemand schreit
       zurück: „Fick dich!“ Nun gerät Bewegung in die Polizeiwagen: Sie rollen
       über den Markt, bilden eine dichte Doppel-Reihe vor der Gruppe der
       Impfbefürworter*innen, Beamt*innen in Westen stellen sich vor die Wagen.
       
       Im nächsten Moment biegt der Zug der Maßnahmen-Gegner*innen auf den Markt
       ein. Ein paar Jugendliche gehen vorbei, sie schauen kopfschüttelnd von
       einer Gruppe zur nächsten. Ein Bärtiger mit karierter Jacke aus Gruppe der
       Biertrinker vor dem Rewe zeigt auf die Gegner*innen: „Ey, da sind unsere
       Leute.“ Die übrigen sind unentschlossen: „Ich bin doch geimpft“, sagt
       einer.
       
       ## So ein bisschen rechts
       
       Während die „Spaziergänger*innen“ auf den Marktplatz strömen, warnt ein
       Polizist mit einem Megafon: „Behalten Sie bis zum Ende der Veranstaltung
       Ihre Masken auf.“ Dabei trägt [3][niemand aus der Gruppe eine Maske], und
       der Megafon-Hinweis wird ignoriert, ohne dass die Polizei einschreitet.
       Stattdessen stimmen die 300 Maßnahmen-Gegner*innen Lieder an: „Die Gedanken
       sind frei“, schallt es über den Platz. Die Antwort ist ein Sprechchor:
       „Impfen ist Sicherheit“.
       
       Nach einigen Minuten ist es vorbei: Beide Lager stehen etwas unentschlossen
       auf dem Platz, in der Mitte der breite Riegel aus Polizeiwagen. Langsam
       bröckeln hüben wie drüben Grüppchen ab. Der Bärtige mit der karierten Jacke
       verwickelt einen der „Spaziergänger“ in ein Gespräch: „Ey, ich bin ja auch
       so ein bisschen rechts …“ Der Angesprochene guckt gequält, weiß aber
       sichtlich nicht, wie er aus der Lage herauskommt.
       
       Gnutzmann und seine Leute wollen auch in den kommenden Wochen weiter an
       jedem Montag demonstrieren und „Flagge zeigen“. Vielleicht, so hofft
       Gnutzmann, sei der eine oder die andere doch zu überzeugen.
       
       11 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Geißlinger
       
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