URI: 
       # taz.de -- Protest gegen Rodung für Kalkwerk: Jeden Tag könnte geräumt werden
       
       > In Wuppertal halten Aktivist*innen Bäume besetzt, die für die
       > klimaschädliche Kalkbranche fallen sollen. Der Nabu hingegen hat „keine
       > Bedenken“.
       
   IMG Bild: Für Lehm und Sand aus der Grube Osterholz sollen 5 Hektar Mischwald weichen
       
       Bochum taz | Fünf Hektar Wald halten Protestierende in Wuppertal seit
       August 2019 besetzt. Nun rechnen sie täglich damit, dass sie geräumt
       werden. „Schon am Montag gab es eine Begehung durch die Polizei“, sagt
       Marjolein Schlüter von der Bürgerinitiative „Osterholz bleibt“. Die Räumung
       sei spätestens kommende Woche zu erwarten, schätzt die 57-Jährige, die nur
       400 Meter vom Osterholz entfernt lebt.
       
       Bedroht wird das Waldstück von den Kalkwerken Oetelshofen der Familie
       Iseke: Die betreibt im Wuppertaler Stadtteil Vohwinkel einen bis zu 180
       Meter tiefen Steinbruch, in dem Millionen Tonnen Abraum anfallen. Verkippt
       werden soll der im Osterholz – und dafür sollen Tausende Bäume weichen. „Es
       macht mich krank, dass hier trotz Klimakatastrophe fünf Hektar gesunder
       Mischwald zerstört werden sollen, nur um Lehm und Sand abzuladen“, sagt
       Schlüter. „Der Steinbruch ist Heimatzerstörung, entzieht der Natur das
       Grundwasser“, findet auch Hans-Martin Bröcker, dessen Familie seit mehr als
       500 Jahren in Vohwinkel lebt.
       
       Die Bezirksregierung Düsseldorf hat die Rodung genehmigt. Klagen vor den
       Verwaltungsgerichten blieben erfolglos. Im globalen Maßstab sei der Wald
       für den Klimawandel nicht relevant, so der Tenor der Urteile.
       
       „Allein hier in Wuppertal sind weitere 20 Hektar als Abbaugebiete für die
       Kalkwerke ausgewiesen“, mahnt dagegen Schlüter: „Geht es nach diesen
       Urteilen, kann jeder Wald in Deutschland abgeholzt werden“, fürchtet die
       Anwohnerin – und hofft auf eine neue Entscheidung des
       Bundesverfassungsgerichts.
       
       Doch auch im Wuppertaler Stadtrat gab es eine breite Mehrheit für die
       Abholzung. Dagegen stimmten nur die Linke und die Freien Wähler. Selbst aus
       der grünen Ratsfraktion kam nur eine einzige Enthaltung. Denn die
       Besitzerfamilie Iseke ist politisch bestens vernetzt:
       Kalkwerke-Geschäftsführer Moritz Iseke war lange Fraktionssprecher der
       Christdemokraten in der Bezirksvertretung Vohwinkel und auch Mitglied im
       Umweltausschuss des Stadtrats.
       
       Wuppertals grüner Oberbürgermeister Uwe Schneidewind, der bei der
       Kommunalwahl 2020 auch von der CDU unterstützt wurde, hat versucht, die
       Rodung mit einem Runden Tisch zu verhindern. Bis zu seinem Wechsel in die
       Politik war er Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt,
       Energie. „Für mich ist das eine extrem belastende Situation“, sagte
       Schneidewind der taz. „Der Waldschutz muss einen ganz anderen Stellenwert
       bekommen.“ Alternativen – etwa, den Abraum im Steinbruch selbst zu
       verkippen – hätten sich aber als „ökonomisch nicht tragfähig“ erwiesen. Den
       Kalkwerken war der Verzicht auf die Waldzerstörung offenbar schlicht zu
       teuer, denn eine sogenannte Innenverkippung würde den Zugang zu weiteren
       Kalkvorkommen erschweren. Für Nachfragen der taz war die Geschäftsführung
       des Unternehmens nicht erreichbar.
       
       Auch der Plan, den Abraum aus Wuppertal in der rund zehn Kilometer
       entfernten Grube der konkurrierenden Firma Lhoist Rheinkalk zu lagern,
       scheiterte. Erzwungen werden könne das nicht, klagt Schneidewind. Der
       Oberbürgermeister fordert deshalb Änderungen der Naturschutz- und
       Kreislaufwirtschaftsgesetze auf Landes- und Bundesebene, will Kontakt zu
       den grün geführten Bundesministerien für Wirtschaft und für Umwelt in
       Berlin aufnehmen.
       
       „Hier in Wuppertal werden wir an der Rodung nichts mehr ändern“, sagt
       Schneidewind. Er denkt darüber nach, ob dramatische Bilder der Räumung zum
       „Fanal für eine Gesetzesänderung“ werden könnten. Vorwürfe der
       Bürgerinitiative, den Runden Tisch zu spät einberufen zu haben, weißt er
       zurück: „Ich bin erst seit November 2020 im Amt – und kümmere mich seit
       Frühjahr 2021 um das Thema Osterholz.“
       
       Die Waldschützer:innen der Bürgerinitiative aber sind auch von den
       Umweltverbänden enttäuscht. „Keine Bedenken“ hatte das gemeinsame
       Landesbüro von BUND, Nabu und LNU in einer Stellungnahme schon im Dezember
       2020. Es mahnte lediglich „Maßnahmen zum Schutz vom Amphibien“ an. Dabei
       ist die Kalkindustrie nach Angaben ihres eigenen Bundesverbands „für 1,5
       Prozent der CO2-Emissionen des deutschen Energie- und Industriesektors
       verantwortlich“.
       
       Auch der lokale Naturschutzbeirat stimmte für die „notwendige Befreiung“
       des Osterholzes vom Wald. Grund dafür sei „Greenwashing“, glauben
       Anwohner:innen wie Schlüter: Die Kalkwerke sind Partner lokaler
       Umweltschutzgruppen in einem Projekt zum Schutz von Uhus. „Wohl eher
       zögerlich unterwegs“ seien die Naturschutzverbände gewesen, heißt es
       deshalb selbstkritisch aus der Landeshauptstadt Düsseldorf.
       
       Die Waldbesetzer:innen wollen Räumung und Rodung trotzdem so lange wie
       möglich verhindern. „Wir werden da sein“, sagt einer, der seit 2019 vor Ort
       ist. „Es kann nicht sein, dass wertvoller Lebensraum für die
       Profitinteressen Einzelner zerstört wird“, findet eine andere. Unterstützt
       werden sie von der Bürgerinitiative: „Ohne die Besetzung wäre der Wald
       längst weg“, sagt Schlüter. „Ich hoffe, dass zur Räumung noch viele weitere
       Aktivist:innen von überallher kommen.“
       
       14 Jan 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR umweltverbände
   DIR Waldbesetzung
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Wald
   DIR Wir retten die Welt
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Energiewende
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Aktivistin verteidigt Waldbesetzer: „Klimaschutz wird kriminalisiert“
       
       Marjolein Schlüter von der Wuppertaler Waldschutz-Initiative „Osterholz
       bleibt“ über martialische Polizisten, Kettensägen und Politiker.
       
   DIR Osterholz-Wald in Wuppertal: Räumung im Morgengrauen
       
       Das Osterholz in Wuppertal wird gerodet. Seit Dienstag geht die Polizei
       gegen Besetzer:innen und Aktivist:innen vor.
       
   DIR Wenn Energiesparen nicht einleuchtet: Als gäbe es kein Morgen
       
       Wenn man Robert Habeck zum Klimaschutz reden hört, kann einem schwummerig
       werden. Nicht, weil er Unfug redet, sondern weil die Welt ist, wie sie ist
       
   DIR Verkehrswende in Österreich: Vom Autofahrerland zur Klimaoase
       
       Weniger neue Straßen und der Bahnausbau sind das Herzstück der
       Verkehrswende in Österreich. In Wien ist ein großer Autotunnel gestoppt
       worden.
       
   DIR Weltrisikobericht 2022: Menschheitsrisiko Klimawandel
       
       Von Ökokrise bis Gesellschaftszerfall: Das Weltwirtschaftsforum erwartet,
       dass die Zukunft düster wird. Das zeigt eine Umfrage.
       
   DIR WWF-Studie zu erneuerbaren Energien: Energiewende ja, aber zu langsam
       
       Ein neuer Bericht des WWF zeigt: Weltweit setzen sich Wind- und Solarstrom
       schneller durch als gedacht. Deutschland hinkt aber hinterher.