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       # taz.de -- Spionage und Paranoia: Pegasus und andere Schnüffler
       
       > Das Ausgespähtwerden war mal eine kollektive Angst. Heute nutzen
       > Regierungen wie die polnische Pegasus, und viele zucken nur mit den
       > Schultern.
       
   IMG Bild: Prophetisches Momento: Szene aus Fritz Langs „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ aus dem Jahr 1960
       
       Als wir 2019 ein halbes Jahr in Berlin verbrachten, passierten plötzlich
       seltsame Dinge mit unseren polnischen Mobiltelefonen. Wenn wir einander
       anriefen, schien das Handy manchmal in einer Schleife festzuhängen und
       wiederholte, was wir ein paar Minuten zuvor gesagt hatten.
       
       Damals wurde bekannt, dass die polnische Regierung in Israel das
       [1][Pegasus-Programm] gekauft hatte, eine Spionagesoftware für
       zielgerichtete Überwachung. Wir wurden darauf hingewiesen, dass infizierte
       Handys sich wie unsere verhielten. Die Verbindungsprobleme hörten
       allerdings schnell wieder auf, und wir vergaßen die Sache.
       
       Pegasus glitt unterdessen, gleich dem mythologischen geflügelten Pferd,
       über den Himmel vieler Länder hinweg. In Frankreich wurden Minister
       abgehört, in Ungarn oppositionelle Journalisten. Erst vor einigen Tagen gab
       [2][Jarosław Kaczyński,] der inoffizielle Kopf der polnischen Politik, zu,
       dass auch Polen Pegasus hatte.
       
       Es kam heraus, dass die polnische Regierung die Spyware benutzte, um
       Informationen über den Chef des oppositionellen Wahlkampfteams zu sammeln
       sowie über einen Rechtsanwalt und einen Staatsanwalt. Das Geld für die
       Anschaffung von Pegasus kam aus dem Fonds des Justizministeriums für
       Kriminalitätsopfer. Der Bericht des Citizen Lab an der Universität Toronto,
       der die Anwendung von Pegasus in 45 Ländern belegt, wirft Fragen auf.
       Allein die Möglichkeit, bespitzelt zu werden, war einmal eine kollektive
       Angst. Warum zucken heute so viele Menschen bloß mit den Schultern?
       
       ## Opfer einer Zähmung durch Überwachung
       
       1960 drehte Fritz Lang den Film „Die 1.000 Augen des Dr. Mabuse“. Der
       teuflische Kriminelle, bekannt aus den Meisterwerken der Weimarer Republik,
       saß im Luxor Hotel und nutzte Überwachungsvorrichtungen der Nazis, um
       Hotelgäste zu bespitzeln. In der Ära von „Big Brother“ blieb Langs Film als
       prophetisches Memento in Erinnerung, sein Echo klang noch in „Das Leben der
       Anderen“ nach.
       
       1976 drehte der amerikanische Regisseur Alan J. Pakula „All the President’s
       Men“, eine brillant-verstörende Verfilmung des Watergate-Skandals, der
       Präsident Nixon zu Fall brachte. Verglichen mit dem Ausmaß der
       Pegasus-Überwachung erscheint dieser Skandal geradezu retro. Und doch lässt
       das neue Spionagetool keine Regierungen kollabieren. Man könnte denken, es
       sei normalen Bürgern egal.
       
       Wir sind wohl Opfer einer Zähmung durch [3][Überwachung] geworden. Die
       sozialen Medien sammeln schon so lange Informationen über uns, dass wir
       vergessen haben, wie gefährlich das sein kann. Doch der Preis fürs
       Schnüffeln ist nicht immer nur zielgenauere Werbung. Wie der große
       Alexander Solschenizyn erklärt hat, sind es gerade die Unschuldigsten und
       Arglosesten, die in die Falle tappen und sagen: „Ich habe nichts falsch
       gemacht, also lass sie ruhig zusehen und zuhören.“ Gegenüber raffinierter
       Überwachungstechnik sind solche Menschen wehrlos.
       
       In der griechischen Mythologie wird das geflügelte Pferd von einem Helden
       gezähmt. Seine Hybris erzürnt die Götter, und Pegasus wirft ihn von seinem
       Rücken. Da wir uns an die permanente Überwachung durch Internetkonzerne
       gewöhnen, wird unser Pegasus wohl leider niemanden abwerfen.
       
       In der Coronakrise vergessen wir manchmal, dass Gesellschaften auch der
       „Pandemie“ des Misstrauens und der Paranoia anheimfallen können und
       Überwachung genutzt wird, um politische Gegner zu bespitzeln. Auch dieses
       Virus kann Grenzen überwinden und uns noch lange erhalten bleiben.
       
       Aus dem Englischen: Nina Apin
       
       16 Jan 2022
       
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