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       # taz.de -- #MeToo-Fall Siegfried Mauser: Justiz vs. Macht und Geld
       
       > Pianist Mauser wurde wegen sexueller Nötigung verurteilt. Die Haftstrafe
       > konnte er bisher umgehen. Nun hat ein Gericht die Haftfähigkeit
       > festgestellt.
       
   IMG Bild: Siegfried Mauser, ehemaliger Präsident der Musikhochschule München
       
       Es gibt Mythen, die halten sich hartnäckig. [1][Im #MeToo-Kontext] ist es
       die Erzählung, Frauen würden sich Vorwürfe der sexualisierten Gewalt nur
       ausdenken, einerseits um das Leben von Männern zu zerstören und
       andererseits, um persönlichen Profit daraus zu schlagen – also berühmt zu
       werden.
       
       Narrative, wie die einer „Hexenjagd“ gegen unschuldige Männer oder einer
       „Lynchjustiz“, dass also eine Gesellschaft ohne Prozess über diese Männer
       urteilt, gehören dazu. Beispiele oder Belege aus der jüngsten
       Vergangenheit, welche Frauen durch Vorwürfe berühmt wurden, werden bei
       diesen Erzählungen nie angeführt – vermutlich weil es keine gibt. Vielmehr
       verleugnet diese Erzählung die wahren Verhältnisse. Es ist eine klassische
       Täter-Opfer-Umkehr.
       
       Das Ziel der #MeToo-Bewegung ist es im ersten Schritt, den Betroffenen
       Sichtbarkeit zu geben und das patriarchales System, das hinter der
       sexualisierten Gewalt steckt, offenzulegen. Also aufzuzeigen, dass
       Machtgefälle Missbrauch begünstigen und Täter:innen diese Macht nutzen
       können, um sich selbst vor Konsequenzen zu schützen – sowohl juristisch als
       auch gesellschaftlich.
       
       Der [2][Fall um den Pianisten und ehemaligen Rektor der Hochschule für
       Musik und Theater München, Siegfried Mauser,] zeigt deutlich, dass diese
       Form der Macht einen selbst nach einer Verurteilung noch schützen kann.
       Denn es ist Mauser gelungen, sich trotz Verurteilung jahrelang um seine
       Haftstrafe zu drücken. Bis jetzt. Anfang dieser Woche gab das Landgericht
       Salzburg bekannt, dass Mauser bis zum 1. Februar seine Haftstrafe antreten
       müsse. Doch eine Aufforderung zum Haftantritt hat Mauser in der
       Vergangenheit schon bekommen – mehrmals sogar, im Gefängnis war er trotzdem
       noch nicht einen Tag.
       
       ## Kollektiver Täterschutz
       
       2016 wurde der heute 67-Jährige erstmals wegen sexueller Nötigung
       verurteilt. Eine Kollegin hatte ihm vorgeworfen, sie in seinem Büro
       gewaltvoll bedrängt zu haben. Das damalige Urteil des Amtsgerichts München
       wurde zwar 2017 vom Landgericht bestätigt, jedoch wurde die zuvor
       festgelegte Haftstrafe auf eine Bewährungs- und Geldstrafe gesenkt. Viele
       berühmte Gesichter der Kulturszene Münchens stellten sich damals hinter den
       verurteilten Sexualstraftäter, viele sahen ihn weiter als unschuldig an,
       das Narrativ der „Hexenverfolgung“ wurde immer wieder genutzt.
       
       Hans Magnus Enzensberger schrieb damals in einem [3][Leserbrief in der
       Süddeutschen Zeitung]: „Damen, deren Avancen zurückgewiesen werden,
       gleichen tückischen Tellerminen. Ihre Rachsucht sollte man nie
       unterschätzen.“ In einem weiteren Prozess 2018 wurde Mauser in drei Fällen
       der sexuellen Nötigung einer Frau zu zwei Jahren und neun Monaten Haft
       verurteilt. Ein Urteil, das schlussendlich am 9. Oktober 2019 vom
       Bundesgerichtshof in letzter Instanz bestätigt wurde und damit
       rechtskräftig ist.
       
       Wie groß sein Unterstützungsnetzwerk auch zu diesem Zeitpunkt war, zeigte
       sich am deutlichsten an der Veröffentlichung einer Festschrift anlässlich
       seines 65. Geburtstags kurz nach dem Urteil. Dutzende Künstler:innen
       gratulierten ihm darin zu seinem Lebenswerk. In der Festschrift und der
       Presse wurden die Taten Mausers erneut abgestritten oder verharmlost. Es
       ist eine Paradebeispiel dafür, wie kollektiver Täterschutz aussieht.
       
       Seine erste Aufforderung zum Haftantritt bekam Mauser Ende 2019 – doch
       statt ins Gefängnis zu gehen, wechselte Mauser an seinen zweiten Wohnsitz
       nach Salzburg. Die Münchner Staatsanwaltschaft beantragte einen
       europäischen Haftbefehl gegen den ehemaligen Professor. Da er aber auch
       eine österreichische Staatsbürgerschaft hat, konnte er nicht ausgeliefert
       werden. Stattdessen stellte er einen Antrag auf Übertragung der
       Strafvollstreckung nach Österreich. Und das war nur ein erster Versuch,
       eine Haftstrafe zu verzögern oder im Idealfall sogar zu umgehen.
       
       ## Wer kann sich der Haft entziehen?
       
       Auch durch die Pandemie bedingt, kostete das Bearbeiten seines Antrags
       einige Monate. Im Frühling 2020 bekam Mauser seine zweite Aufforderung zum
       Haftantritt, laut der er zwei Monate Zeit habe, seine Strafe in der
       Haftanstalt Puch-Urstein zu beginnen. Auch diese Frist ließ er
       verstreichen. Mauser suchte sich neue Anwälte, die Stellungnahmen seiner
       Ärzt:innen vorlegten, laut denen er aus gesundheitlichen und seelischen
       Gründen haftunfähig sei. Seitdem wurden medizinische Gutachten erstellt,
       die Haft erfolgreich verzögert. Nun hat das Landesgericht Salzburg seine
       Haftfähigkeit festgestellt.
       
       Natürlich ist es in Ordnung, wenn Verurteilte ihre rechtlichen Mittel zur
       Verteidigung nutzen. Und es ist auch wichtig, dass psychisch oder physisch
       erkrankte Menschen die Chance haben, einen Gefängnisaufenthalt zu
       verschieben oder zu umgehen. Doch die Frage, die sich hier aufdrängt, ist,
       wer überhaupt die Macht und das Geld dazu hat, all diese Schritte zu gehen
       und ob ein juristisches System nicht besser geschützt werden sollte, um von
       einzelnen Mächtigen nicht missbraucht zu werden.
       
       Wie sinnvoll Gefängnisaufenthalte sind, ist noch einmal eine ganz andere
       Frage, die an dieser Stelle nicht behandelt werden soll. Doch momentan
       handhaben wir es als Gesellschaft so, dass bestimmte Verbrechen mit Haft
       bestraft werden. Wenn nun aber verurteilte Sexualstraftäter diese umgehen
       können, geht das ohnehin schon bröckelige Vertrauen der Betroffenen ins
       deutsche Justizsystem noch mehr kaputt.
       
       Allein um ihnen wenigstens ein wenig Glauben am Rechtsstaat zu lassen, wäre
       es wichtig, dass Siegfried Mauser seine Haftstrafe wie gefordert bis zum 1.
       Februar antritt. Doch wer weiß, was er sonst noch in der Hinterhand hat.
       
       20 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Umfrage-zu-Folgen-von-MeToo/!5620693
   DIR [2] /Der-Fall-Siegfried-Mauser-und-MeToo/!5640536
   DIR [3] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/nach-dem-urteil-gegen-ex-rektor-der-musikhochschule-muenchens-kulturwelt-ist-entsetzt-1.3009189
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carolina Schwarz
       
       ## TAGS
       
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