URI: 
       # taz.de -- Zukunft des Berliner Molkenmarkts: Showdown hat begonnen
       
       > Zurück in die Vergangenheit oder vorwärts in die Zukunft? Am Molkenmarkt
       > in Mitte entscheidet sich Berlins künftige Stadtentwicklungspolitik.
       
   IMG Bild: Der Molkenmarkt mit der Nikolaikirche rechts und dem Stadthaus links um 1930
       
       Berlin taz | Wenn Marek Czyborra sagt, dass Stellplätze für Fahrräder
       „priorisiert“ werden sollen und Autofahrer auf die Tiefgarage neben dem
       Roten Rathaus zurückgreifen können, klingt das nach Stadtplanung auf der
       Höhe der Zeit. Und dann sagt der Berliner Architekt auch noch das: „Wir
       wollen keine Stadt für die Reichsten so wie am Werderschen Markt.“ Das ist
       dann nicht nur auf der Höhe der Zeit, sondern auch eine Art politisches
       Statement.
       
       [1][Marek Czyborra und Tom Klingbeil] haben zusammen mit dem Kopenhagener
       Büro [2][OS arkitekter] einen der beiden ersten Preise für den
       städtebaulichen [3][Wettbewerb am Berliner Molkenmarkt] gewonnen. Ihr
       Entwurf könnte gegenüber dem zweiten Siegerentwurf von [4][Bernd Albers und
       Silvia Malcovati] unterschiedlicher nicht sein. Stadtplanung auf der Höhe
       der Zeit auf der einen und die Wiedergewinnung des „Herzens Berlins“ durch
       eine Annäherung an den historischen Molkenmarkt hinter dem Roten Rathaus
       auf der anderen Seite. Am Donnerstag haben beide Büros ihre Arbeiten im
       Rahmen einer Auftaktveranstaltung zu einem sogenannten Werkstattverfahren
       vorgestellt.
       
       Es war zugleich der erste öffentliche Termin für Berlins neue
       [5][Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt] (SPD). Der Molkenmarkt sei der
       älteste Markt der Stadt, sagte sie und sprach von einem „Geburtsort unserer
       schönen Stadt“. Doch das war es dann schon mit den Emotionen. Eher nüchtern
       stellte Kahlfeldt zu Beginn der Veranstaltung das weitere Verfahren vor.
       
       Zunächst sollen die beiden Siegerbüros ihre Entwürfe auf der Grundlage der
       Jury-Empfehlungen überarbeiten, bevor sie im Februar in einer
       Werkstattsitzung öffentlich diskutiert werden. Nach einer weiteren
       Überarbeitungsphase folgt im April die zweite Werkstattsitzung. Danach
       entscheidet nach ihrer ersten Sitzung im November die Jury im Juli erneut.
       
       ## Architektur kommt später
       
       „Unser Ziel ist ein Entwurf, der die zahlreichen Herausforderungen
       weitgehend löst“, sagte Kahlfeldt. „Das ist dann Grundlage für eine Charta,
       in der die Kriterien für die Entwicklung des Quartiers definiert wird.“
       Über die Architektur der einzelnen Gebäude wird dann in einem weiteren
       Verfahren diskutiert.
       
       Klingt erst einmal nach einem Verfahren, wie es sie viele gibt in einer
       Stadt, die sich an zahlreichen Ecken immer wieder neu erfinden muss. Doch
       der Molkenmarkt ist nicht nur der älteste Markt Berlins. Er ist auch als
       städtebauliche Herausforderung einzigartig, da die meisten Grundstücke in
       Landesbesitz sind. Nachdem die Arbeiten zur Verlegung der Grunerstraße
       längst begonnen haben, soll dort in Zukunft Berlins neuestes Stadtquartier
       entstehen. Aber wie soll es aussehen?
       
       Schon jetzt ist absehbar, dass Berlin vor einer neuen städtebaulichen
       Kontroverse stehen könnte. Von einer „Richtungsentscheidung“ etwa spricht
       der baupolitische Sprecher der Grünen, Andreas Otto. „Es geht um die Frage,
       ob wir ins wilhelminische Zeitalter zurückwollen oder in die Zukunft“,
       sagte Otto der taz. Für ihn hat der Entwurf von Czyborra/Klingbeil und OS
       arkitekter klare Vorteile. „Das sind [6][herausragende
       Holzbauarchitekten]“, sagte Otto. „Damit hat der Molkenmarkt die Chance,
       ein Leuchtturm der Nachhaltigkeit zu werden.“ Bernd Albers und Silvia
       Malcovati wollen sich dagegen eher mit der Geschichte auseinandersetzen. So
       soll der historische Jüdenhof an der Jüdenstraße wiederentstehen. In der
       Jüdenstraße und der Parochialstraße sollen schmal geschnittene Parzellen
       für eine „lebendige Kleinteiligkeit“ sorgen. Erfahrungen dafür hat Bernd
       Albers schon beim Bau der [7][„neuen Altstadt“ in Frankfurt am Main]
       sammeln können.
       
       Allerdings räumte Malcovati ein, dass eine exakte Rekonstruktion der
       Grundstücke und Parzellen am Molkenmarkt nicht möglich sei. „Nach dem
       Zweiten Weltkrieg wurde der Molkenmarkt aus der Topografie der Stadt
       gelöscht“, sagte sie. „Der Stadtgrundriss wurde dann durch die autogerechte
       Stadt vernichtet.“
       
       ## Abreißen oder nicht?
       
       Für Streit dürfte auch der Umgang mit dem [8][Atelierhaus in der
       Klosterstraße 44] sorgen. Bernd Albers und Silvia Malcovati wollen das
       ehemalige Fernmeldeamt Ost-Berlins abreißen. Der private Eigentümer hätte
       dann freie Hand, lukrative Neubauten zu errichten. Czyborra/Klingbeil und
       OS arkitekter wollen den Gebäuderiegel dagegen in ihr städtebauliches
       Konzept integrieren. Dafür spricht sich auch Andreas Otto aus und verweist
       auf den Koalitionsvertrag. „Dort wollen wir einen Strategiewechsel weg von
       Abriss hin zum Erhalt und Umbau“, sagt Otto der taz. „Das gilt an allen
       Stellen der Stadt, an denen Abriss vorgeschlagen wird.“
       
       Auch wenn die Architektur derzeit noch kein Thema ist, haben Albers und
       Malcovati bereits die Rekonstruktion einzelner Gebäude in Erwägung gezogen.
       Auch der Bau von Townhouses wie auf dem Friedrichswerder ist geplant.
       
       Das passt zur Forderung der [9][„Planungsgruppe Stadtkern“], der auch die
       neue Senatsbaudirektorin angehört. Im Tagesspiegel hatte sich der Sprecher
       der Gruppe, Benedikt Goebel, für sogenannte „Leitbauten“ ausgesprochen,
       also einzelne Gebäude, deren Fassaden wieder rekonstruiert werden sollten.
       Goebel favorisiert deshalb den Entwurf von Albers und Malcovati.
       
       Demgegenüber sieht die Präsidentin der Berliner Architektenkammer, Theresa
       Keilhacker, den Entwurf von Czyborra/Klingbeil und OS arkitekter im
       Vorteil. Allerdings sei das ihre „persönliche Sichtweise“ betonte
       Keilhacker. Sie hatte bereits versucht, in der Berliner Bauordnung ein
       Verbot für Abrisse von Bestandsgebäuden durchzusetzen.
       
       Unstrittig ist die Frage, wer am neuen Molkenmarkt bauen darf. Es sind vor
       allem die landeseigenen Gesellschaften WBM und Degewo. Auch sollen die
       Erdgeschosszonen für Gewerbe zur Verfügung stehen. „Wir wollen ein
       lebendiges Quartier, eine Nutzungsvielfalt, ein Kulturquartier und
       Nachhaltigkeit“, sagte die Juryvorsitzende Christa Reicher.
       
       20 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.cka.berlin/
   DIR [2] https://osark.dk/
   DIR [3] https://molkenmarkt.berlin.de/
   DIR [4] https://molkenmarkt.berlin.de/2021/12/01/die-preistraeger-des-planungswettbewerbs-zur-gestaltung-des-quartiers-am-molkenmarkt-stehen-fest/
   DIR [5] https://www.stadtentwicklung.berlin.de/service/de/kahlfeldt.shtml
   DIR [6] https://informationsdienst-holz.de/index.php?id=66&tx_stores_pi1%5BlocationUid%5D=136&tx_stores_pi1%5Baction%5D=show
   DIR [7] https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Frankfurter_Altstadt
   DIR [8] https://www.facebook.com/AtelierhausK44Berlin/
   DIR [9] https://planungsgruppe-stadtkern.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
       ## TAGS
       
   DIR Stadtentwicklung
   DIR Andreas Geisel
   DIR Städtebaupolitik
   DIR Molkenmarkt Berlin-Mitte
   DIR Berlin-Mitte
   DIR Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
   DIR Stadtplanung
   DIR Architektur
   DIR Franziska Giffey
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Stadtumbau in Berlin: Angst vor der Altstadt
       
       Erst der Molkenmarkt, dann das Rathausforum? In Berlin tobt ein neuer
       Architekturkampf. Auch eine Retro-Stiftung will nun mitmischen.
       
   DIR Bebauung am Berliner Molkenmarkt: Affront mit Ansage
       
       Die Jury trifft keine Entscheidung. Blockiert Senatsbaudirektorin Kahlfeldt
       eine nachhaltige Lösung für das größte Stadtentwicklungsprojekt Berlins?
       
   DIR Neue Senatsbaudirektorin in Berlin: Der große Ausverkauf
       
       Petra Kahlfeldt gehört zur einflussreichen „Planungsgruppe Stadtkern“. Das
       SPD-nahe Netzwerk setzt sich für Stadtentwicklung durch Investoren ein.
       
   DIR Neue Senatsbaudirektorin in Berlin: Vorwärts in die Vergangenheit
       
       Petra Kahlfeldt ist künftig für Architektur in Berlin zuständig. Sie steht
       für Retro-Bauen. Architekten werten die Berufung als Kampfansage.
       
   DIR Nachfolge von Regula Lüscher: Architekten wollen mitreden
       
       Wer wird Senatsbaudirektorin in Berlin? In einem offenen Brief fordern
       Fachleute und Aktivisten ein transparentes Verfahren.