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       # taz.de -- Kinotipp der Woche: Entschiedene Auswahl
       
       > Subtile Gesten und feministische Musikentscheidungen in der Reihe
       > „Sounding Womanhood – Feminist Gestures in Film “ im SiNEMA Transtopia.
       
   IMG Bild: Auch kochendes Wasser macht schöne Sounds: Szene aus Julia Katharines Film „Tea for Two“ (2019)
       
       Man kennt das ja: Man kramt rum in seiner Plattensammlung und weiß mal
       wieder nicht, was man als nächstes auflegen soll. So ergeht es auch Silvia
       in dem brasilianischen Kurzfilm “Tea for Two“. Sie zieht “Songs of Leonard
       Cohen“ heraus, mit seinen melancholischen Herzschmerz-Hymnen an Frauen, die
       Suzanne heißen oder Marianne. Silvia studiert das Cover der Platte genau,
       ist dann aber irgendwie zu gedankenverloren, um sie auch wirklich hören zu
       wollen. Später wird sich das Ritual wiederholen, “Álibi“ von Maria Bethania
       landet dann aber wirklich auf dem Plattenteller.
       
       Die Zusammenhänge von Musik, Sound und Feminismus im Film will die von Pia
       Chakraverti-Würthwein und Eirini Fountedaki kuratierte Reihe [1][“Sounding
       Womanhood – Feminist Gestures in Film“] im Sinema Transtopia untersuchen.
       “Sound kann eine entscheidende Rolle dabei spielen, filmische Stereotypen
       von Weiblichkeit umzukehren“, heißt es in der Programmankündigung. Bis zum
       5. Februar werden verschiedene Lang- und Kurzfilme aus aller Welt,
       aktuelle, genauso wie Werke aus dem Archiv, im [2][Haus der Statistik] zu
       sehen sein.
       
       “Feminist Gestures in Film“ will die Reihe also betrachten – feministische
       Gesten in Filmen. In gewisser Weise kann das Herauspicken der richtigen
       Schallplatte so eine Geste sein. Silvia entscheidet sich in „Tea for Two“
       eben gegen das Gejammer des heterosexuellen Mannes aus Kanada, der den
       Verflossenen hinterherjammert.
       
       Die Musik direkt spielt in dem Film eigentlich keine Rolle – sie ist
       nichteinmal zu hören – aber indirekt. Statt Cohen gibt es Bethania. Das
       Album des selbsterklärten “Ladies Man“ bleibt in der Plattenhülle, das der
       queeren Sängerin, die in Brasilien ein Nationalheiligtum ist, kommt zum
       Erklingen.
       
       ## Ohne großes Drama
       
       Silvia befindet sich in dem Film der Regisseurin Julia Katharine in einer
       Midlife-Crisis. Sie ist Filmemacherin, aber der ganz große Erfolg blieb
       zuletzt aus. Und sie hat sich von ihrer Frau getrennt, mit der sie aber
       immer noch in der Kiste landet und die der Beziehung noch einmal eine
       Chance geben möchte. Doch Silvia stellt fest, dass auch sie ihre Ex-Frau
       zwar noch liebt, sich aber einfach zu sehr an das Alleinsein gewöhnt hat,
       um noch einmal mit dieser etwas Festes anfangen zu wollen.
       
       Mitten in diesen Beziehungswirrwarr stolpert nun die Nachbarin Isabela,
       eine Transfrau, die ihren Schlüssel verlegt hat und deswegen nicht in ihre
       Wohnung kommt. Die beiden kennen sich vom Sehen. Silvia lädt Isabela auf
       einen Tee ein, um die Warterei zu verkürzen, die beiden verstehen sich auf
       Anhieb, kommen sich direkt näher. Plötzlich steht dann ein transphober
       Nachbar erst vor der Tür, dann in der Wohnung, der Silvias neue
       Bekanntschaft beleidigt und sie selbst gleich noch mit dazu. Und so wird
       Silvia, die sowieso schon emotional stark angeschlagen ist, zur Furie.
       
       Julia Katharine ist mit “Tea for Two“ ein lakonischer, leiser Film
       gelungen, der gerade dadurch, dass er mit nur angedeuteten Gesten und dem
       Verzicht auf das ganz große Drama arbeitet, zu überzeugen weiß.
       
       Und so läuft es eigentlich bei allen Filmen, die im Rahmen von “Sounding
       Womanhood“ gezeigt werden. Was Sound mit Feminismus zu tun haben kann und
       wie bestimmte Gesten Genderzuschreibungen unterlaufen können, das wird
       nicht an Hand der großen und bisweilen knalligen Werke der Filmgeschichte
       analysiert, sondern eher in unbekannten Independentfilmen gezeigt.
       “Orlando“ (1992) von Sally Potter, die berühmte Verfilmung eines Klassikers
       von Virginia Woolf, ist somit auch der mit Abstand bekannteste Film, der
       hier aufgeführt wird.
       
       Lieber wird etwa “Das Mädchen“ (1968), der Debütfilm der ungarischen
       Regisseurin Márta Mészáros aus dem Archiv geholt. Oder ein Kurzfilm wie
       “Cycles“ (1989) von Zeinabu Irene Davis. In diesem verrichtet eine Frau
       alltägliche Dinge. Klo putzen, sich mit Freunden treffen, in der Badewanne
       entspannen. Alles dargestellt in grobkörnigen Schwarz-Weiß-Bildern. Das
       ganz normale Leben nimmt so vordergründig seinen Lauf, während die Frau zu
       den Klängen der Musik Miriam Makebas eigentlich auf das Eintreten ihres
       Zyklus wartet.
       
       19 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://bi-bak.de/en/bi-bakino/sounding-womanhood
   DIR [2] https://hausderstatistik.org/veranstaltung/tea-for-two-lingua-franca-omeu/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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