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       # taz.de -- Umstrittener Bürgermeister Tübingens: Palmer sagt den Grünen ab
       
       > Der Tübinger OB wird nicht erneut für die Grünen antreten, gegen ihn
       > läuft ein Ausschlussverfahren. Offen bleibt, ob er parteilos kandidiert.
       
   IMG Bild: Boris Palmer im Einsatz als Oberbürgermeister von Tübingen mit Amtskette im November 2021
       
       Karlsruhe taz | Letzte Woche hatten sich noch 500 Parteifreunde aus ganz
       Deutschland [1][für Boris Palmer und seinen Verbleib in der Partei
       ausgesprochen.] Jetzt erklärt der Oberbürgermeister Tübingens selbst seinen
       Rückzug zumindest als möglicher Spitzenkandidat der örtlichen Grünen.
       
       Er werde sich nicht am Nominierungsprozess seiner Partei zur
       Oberbürgermeisterwahl im Herbst beteiligen, schreibt Palmer. „Man kann als
       OB-Kandidat einer Partei nicht beides sein: nominiert und ausgeschlossen.“
       
       Damit macht Palmer einen ersten Schritt im Wirrwarr aus bevorstehender
       Bürgermeisterwahl und seinem Streit mit der Partei. Bis Ende Februar hätte
       er entscheiden müssen, ob er sich in einer Urwahl zur Kür des
       Spitzenkandidaten den Tübinger Grünen stellt. Das Parteiauschlussverfahren,
       das seit einem Dreivierteljahr vor sich hin dümpelt, wird bis dahin nicht
       entschieden sein.
       
       Palmer hat sich durch Aussagen mit rassistischen Untertönen und
       instinktlosen Facebook-Posts selbst in eine verfahrene Situation
       manövriert. Mal verlangte er Zwangs-DNA-Tests für Flüchtlinge, als es in
       seiner Stadt zu sexuellen Übergriffen kam. Mal fragte er, welche
       Gesellschaft es abbilden solle, wenn die Bahn mit Nelson Müller und Nazan
       Eckes sowie anderen Prominenten mit Migrationshintergrund wirbt. Dann
       wieder fand er, man helfe beim ersten Corona-Lockdown vielleicht den
       Falschen, nämlich denen „die in einem halben Jahr ohnehin gestorben wären“.
       
       ## Affront gegen den erfolgreichen Bürgermeister
       
       Im vergangenen Mai, zum Auftakt der Bundestagswahl, war dann bei der Partei
       das Maß voll. Die baden-württembergischen Grünen [2][beschlossen auf ihrem
       Landesparteitag ein Parteiausschlussverfahren gegen Palmer.] Der hatte kurz
       zuvor einen rassistischen Post eines anonymen Users über den früheren
       Fußballnationalspieler Dennis Aogo auf Facebook weiterverbreitet. Nach
       Palmers Angaben war sein Eintrag ironisch gemeint.
       
       Der Parteitag beschloss daraufhin, ein Parteiausschlussverfahren gegen
       Palmer auf den Weg zu bringen. Auch die Spitzenkandidatin im
       Bundestagswahlkampf, Annalena Baerbock, hatte diesen Schritt gefordert.
       
       Das Verfahren hat der Parteivorstand erst Mitte November auf den Weg
       gebracht. Und es bringt auch die Tübinger Grünen, die bald einen
       OB-Kandidaten präsentieren müssen, in ein Dilemma. Um nicht zwangsläufig
       mit einem belasteten und auch in ihren Reihen hochumstrittenen Kandidaten
       ins Rennen gehen zu müssen, beschlossen sie einen Mitgliederentscheid zur
       Kür des OB-Kandidaten. Ein Affront für den bundesweit bekannten
       Kommunalpolitiker Palmer, der in Tübingen seit 2007 erfolgreich regiert.
       
       Jetzt zog Palmer selbst die Reißleine, lässt aber offen, ob er als
       unabhängiger Kandidat antritt. Ein Schritt, der ein weiteres Argument für
       einen Parteiausschluss wäre, weil eine Kandidatur gegen einen Kandidaten
       der eigenen Partei als parteischädigend gilt.
       
       ## Erfolg auch unabhängig möglich
       
       Die Tübinger Grünen werden nach Palmers Absage wohl mit der
       Kommunalpolitikerin Ulrike Baumgärtner ins Rennen gehen. Sie hatte bereits
       Interesse bekundet, gegen Palmer in der Urwahl anzutreten.
       
       Palmer wäre aber nicht der erste, der als unabhängiger Kandidat gegen einen
       Parteifreund antritt. Und es gibt Beispiele, die zeigen, dass man damit
       davonkommen kann. Auch der Tengener SPD-Bürgermeister Marian Schreier war
       2020 im Ringen um den Stuttgarter OB-Sessel [3][gegen den offiziellen
       Kandidaten der Partei ins Rennen gegangen] und trotzdem nicht aus der SPD
       ausgeschlossen worden. Gewonnen hatte damals allerdings der CDU-Kandidat
       Frank Nopper.
       
       Palmer selbst äußert sich seit dem laufenden Parteiausschluss nur noch
       dosiert in der Öffentlichkeit. Auf seinem Lieblingsmedium Facebook, wo ihm
       75.000 Menschen folgen, postet er nun vorzugsweise zu kommunalen Themen.
       Auf die Frage, wie es nun weitergeht, antwortet Boris Palmer der taz per
       SMS: „Ich weiß es wirklich nicht“.
       
       18 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Stieber
       
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