URI: 
       # taz.de -- Kein Platz für Obdachlose: Schule zieht Zaun gegen Obdachlose
       
       > Ein Gymnasium in Hamburg-St.Pauli hat einen Obdachlosenschlafplatz auf
       > dem Gelände mit einem Zaun abgesperrt. Anwohner protestieren dagegen.
       
   IMG Bild: Nicht warm, aber trocken: eingezäunter Obdachlosen-Schlafplatz am Struensee-Gymnasium
       
       Hamburg taz | Überdacht und mitten im Ausgeh-Kiez – die Arkaden der
       Struensee-Schule sind ein guter [1][Aufenthaltsort für Obdachlose in
       Hamburg]. Doch seit kurzem ist dieser Ort für sie versperrt. Die Schule hat
       einen Gitterzaun installieren lassen. Abgerissene Plakate erinnern an den
       Unmut von Kiez-Bewohnern darüber, dass die Obdachlosen ausgesperrt werden.
       Auf einem grünen Karton steht: „Ey Nachbar – Zaun weg = etwas cooler hier“.
       
       Schulleiter Frank Berend ist erkennbar angefasst wegen der Kritik. „Wir
       haben das Problem, dass hier offen Drogen konsumiert werden“, berichtet er
       fröstelnd auf der Straße. Es sei Crack geraucht und Heroin aufgekocht
       worden. Der Platz sei vermüllt, in den Eingangsbereich der Schule sei
       gepinkelt worden. Die Fünft- und Sechstklässler hätten Angst, auf dem Weg
       zum Spielplatz hier vorbeizugehen.
       
       „Natürlich sind trockene Stellen, wo man schlafen kann, dünn gesät“, räumt
       der Schulleiter ein. Deshalb habe er auch dafür plädiert, die obdachlosen
       Menschen am Rande des Schulgeländes zu dulden, nachdem die Schule zum
       Winterhalbjahr 2020 hierher gezogen war. „[2][Die Menschen dort vertreiben,
       wollte ich in der kalten Jahreszeit nicht]“, schrieb Berend den Eltern in
       einem Brief.
       
       Das sei zunächst auch gut gegangen, doch nach einigen Wochen habe es
       zunehmend Streit und Pöbeleien unter den dort lebenden Obdachlosen gegeben.
       Nicht akzeptabel sei, dass der Hausmeister tätlich angegriffen wurde. Der
       Mann hatte Drogenkonsumenten aufgefordert, den Platz zu verlassen. Das
       brachte ihm einen Faustschlag gegen den Kopf und eine Einlieferung ins
       Krankenhaus ein.
       
       ## Eine Koexistenz funktioniere nicht
       
       Immer wieder hätten er selbst und der Hausmeister „Wege gesucht, wie eine
       Koexistenz vielleicht möglich sein könnte“, schildert Berend. Sie hätten
       die Menschen vor Schulbeginn geweckt und gebeten zu gehen. Bei Drogenkonsum
       hätten sie die Polizei informiert. Es habe sich aber gezeigt, dass eine
       Koexistenz auf der Basis einfacher Regeln mit den oft suchtkranken Menschen
       nicht funktioniere.
       
       „Ihnen einfach diesen Platz zuzubilligen, löst das Problem der Menschen
       nicht“, schreibt Berend. Sie benötigten dringend Einzelfallbetreuung,
       Suchtberatung, Hilfe bei der Wohnungssuche. „Dies kann die Schule nicht
       leisten“, sagt Berend. Sie sei zuallererst für ihre Schülerinnen und
       Schüler verantwortlich.
       
       „Ein Zaun kann nie eine Lösung sein und ist ein schlimmes Signal“, sagt
       Stephan Karrenbauer, [3][Sozialarbeiter bei Obdachlosenzeitung Hinz&Kunzt],
       einem Projekt der Diakonie. „Obdachlose zu vertreiben – das geht nicht.“
       Karrenbauer sieht in dem Zaun aber auch einen Hilferuf. In allen
       Stadtteilen nehme die Verelendung der Menschen auf den Straßen zu. „Das
       führt immer öfter zu Konflikten mit Anwohner:innen – und das ist kein
       Wunder“, sagt er.
       
       Im Fall des Struensee-Gymnasiums äußert sich der sichtbar gewordene Protest
       für die Obdachlosen gegen die Schule. Ein langes Transparent der Ultras St.
       Pauli forderte: „Weg mit den Zäunen!“ Jemand machte sich auch ans Werk und
       öffnete ein Element des Zauns.
       
       ## Schulleiter erklärt sich gesprächsbereit
       
       Schulleiter Berend will die Fläche in Zukunft nutzen, um Fahrradständer
       aufzubauen. Solche gibt es bereits auf der anderen Seite an der Einfahrt
       zum Schulhof, auf ähnliche Weise eingezäunt wie die Arkaden. Am gestrigen
       Nachmittag wollte er sich mit Vertretern von Hinz&Kunzt und
       Anwohnerinitiativen treffen, um deren Meinung zu hören. „Ich bin da sehr
       gesprächsbereit“, versichert er. Zumal die Befassung mit Obdachlosigkeit ja
       auch ein Bildungsthema sei.
       
       Das Dilemma des Struensee-Gymnasiums wirft ein Schlaglicht auf die
       Situation in der Großstadt. Die Sozialbehörde geht von rund 7.000
       Wohnungslosen in Hamburg aus. 5.000 davon sind öffentlich-rechtlich
       untergebracht, 2.000 leben auf der Straße, sind also obdachlos. Für sie
       gibt es bisher nur eine Unterkunft im Rahmen des [4][Winternotprogramms,
       das aber nicht von allen Obdachlosen angenomme]n wird.
       
       „Städtisch finanzierte Straßensozialarbeiterinnen und -arbeiter suchen
       obdachlose Menschen gezielt auf, um sie auf Angebote hinzuweisen“, teilt
       die Sozialbehörde auf taz-Anfrage mit. In Hamburg gebe es das ganze Jahr
       über ein breit aufgestelltes umfangreiches Hilfesystem für obdachlose
       Menschen.
       
       Karrenbauer findet, dass das nicht reicht. Es sei an der Zeit, dass die
       Stadt dezentrale Unterkünfte schaffe, „die so ausgestaltet sind, dass die
       Menschen diese auch annehmen“, sagte Karrenbauer. Dafür müssten alle
       Beteiligten an den Tisch.
       
       Ein Anfang könnte der „Housing First“-Ansatz sein, bei dem Menschen
       zunächst mit einer eigenen Wohnung versorgt werden, bevor ihre anderen
       Probleme angegangen werden. Ein Projekt mit 30 Plätzen hat der Senat gerade
       ausgeschrieben. Es soll in diesem Jahr starten.
       
       17 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Obdachlose-in-Hamburg/!5788349
   DIR [2] /Verdraengung-von-Wohnungslosen/!5782002
   DIR [3] https://www.hinzundkunzt.de/streit-um-zaun-gegen-obdachlose/
   DIR [4] /Obdachlose-in-Hamburg/!5585219
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
       ## TAGS
       
   DIR Obdachlosigkeit in Hamburg
   DIR Obdachlosigkeit
   DIR Housing First
   DIR Schule
   DIR Drogenkonsum
   DIR Obdachlosigkeit
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Jugendliche
   DIR Obdachlosigkeit in Hamburg
   DIR Obdachlosigkeit in Hamburg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Sozialarbeit in Hamburg: Kämpfer für die Obdachlosen
       
       30 Jahre lang arbeitete der Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer beim
       Straßenmagazin und Beschäftigungsprojekt Hinz&Kunzt. Nun hört er auf.
       
   DIR Obdachlose und die Pandemie: Kalt, kälter, Corona
       
       Ohne Ausweis gibt es weder Test noch Impfung, weiß Tatjana Laaß, die
       Betroffene in Hannover betreut. Ja, es gibt Hilfen. Aber reichen sie?
       
   DIR Sparmaßnahmen infolge von Corona: Hamburg kürzt beim Sozialen
       
       Die Sucht-Beratungsstellen der Stadt fürchten Stellenverluste. Und eine
       Notschlafstelle für junge Erwachsene wird nicht wie geplant eröffnet.
       
   DIR Wohnraum für Obdachlose: Hartes Pflaster, weiches Bett
       
       Das Hamburger Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“ hat eine neue Zentrale. Neben
       Arbeitsräumen wurden auch Wohnungen für ehemalige Obdachlose geschaffen.
       
   DIR Obdachlosigkeit in Hamburg: Menschenverachtender Geiz
       
       Der Hamburger Senat gönnt Obdachlosen nicht mal Container. Seit sie geimpft
       seien, sei das nicht mehr nötig. Das ist eine würdelose Haltung.