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       # taz.de -- Nach Novak Đokovićs Abschiebung: Der heilige Nole
       
       > In Serbien ist „Nole“ Đoković ein Held. Nun hat er auch noch
       > Märtyrerstatus erlangt. Perfekte Ikone für ein Land, das alle gegen sich
       > zu haben meint.
       
   IMG Bild: Serbiens Nationalheld der Gegenwart: Mural in Belgrad zeigt Tennisstar Novak Đoković
       
       Belgrad taz | Novak Đoković wird aus Australien abgeschoben und in Serbien
       ist schon jetzt alles klar: Novak Đoković wurde wegen eines
       „Meinungsdelikts“ zur Ausreise verurteilt, weil er nicht an Vakzine glaubt.
       Er wurde bestraft, weil ihn westliche Medien als eine „Ikone der
       Querdenker“ dargestellt hätten, weil Australier ihn als eine solche
       angeblich empfinden und sein Aufenthalt deshalb eine „Gefahr für die
       öffentliche Ordnung und die Gesundheit der Australier“ darstellen würde,
       wie das der Staat in der Causa Đoković begründete.
       
       Vor dem Bundesgericht war keine Rede davon, ob er gegen Gesetze oder Regeln
       verstoßen hätte. Beim ersten Prozess vor dem Kreisgericht in Melbourne, das
       zu Đoković ’Gunsten ausging, hatte der Staat letztendlich zugegeben, dass
       das nicht der Fall gewesen ist. Đoković hatte sich an alle
       Einreisevorschriften gehalten, die der australische Staat verordnet hatte.
       Warum wurde er dann rausgeschmissen?
       
       Aus serbischer Sicht, weil er Novak Đoković ist. Ein Serbe und der beste
       Tennisspieler der Welt. Weil er der Nationalheld eines Landes ist, das seit
       dem Jugoslawienkrieg im Westen einen schlechten Ruf hat, das die Nato
       bombardierte, der deshalb seit einem Jahrzehnt der westlichen
       Publikumsbeschimpfung ausgesetzt sei und als Folge dessen westliche Medien
       seit Beginn seines australischen Leidensweges eine richtige Rufmordkampagne
       gegen ihn führten.
       
       Die stets flimmernde antiwestliche Stimmung in Serbien vermischte sich in
       diesem Fall mit der Empörung auch prowestlich gesinnter Serben, wegen der
       Tortur, der Đoković in Australien ausgesetzt gewesen ist. Seit die
       Vorführung des „australischen Lynchtheaters“ begann, schien es, als ob die
       meisten serbischen Zeitungen Titelseiten voneinander abschrieben:
       „Skandalös“; „Novak Đoković ist eingesperrt“; „Nole wurde stundenlang
       schikaniert“; „In Gewalt der Nachfahren der Kriminellen“…
       
       ## Die hohe Politik mischt mit
       
       Auf serbischen sozialen Netzwerken war alles, außer Unterstützung für
       „unseren Nole“, eine Ausnahme. Regierung und Opposition, Rechte und Linke,
       Querdenker und Geimpfte, alle Serben stellten sich hinter ihre Ikone. Wer,
       wie ein serbischer Kolumnist, schrieb „Junge, lass dich impfen und das
       Theater ist vorbei“, wurde einem Shitstorm ausgesetzt. Die wenigen
       kritischen Stimmen in Serbien fragen sich zudem, ob auch Monaco, Steueroase
       und Wohnsitz des serbischen Millionärs, gegen seine Behandlung protestiert.
       
       „Warum misshandelt ihr Novak Đoković, warum tobt ihr euch an ihm aus, nicht
       nur an ihm und seiner Familie, sondern an einer ganzen Nation“, fragte
       [1][Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić] australische Behörden.
       Belgrad stellte eine Verschlechterung der bilateralen Beziehungen mit
       Australien in Aussicht, der australische Botschafter in Serbien wurde zur
       Rede gestellt.
       
       Novak Đoković hat nun einmal in Serbien einen Heiligenstatus. Er ist einer
       der besten Sportler, nach statistischen Angaben schon jetzt der beste
       Tennisspieler aller Zeiten – [2][GOAT, Greatest Of All Times]. Von wegen
       Federer und Nadal.
       
       Ein bekannter, konservativer serbischer Autor schrieb: „Novak Đoković ist
       das Beste, das Serbien im 21. Jahrhundert passiert ist.“ Wenn Đoković
       spielt, bangt, leidet und jubelt mit ihm die Nation. [3][Seine Erfolge sind
       die Erfolge des Volkes], das seit Jahrzehnten peinigenden sozialen
       Umständen und Perspektivlosigkeit ausgesetzt ist. Seine Siege nehmen seine
       serbischen Fans auf ekstatische Höhenflüge mit, von denen aus man die
       alltägliche Misere kurzzeitig nicht sieht.
       
       ## Einer, den alle Post-Jugoslawen mögen
       
       Es ist schwierig in Serbien nachzuvollziehen, warum man im Westen Đoković
       nicht mag. Er ist ein durchaus sympathischer, intelligenter junger Mann.
       Auf dem Tennisplatz ist er ein Kämpfer, aber auch ein echter Sportsmann. In
       London [4][spricht er Englisch], in Paris Französisch, in Madrid Spanisch,
       in Rom Italienisch. Seine Geschäftspräsentationen legt er so professionell
       im besten Englisch dar, dass er damit selbst Investmentbanker begeistert.
       
       Und er ist ein empathischer Mensch, der für die Rechte der weniger
       erfolgreichen Tennisspieler gegen die korporative ATP kämpft, Millionen für
       bedrohte Menschen spendet, auch in Australien nach den Feuerbränden. [5][Im
       nationalistisch verseuchten postjugoslawischen Raum] ist er einer, den alle
       mögen.
       
       Und: Er hat sich nie gegen Impfung an sich geäußert, sondern für freie Wahl
       und gegen Impfpflicht, und auch das nur selten. Der unschlagbare Held der
       Serben ist nun ein Märtyrer geworden, und Märtyrer liebt man nur noch mehr.
       
       16 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.deutschlandfunk.de/serbiens-praesident-vucic-wirft-australien-im-fall-djokovic-schikane-vor-102.html
   DIR [2] https://www.reuters.com/lifestyle/sports/goat-debate-motivates-djokovic-doesnt-hold-sway-2021-07-05/
   DIR [3] /Djokovic-gewinnt-Australian-Open/!5187656
   DIR [4] https://www.youtube.com/watch?v=DPGR9NPN044
   DIR [5] https://www.tagesspiegel.de/sport/wm-halbfinale-gegen-england-warum-der-serbe-novak-djokovic-zu-kroatien-haelt/22786914.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andrej Ivanji
       
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