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       # taz.de -- Spitzenposten in der EU: Kungelei bis zur letzten Minute
       
       > Eine Abtreibungsgegnerin soll EU-Parlamentspräsidentin werden. Das würde
       > die Machtbalance zugunsten der Konservativen verschieben.
       
   IMG Bild: Roberta Metsola aus Malta soll neue EU-Parlamentspräsidentin werden
       
       Brüssel taz | Alle zweieinhalb Jahre wechselt das Europaparlament seine
       Führung aus. So haben es die großen Fraktionen aus konservativer EVP und
       sozialdemokratischer S&D vereinbart. Doch was eine Routineübung sein
       sollte, gerät zum Politikum: Ein neues, schwarz-gelbes Bündnis will eine
       erklärte Abtreibungsgegnerin an die EU-Spitze bringen.
       
       Roberta Metsola heißt die Kandidatin für die Nachfolge von
       Parlamentspräsident David Sassoli, [1][der am vergangenen Dienstag
       überraschend gestorben war]. Die 42-jährige konservative Politikerin aus
       Malta wurde auf Druck der deutschen Abgeordneten aus CDU und CSU aufs
       Schild gehoben. Ihre Wahl am Dienstag gilt als sicher.
       
       Grüne, Linke und Rechtskonservative haben zwar eigene Kandidaten
       aufgestellt. Sie wolle „Hand in Hand mit den Bürgern eine nachhaltige und
       inklusive Zukunft“ aufbauen, sagte die schwedische Grüne Alice Bah Kuhnke.
       Ihr werden jedoch ebenso wenig Chancen eingeräumt wie der Spanierin Sira
       Rego (Linke) oder dem Polen Kosma Zlotowski (EKR).
       
       Den Ton im Parlament geben die drei großen Fraktionen von EVP, S&D und
       Renew (Liberale) an. Wie in Straßburg üblich, kungeln sie hinter
       verschlossenen Türen die wichtigsten Posten aus. Diesmal kommt den
       Hinterzimmergesprächen allerdings eine besondere Bedeutung zu – denn sie
       könnten einen Rechtsruck in der gesamten EU einläuten.
       
       ## EVP könnte künftig dominante Stellung einnehmen
       
       Es geht nicht nur um Metsola, die sich in einem Bewerbungsvideo auf Twitter
       als treu sorgende Hausfrau und Mutter präsentiert. Ins Rutschen kommt auch
       die Machtbalance in den EU-Institutionen. Bisher haben sich Konservative,
       Sozialdemokraten und Liberale die Führung in EU-Kommission, Parlament und
       Rat untereinander aufgeteilt.
       
       Künftig könnte die konservative EVP jedoch eine dominierende Stellung
       einnehmen: Mit Metsola an der Spitze des Parlaments, Ursula von der Leyen
       (CDU) als Chefin der Kommission sowie weniger bekannten EVP- und
       CDU-Politikern in Einrichtungen wie dem [2][Rechnungshof], dem
       Euro-Stabilitätsfonds oder diversen EU-Agenturen.
       
       Nur der Rat, die Vertretung der Mitgliedsstaaten, würde künftig noch von
       einem Liberalen – dem Belgier Charles Michel – geführt. Um diesen
       „Durchmarsch“ zu schaffen, sind die Konservativen jedoch auf Verbündete
       angewiesen. Bisher waren das die Sozialdemokraten – eine große Koalition
       hat jahrzehntelang die Geschicke der EU bestimmt.
       
       Doch nun bahnt sich ein Machtwechsel an: mit einem schwarz-gelben Bündnis
       unter Führung der EVP und ihres Fraktionschefs Manfred Weber (CSU). „Unser
       wichtigster Partner ist Renew“, heißt es in der größten, konservativen
       Parlamentsfraktion. Bei der Entscheidung für Metsola hätten die Liberalen
       bereits den Ausschlag gegeben.
       
       ## Liberale und Sozialdemokraten wollen Gegenleistung
       
       Eine indirekte Bestätigung kommt von den Sozialdemokraten. „Wir haben
       Alternativen geprüft, doch die Liberalen wollten nicht“, sagt der Chef der
       SPD-Gruppe, Jens Geier. Deshalb sei Metsola nun die einzige ernstzunehmende
       Kandidatin für die Leitung des Parlaments.
       
       Ihre Zustimmung wollen sich die Sozialdemokraten nun teuer bezahlen lassen.
       Im Gespräch ist nicht nur die Ablösung von Klaus Welle (CDU), der die
       Parlamentsarbeit bereits seit 2009 als Generalsekretär organisiert. Die
       Genossen wollen sich auch andere Posten sichern – zum Beispiel fünf von den
       insgesamt 14 Vizepräsidenten. Doch auch die Liberalen fordern einen Preis
       für Metsolas Wahl. In Straßburg wird daher mit einem Postengeschacher bis
       zur letzten Minute gerechnet.
       
       17 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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