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       # taz.de -- 80. Geburtstag von Muhammad Ali: „The Greatest of All Times“
       
       > Anders als viele politische Sportlerinnen und Sportler heute überzeugte
       > Muhammad Ali nicht durch Worte. Er sprach durch seinen Sport.
       
   IMG Bild: Muhammad Ali am 27. August 1974 in Zaire vor seinem legendären Kampf gegen George Foreman
       
       [1][Muhammad Ali] hätte nicht gekniet. Die mittlerweile verbreitetste
       [2][politische Geste], die sich im Sport finden lässt, passte nicht zu dem
       Boxer, der sich selbst „The Greatest of All Times“ nannte. Aber fast alle,
       die sich heute im Profisport für eine bessere Welt einsetzen, machen
       beides: Sie knien sich vor Wettkämpfen nieder, und sie berufen sich auf
       Ali.
       
       Muhammad Ali wäre am heutigen 17. Januar 80 Jahre alt geworden. Als er 2016
       starb, war er schon eine Legende. Von jedem, jeder, allen auf dieser Erde
       respektiert, von den meisten noch mehr: verehrt und geliebt. Keine
       schlechte Bilanz für den schwarzen Sohn einer Haushaltshilfe und eines
       Schildermalers aus Louisville/Kentucky. Der Kreis von Ali-Fans ist zu groß,
       als dass er auch nur halbwegs zu skizzieren wäre: [3][Barack Obama] verehrt
       ihn und hatte seinen ersten Präsidentschaftswahlkampf mit einem Ali-Poster
       über seinem Schreibtisch geführt. Die Literaturnobelpreisträgerin Toni
       Morrison hatte sogar Alis Autobiografie lektoriert. Vielen Jugendlichen aus
       ethnischen und sozialen Minderheiten gilt Muhammad Ali bis heute als Idol.
       Etliche Sportler und Sportlerinnen, meist People of Color, oft aus der
       Basketballliga NBA, dem Profitennis oder der Footballliga NFL, berufen sich
       auf Ali: LeBron James, die Williams-Schwestern, Naomi Ōsaka oder Colin
       Kaepernick.
       
       Als 1968 Tommie Smith und John Carlos bei der olympischen Siegerehrung in
       Mexiko ihre Fäuste in den Nachthimmel reckten, war Ali gerade gar kein
       sportlicher Akteur, und an den Diskussionen, die zur „Revolt of the Black
       Athlete“ führen sollten, war Ali nicht beteiligt. Aber er war mittendrin.
       Ihm den aberkannten Weltmeistertitel wieder zuzusprechen, stand ganz oben
       im Forderungskatalog; der Ausschluss der Apartheidregime Südafrika und
       Rhodesien war erst die dritte Forderung.
       
       Von 1964 bis etwa in die frühen Siebziger war Muhammad Ali der
       meistgehasste Mann in der weißen Welt. „Drückeberger-Arschloch“, nannte ihn
       US-Präsident Richard Nixon, in der DDR-Zeitung Neues Deutschland wurde er
       als „Fast-Geisteskranker“ geschmäht, und dass er nicht mehr Cassius Clay
       hieß, respektierte ohnehin so gut wie niemand.
       
       ## Aus Clay wird Ali
       
       Bis zu seinem ersten WM-Kampf 1964 gegen Sonny Liston war dieser Cassius
       Clay aus Louisville ein Liebling des weißen Amerika, denn Liston, ein
       vorbestrafter Analphabet mit enormem Punch, wurde von der Mafia geführt,
       der nette Clay hingegen von einer als seriös geltenden weißen
       Unternehmergruppe aus Louisville.
       
       Clay gewann und wurde Ali. „Ich bin nicht der, den ihr haben wollt“, sagte
       er danach und verkündete kurze Zeit später seine Mitgliedschaft in der
       Sekte „Nation of Islam“. Was folgte, waren üble Beleidigungen, erfolgreiche
       Titelverteidigungen, Ermittlungen von Behörden und Boxkommission und 1967
       Berufsverbot. Reden durfte er, aber nicht boxen.
       
       Athleten und Athletinnen sprechen jedoch vor allem durch ihren Sport. Schon
       Jack Johnson, von 1908 bis 1915 der erste schwarze
       Schwergewichtsweltmeister der Sportgeschichte, zeigte das. Ohne sich je mit
       Worten politisch zu äußern, lebte er selbstbewusst, nahm sich seine Rechte.
       Seine Siege im Ring waren politisch. Ähnlich war es bei Joe Louis, dem
       zweiten schwarzen Schwergewichtsweltmeister. 1938 besiegte er Max Schmeling
       und überbrachte boxerisch die Botschaft, dass ein Sieg der Demokratie über
       den Faschismus möglich ist. Ähnlich war es mit dem Leichtathleten Jesse
       Owens: Dessen vier Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen 1936 waren die
       wirksamste Widerlegung der NS-Rassenideologie, die zu diesem Zeitpunkt
       möglich war. Die Sportgeschichte ist voller Beispiele, wie sich der Wille
       zur Emanzipation körperlichen Ausdruck verschafft: Jackie Robinson, der
       1947 die „Color Line“ im Profibaseball durchbrach und für die Brooklyn
       Dodgers auflief, gilt vielen Historikern als ähnlich bedeutend wie der
       Bürgerrechtler Martin Luther King.
       
       ## Jahre des Berufsverbots
       
       In der jüngeren Sportgeschichte fallen einem die Tennisprofis Serena
       Williams und Naomi Ōsaka ein. Die Amerikanerin kümmert sich kein bisschen
       um Schlankheits- und andere klassifizierende Standards, solidarisiert sich
       mit Black-Lives-Matter und verlässt den Tenniscourt schon mal mit einer
       gereckten Faust. Die Japanerin Ōsaka spricht nicht nur offen über ihre
       Depressionen, sondern nimmt sich auch das Recht, sie als Teil ihres
       Sportlebens zu akzeptieren. Und bei den US-Open 2020 schrieb sie die Namen
       der Opfer von Polizeigewalt auf ihre Coronamaske – jeden Tag ein anderer
       Name, bis ins Finale.
       
       Bei Muhammad Ali war das alles noch ein bisschen – sportlicher. „Schwebe
       wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene“, hatte ihm ein Freund als
       Motto mitgegeben, und Ali zeigte mehr als seine Vorgänger, was Boxen sein
       kann: schön, elegant und dabei doch sehr wirkungsvoll. Er bewies, dass
       menschliche Emanzipation auch eine körperliche Dimension hat.
       
       In der Zeit seines „Exils“, wie er seine Berufsverbotsjahre nannte, boxte
       Ali nicht, sondern hielt Reden, meist vor weißen 68er-Studenten und
       -Studentinnen. Dass er da für das Marihuanaverbot eintrat, interracial
       Beziehungen verurteilte und noch mehr Unfug verbreitete, störte die
       versammelte Neue Linke kaum. Ali war Kult, Ali war derjenige, der mit der
       in die Popliteratur gehörenden Begründung „Man, I ain’t got no quarrel with
       them Vietcong“ („Mann, ich habe keinen Streit mit dem Vietkong“) dem
       Washingtoner Establishment sehr eindrücklich die Loyalität aufgekündigt
       hatte.
       
       ## Positionierung zum Vietnamkrieg
       
       Alis Reden wurden beklatscht, aber kaum gehört. Auch nicht, als er ab 1971
       wieder seine Boxlizenz hatte und binnen vier Jahren gegen Joe Frazier und
       [4][George Foreman boxte]. Es dürfte in der Sportgeschichte nicht viele
       bessere Kämpfe gegeben haben als diese vier in New York (1971 und 1974), in
       Kinshasa (1974) und in Manila (1975). Die Macht von Alis boxerischer
       Sprache und körperlicher Intelligenz überlagerte auch Sätze Alis, die
       schlicht rassistisch waren: Joe Frazier, der ihm übrigens in seiner
       Exilzeit finanziell geholfen hatte, bezeichnete er als „Gorilla“ und
       „hässlich“, George Foreman nannte er einen „Onkel Tom“ und dirigierte in
       Kinshasa Menschenmengen, damit sie „Ali Bumaye“ riefen, „Ali, töte ihn!“
       
       Muhammad Ali war nicht etwa deswegen ein politischer Sportler, weil er sich
       mit Worten sympathisch politisch geäußert hätte. Diese sehr europäische und
       bürgerliche Vorstellung, dass ein Athlet oder eine Athletin erst einmal
       schnell laufen oder gut treffen, dann die Medaille entgegennehmen und erst
       auf der Siegerpressekonferenz kritische Worte sagen sollte, passte nie zu
       Ali. Er sprach durch seinen Körper, seine Fäuste, seinen beweglichen
       Oberkörper, seine schnellen Füße.
       
       Den „Rumble in the Jungle“ 1974 in Kinshasa gegen George Foreman
       inszenierte Ali als [5][Parabel auf den Vietnamkrieg]: Schon, dass der
       Kampf in einem unabhängigen afrikanischen Staat stattfand, dem damaligen
       Zaire, heute Demokratische Republik Kongo, war eine Botschaft. Ali
       präsentierte sich als Vertreter des Trikont, der aufbegehrenden drei
       Kontinente, wie man damals sagte. Und seinen Gegner stellte er als
       Vertreter des weißen Kolonialismus dar. Im Kampf selbst erschien George
       Foreman, einer der härtesten Puncher seiner Zeit, wie eine Verkörperung der
       US-Army, die mit enormer Überlegenheit Bomben über Bomben auf Vietnam
       abwarf. Ali, der sich die Taktik des Rope-a-Dope zurechtgelegt hatte, ein
       Zurücklehnen in die Seile, um den schweren Treffern wenigstens etwas die
       Wirkung zu nehmen, imitierte hingegen die Taktik des Vietkong: Rückzug,
       Leidensfähigkeit, Geduld. In der 8. Runde, als die US-Supermacht Foreman
       ausgepowert war, konnte Ali mit einer rechten Gerade den K. o. setzen.
       
       ## Kämpfe, die in Erinnerung bleiben
       
       Was für ein Statement zur Weltpolitik! Das wurde auf der ganzen Welt
       verstanden. Das überragt die Wirkung Alis gesprochener Stellungnahmen und
       seiner langjährigen Mitgliedschaft in der „Nation of Islam“-Sekte um
       Längen. Und nach Alis aktiver Zeit, als er am Parkinson-Syndrom erkrankte,
       war es die Erinnerung an diese Kämpfe und diesen Sportler, der mit hohem
       Risiko seinen eigenen Weg gegangen war, die ihm Respekt und letztlich
       Verehrung und Liebe entgegenbrachte.
       
       Das war und ist bis heute der Unterschied in der Wahrnehmung. Denen, die
       Ali hassten, galt er als Großmaul, als „Louisville Lip“. Die anderen aber
       wussten, dass Ali nicht reden und sich nicht knien musste. Ali sprach durch
       den Sport.
       
       16 Jan 2022
       
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       ## AUTOREN
       
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