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       # taz.de -- Niedersächsiches Integrationsgesetz: „Ich fische nicht am rechten Rand“
       
       > Ex-Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hat alte Forderungen nach einem
       > Integrationsgesetz wieder aufgewärmt. Was soll das bringen?
       
   IMG Bild: Integrationskurs: Wer schwänzt oder nicht mitkommt, soll zahlen, findet Schünemann
       
       taz: Herr Schünemann, Sie wurden [1][in der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ)
       zitiert] mit den Worten: „Viele der Menschen, die 2015 zu uns gekommen
       sind, sind noch nicht ansatzweise integriert.“ Das ist eine harte Aussage,
       woran machen Sie das fest?
       
       Uwe Schünemann: Richtiger wäre vielleicht, dass die Integration noch lange
       nicht abgeschlossen ist, wie ich das auch im Konzept zum Integrationsgesetz
       formuliert habe. Es gibt einfach Indikatoren, die dafür sprechen, dass es
       insgesamt noch erhebliche Defizite gibt. Die überdurchschnittlich hohe
       Arbeitslosenquote in diesem Bereich von 16 bis 17 Prozent ist sicherlich
       ein Anzeichen. Und insofern ist es notwendig, dass wir nachsteuern, vor
       allem auch bei denjenigen, die jetzt zu uns kommen, damit nicht die
       gleichen Fehler wie 2015 wieder gemacht werden.
       
       Welche wären das? 
       
       Schon 2015 haben wir als CDU einen Gesetzentwurf eingebracht, der vorsah,
       dass ein Vertrag abgeschlossen werden soll, mit jedem, der zu uns kommt und
       ziemlich sicher hierbleiben kann. Dann müssen klar definierte individuelle
       Fördermaßnahmen angeboten werden, insbesondere zum Erlernen der deutschen
       Sprache, aber auch zum Einstieg ins Berufsleben. Das ist leider von der
       damaligen rot-grünen Landesregierung abgelehnt worden.
       
       Das klingt schwer nach dem, was die Jobcenter ohnehin machen: Da
       unterschreiben die Leute ja auch eine Eingliederungsvereinbarung, die
       Sprachkurse, Bewerbungstrainings, Berufsvorbereitende Maßnahmen vorsieht –
       und wenn man nicht hingeht, werden Leistungen gestrichen. Wozu brauchen Sie
       [2][noch ein Integrationsvertrag, in dem das Gleiche steht]? 
       
       Man könnte eben schon sehr viel früher ansetzen. Das Jobcenter kommt häufig
       erst viel später ins Spiel, nämlich wenn das Asylverfahren abgeschlossen
       ist. Wir möchten sofort anfangen, sobald klar ist, dass es [3][gute Chancen
       auf eine Bleibeperspektive gibt.]
       
       Und wer soll das machen? 
       
       Wir möchten kommunale Integrationszentren in den Landkreisen haben, wo die
       Menschen nach Möglichkeit auch untergebracht werden und man alle Maßnahmen,
       alle Player bündeln kann. Ich habe da sehr positive Erfahrungen gemacht mit
       Spätaussiedlern [4][in Friedland]. Dort haben wir freiwillig bis zu sechs
       Monate, zunächst einmal in Integrationszentren, Sprachkurse und weitere
       Fördermaßnahmen angeboten.
       
       Das ist viel mehr als das Jobcenter alleine kann. Das Ganze ist auch
       evaluiert worden, da zeigte sich, dass zum Beispiel die Kinder an den
       Schulen viel besser klarkamen. Wenn Sie diese Menschen aber sofort auf
       irgendwelche Dörfer verteilen, wo nicht einmal ein Bus fährt, dann
       erreichen Sie viele gar nicht mehr.
       
       Wie viele dieser Integrationszentren bräuchte es? Und was würde das kosten? 
       
       Eines pro Landkreis wäre sicherlich das Optimum, in der Region Hannover
       bräuchte man vielleicht eher zwei oder drei. Die Kosten kann man so
       natürlich noch nicht seriös kalkulieren. Dazu müssten wir erst einmal mit
       den kommunalen Spitzenverbänden ins Gespräch kommen. Es gibt ja bisher eine
       Vielzahl an Maßnahmen und Programmen auf den unterschiedlichen Ebenen, die
       man erst einmal bündeln muss.
       
       Ohne zusätzliche Investitionen wird das trotzdem nicht gehen. 
       
       Sicher nicht. Aber auch das würde durch ein Integrationsgesetz ja
       abgesichert. Wenn wir als Land ein solches Gesetz vorsehen, müssen wir als
       Land auch dafür zahlen. Aber das ist sehr gut angelegtes Geld, weil dann,
       wenn man die Menschen auf die Kommunen oder auf die Gemeinden des Kreises
       verteilt, schon eine gewisse Integration vorhanden ist und man die Leute
       auch viel eher dort wohnen lässt, wo sie am besten hinpassen.
       
       Das würde diejenigen betreffen, die jetzt erst kommen. Was ist mit denen,
       die schon da sind? 
       
       Wenn man solche Zentren hätte, könnte man auch diesen Menschen zusätzliche
       Integrationsangebote machen, wenn man merkt, dass es eklatante Defizite
       gibt. Und auch in diesen Fällen sollten Integrationsverträge vereinbart
       werden, also auch mit denjenigen, die schon länger bei uns sind, vielleicht
       sogar schon deutsche Staatsbürger sind. Damit sehen wir genau, was an
       Maßnahmen noch notwendig ist. Und damit können wir auch über das Angebot
       der Arbeitsagentur hinausgehen, gerade im Bereich der Gesellschaftsordnung.
       
       Verstehe ich Sie richtig? Sie wollen auch Deutschen mit
       Migrationshintergrund Nachholkurse in Sachen freiheitlich-demokratische
       Grundordnung verpassen? 
       
       Das kann man nicht grundsätzlich und pauschal verpflichtend machen, das ist
       mir vollkommen klar, aber man kann das Angebot machen und sagen: Wir helfen
       dir, deine Integrationsdefizite zu beseitigen. Es ist wichtig, diejenigen
       gezielt anzusprechen, die offensichtlich Probleme mit unserem Wertesystem
       haben.
       
       Der „NOZ“ sagten Sie auch, es müsse doch möglich sein, das zu
       sanktionieren, wenn sich jemand nicht integrieren wolle. 
       
       Wenn ich das Wort Sanktionen in den Mund nehme, landet das immer gleich in
       der Überschrift. Dabei ist das gar nicht mein zentraler Punkt. Was für mich
       wichtig ist, ist dieser Vertrag. Der soll Verbindlichkeit schaffen, klar
       machen, dass man hier eine gegenseitige Verpflichtung eingeht. Und wenn man
       so einen Vertrag nicht einhält, dann muss das doch irgendwo auch
       Konsequenzen haben. Ich denke da an ein Bußgeld oder daran, dass man die
       Kursgebühren zurückzahlen muss oder ähnliches.
       
       Bußgelder sind einer der Punkte, mit denen [5][das bayerische
       Integrationsgesetz vor dem bayerischen Verfassungsgericht gescheitert] ist. 
       
       Soweit ich weiß, hat das bayerische Gesetz gerade keinen
       Integrationsvertrag vorgesehen, sondern nur Bußgelder für andere Fälle.
       Natürlich werden wir diesen Fehler nicht wiederholen. Man wird sich genau
       anschauen müssen, was geht und was nicht, um neben dem Prinzip des Förderns
       auch dem Aspekt des Forderns Geltung zu verschaffen. Zu dieser Frage wollen
       wir eine Expertenanhörung durchführen.
       
       Sie haben auch gesagt, dass Sie ein bestimmtes Sprachniveau nach drei
       Jahren festschreiben wollen. Dabei dauert es schon anderthalb Jahre bis die
       meisten überhaupt einen Kurs anfangen können. 
       
       Aber genau das könnte man mit den Integrationszentren ja ändern. Weil man
       viel individueller beraten und maßgeschneiderte Angebote machen könnte.
       
       Überschätzen Sie nicht die Wirkmacht von Verträgen und Lehrvorträgen?
       Letztlich ist das doch auch nur ein weiteres, schwer verständliches
       Schriftstück, das man unterzeichnet. Und die Grundwerte vermitteln sich
       doch wohl auch eher durch gelebtes Miteinander als durch ein Tafelbild,
       oder? 
       
       Also, wenn Sie bessere Vorschläge auf Lager haben, nehme ich die gerne. Ich
       glaube jedenfalls, dass wir beim Thema Integration wesentlich größere
       Anstrengungen unternehmen müssen. Das ist mir wirklich ein Anliegen. Ich
       fische nicht am rechten Rand, wie manche mir jetzt unterstellen wollen.
       
       8 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.noz.de/deutschland-welt/niedersachsen/artikel/2520039/cdu-niedersachsen-will-integrationsgesetz-verpflichtung-auf-leitkultur
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   DIR [3] /Aydan-Oezoguz-kritisiert-Integrationsgesetz/!5320197
   DIR [4] /75-Jahre-Lager-Friedland/!5714823
   DIR [5] /Integrationsgesetz-in-Bayern/!5647077
       
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