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       # taz.de -- 75. Geburtstag von David Bowie: Berlin steht auf ihn
       
       > Nur zwei Jahre lebte er in der Stadt – doch lange genug, um ihn zum
       > Lieblingsberliner zu machen. Und Berlin kann von Bowie gar nicht mehr
       > lassen.
       
   IMG Bild: Bowie mit Fans da, wo er in Berlin in Schöneberg wohnte
       
       Berlin taz | Um den anstehenden Ehrentag angemessen zu begehen, mag man
       sich an die Kunst des Briefeschreibens erinnern. Der Ehrentag gilt
       natürlich David Bowie, der am Samstag seinen 75. Geburtstag hätte feiern
       können – wenn er nicht eben vor sechs Jahren verstorben wäre. Und der Brief
       muss deswegen geschrieben sein, weil die Deutsche Post anlässlich des
       Geburtstages eine Sonderbriefmarke herausgegeben hat. Sie kostet 85 Cent,
       und damit kann man seit der Portoerhöhung zum Jahreswechsel einen
       Standardbrief zur Post geben.
       
       Auf der Marke ist Bowie samt Gitarre in einem Bild aus dem Jahr 1984 zu
       sehen, was aus einer Berliner Perspektive insofern schade ist, dass damit
       der Berliner Bowie knapp verfehlt wurde, weil der Popstar bekanntermaßen
       doch zwischen 1976 bis 1978 seinen Wohnsitz hier in der Stadt hatte.
       
       Hier entstanden auch die Alben „Heroes“, „Low“ und „Lodger“, die als
       Berliner Trilogie in die Musikgeschichte eingegangen sind. In die Stadt
       gekommen war der britische Musiker, um ein wenig in der popmusikalischen
       Provinz abtauchen zu können. Und auch, um in der Stadt, schon damals nicht
       unbedingt als Entzugsklinik bekannt, von den Drogen wegzukommen.
       
       „[1][Darauf muss man erst kommen]“, meinte dazu der damalige Regierende
       Bürgermeister Michael Müller, als bereits in Bowies Todesjahr entgegen
       sonstigen Berliner Gepflogenheiten, erst mal fünf Jahre nach einem Tod zu
       warten mit irgendwelchen Ehrungen, eine Gedenktafel für den Sänger in der
       Schöneberger Hauptstraße 155 enthüllt wurde.
       
       [2][Dort hatte Bowie in Berlin geleb]t, und manchmal ging er in der
       Discothek Dschungel tanzen, in der Paris Bar einen trinken oder im
       Brücke-Museum Kunst schauen. Eine Zeit, an die sich Bowie in einem späten,
       2013 erschienenen Lied „[3][Where Are We Now?]“ erinnert. Vom Dschungel ist
       da die Rede, vom Potsdamer Platz und KaDeWe.
       
       Berlin also.
       
       Und spätestens mit diesem Lied wurde David Bowie, sowieso bereits
       Ehrenberliner auf Lebenszeit, von Berlin so an die Brust gedrückt, dass man
       fast schon von einer Zwangsgemeinschaft sprechen will. Berlin jedenfalls
       lässt den Bowie nicht mehr los.
       
       ## Die Mauer im Rücken
       
       Aber die Stadt hat dem Mann ja auch was zu verdanken. Mit seinem Lied
       „Heroes“ hat er schließlich den wohl einzigen relevanten Popsong zur
       Berliner Mauer hinterlassen. „Die Mauer im Rücken so kalt“, singt Bowie in
       der deutschen Version seines „Helden“-Liedes.
       
       Und sollte irgendwann sogar die Erinnerung an die Mauer verblassen, die an
       Bowie tut es nicht.
       
       Dafür sorgen auch solche Vorstöße wie der von der CDU Tempelhof-Schöneberg
       vor einem Jahr, die gern die Kreuzung am U-Bahnhof Kleistpark, wenige Meter
       von seiner einstigen Wohnstätte entfernt, zu einem David-Bowie-Platz
       gemacht hätte. Der Antrag wurde allerdings von SPD, Grünen und Linken in
       der Bezirksverordnetenversammlung mit dem Verweis auf die Frauenquote bei
       Straßen(um)bennennungen abgelehnt. Der Einwand des CDU-Manns Patrick
       Liesener, dass „gerade dieser Künstler sich den Geschlechternormen
       entzogen“ habe, half nicht.
       
       ## Androgynität als neues Markenzeichen von Pop
       
       Man kann das durchaus als einen emanzipatorischen Fortschritt bewerten, wie
       David Bowie Ambivalenzen durchspielte, mit der Androgynität als neuem
       Markenzeichen von Pop. Männer in Frauenkleidern verwischen
       Geschlechteridentitäten. Musikgeschichtlich beim Blick auf die
       Produktionsbedingungen muss aber auch gesagt sein, dass es sich hier auch
       um einen besonders perfiden Abwehrkampf in Frauenkleidern gegen die Frauen
       im Geschäft handelte. Tatsächlich finden sich im historischen Glamrock in
       den Siebzigern mit David Bowie als Paten noch weniger Musikerinnen als zwei
       Jahrzehnte später in der Karohemdfraktion des als männlich verseucht
       geltenden Grungerock (remember Kurt Cobain).
       
       Dass es zu Bowies Fünfundsiebzigsten nicht rundherum offizielle
       Erinnerungspartys gibt, ist nur der derzeitigen pandemischen Situation
       anzulasten. Aber die Bowie-Berlin-Bande wird auch Corona überleben, und
       vielleicht hängt die Stadt auch deswegen so an Bowie, dem internationalen
       Star, weil man halt schon der internationalen Versicherung bedarf in dieser
       eben traditionell internationalen Stadt (die Roaring Twenties vor dem
       Weltkrieg und die 4-Mächte-Sektoren danach), die zwischendurch doch immer
       wieder arg ins Kleinkiezige rutschte ohne großen Glamourfaktor.
       
       Vielleicht aber ist das Bowie-Berlin-Ding nur ein mediales Schneballsystem:
       dass man bei jedem beliebigen Jubiläum – wie auch hier gerade – Bowie mit
       Berlin zusammendenkt, um damit Bowie umso betonsicherer auf dem Sockel
       stehen zu haben.
       
       Ob er da je mal wieder runterwill? Bowie selbst kann man ja nicht mehr
       fragen.
       
       Trotzdem: Glückwunsch uns allen zum 75. Geburtstag von David Bowie.
       
       7 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gedenktafel-fuer-Bowie/!5326518
   DIR [2] /Compilation-zur-Berlin-Zeit-von-Bowie-und-Pop/!5741652
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=QWtsV50_-p4
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Mauch
       
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