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       # taz.de -- Weniger Forschungsausgaben in der EU: Mehr geforscht wird anderswo
       
       > Global steigen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung an. Nicht so in
       > der EU – auch in Deutschland sanken die Investitionen.
       
   IMG Bild: Hightech in der chinesischen Landwirtschaft: Entwicklungszone Urumqi
       
       Berlin taz | Führt die Coronapandemie zu weniger oder zu mehr Forschung in
       den Laboren von öffentlichen Instituten und Industriekonzernen? Beides ist
       möglich, wie die neuesten Zahlen des EU-Scoreboards für die weltweite
       Industrieforschung belegen, die die EU-Kommission in Brüssel jetzt
       veröffentlicht hat. Sowohl bei den Branchen und Forschungsdisziplinen als
       auch bei den geografischen Wettbewerbsregionen geht die Schere auseinander.
       Bitter für Europa: Die EU-Staaten finden sich auf der Verliererstraße
       wieder, während in USA und China die Forschung weiter boomt.
       
       Für [1][ihre Erhebung] hatte die [2][Gemeinsame Forschungsstelle der
       EU-Kommission (Joint Research Centre)] die Bilanzberichte für 2020 der
       2.500 größten Unternehmen weltweit, davon 401 aus Europa, auf ihre
       Investitionen in Forschung und Entwicklung (FStifterverband für die
       Deutsche WissenschaftuE) untersucht. Ergebnis: Im ersten Jahr der
       Coronapandemie gingen in Europa die industriellen FuE-Ausgaben um 2,2
       Prozent auf insgesamt 184,1 Milliarden Euro zurück.
       
       Das Minus kam vor allem durch geringere FuE-Ausgaben im Automobilsektor
       sowie in der Luft- und Raumfahrt und der Verteidigungsbranche zustande.
       Dagegen steigerten Dienstleistungsunternehmen im Bereich Informations- und
       Kommunikationstechnologien (IKT) ihre Forschungs- und
       Entwicklungsinvestitionen um 7,2 Prozent, im Gesundheitssektor sogar um
       10,3 Prozent – in beiden Fällen eindeutig durch die Pandemie getrieben.
       
       Auch [3][Forschungschampion Deutschland] konnte sich dem Negativtrend nicht
       entziehen. Bereits im November hatte der [4][Stifterverband für die
       Deutsche Wissenschaft] gemeldet, dass in Deutschland die Industrieforschung
       des Jahres 2020 um 6,3 Prozent auf 71 Milliarden Euro geschrumpft war. Hier
       trat besonders die Autobranche auf die Innovationsbremse und gab vier
       Milliarden Euro weniger aus – ein Verlust von 5.000 FuE-Vollzeitstellen.
       
       Die deutsche Informations- und Kommunikationstechnik steigerte ihre
       FuE-Aufwendungen zwar um 6,5 Prozent, was den Einbruch an anderer Stelle
       nicht ausgleichen konnte. Der öffentliche Anteil an den FuE-Ausgaben (Staat
       und Hochschulen) belief sich in diesem Jahr nach vorläufigen Berechnungen
       des Statistischen Bundesamtes auf 34,6 Milliarden Euro. Beide Zahlen
       addieren sich zur sogenannten FuE-Quote, dem Anteil der Forschungsausgaben
       am Bruttoinlandsproduktes (BIP), die sich 2020 leicht auf 3,14 Prozent
       reduzierte (2019: 3,17 Prozent).
       
       ## Mehr Fördermittel in China und USA
       
       Der europäische und deutsche FuE-Einbruch muss deshalb Sorge bereiten, weil
       die Entwicklung in den globalen Wettbewerbsregionen anders verläuft. Die
       Unternehmen in den USA und China erhöhten nach den Ermittlungen des
       EU-Scoreboards ihre FuE-Investitionen insgesamt um 9,1 Prozent (auf ein
       Gesamtbudget von nahezu 350 Milliarden Euro) bzw. 18,1 Prozent in China.
       Bei den IKT-Dienstleistungen steigerten die US-Unternehmen ihr FuE-Budget
       um 12,4, in China sogar um 21,2 Prozent. Unter dem Strich erhöhten sich die
       globalen Ausgaben für die Industrieforschung um sechs Prozent.
       
       Wachstumstreiber sind immer stärker die Forschungen für digitale Produkte
       und Services. Insbesondere bei den IKT-Dienstleistungen haben sich die
       Ausgaben der Unternehmen seit dem Jahr 2010 verdreifacht. Innerhalb des
       EU-Scoreboards steht der IKT-Sektor durchgängig an der Spitze aller
       Branchen. „Dies ist ein Beleg für die zunehmende Digitalisierung der
       Weltwirtschaft“, schreiben die Autoren der Studie. Der Bericht schlägt vor,
       in der EU die FuE-Investitionen im Automobilbau für den Übergang zu
       Elektrofahrzeugen zu konzentrieren.
       
       Der „Hoffnungswert“ Europas sind die „grünen Technologien“ für erneuerbare
       Energien und Kreislaufwirtschaft. Hier zeigt der Vergleich, dass die
       EU-Firmen auf diesen Feldern die stärksten Forschungspotenziale besitzen.
       Allerdings stehen die Absatzmärkte dafür erst am Beginn des Wachstums. Nach
       der Pandemie und auf dem Weg in die Klimakrise werden hier die Karten neu
       gemischt.
       
       9 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/handle/JRC127360
   DIR [2] /EU-will-Atomkraft-auf-gruen-trimmen/!5817392
   DIR [3] /Foerderung-der-Wissenschaft/!5804668
   DIR [4] /Forschungsfoerderung-in-Deutschland/!5518393
       
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   DIR Manfred Ronzheimer
       
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