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       # taz.de -- EU-Parlamentspräsident Sassoli ist tot: Mit harter Hand und großem Herzen
       
       > EU-Parlamentspräsident David Sassoli ist im Alter von 65 Jahren in einer
       > italienischen Klinik gestorben. Er galt als Organisationstalent und
       > solidarisch.
       
   IMG Bild: Sein Aufstieg zum Präsidenten des EU-Parlaments kam überraschend: Sassoli Ende 2021 in Straßburg
       
       Straßburg afp | Der Präsident des EU-Parlaments, David Sassoli, ist in der
       Nacht zum Dienstag im Krankenhaus gestorben. Sein Sprecher Roberto Cuillo
       teilte am frühen Dienstagmorgen auf Twitter mit, dass der 65-jährige
       Italiener um 1.15 Uhr in einem Onkologie-Zentrum in Aviano in Italien
       gestorben sei. Sassoli befand sich dort seit mehr als zwei Wochen „wegen
       einer schweren Komplikation aufgrund einer Funktionsstörung des
       Immunsystems“ in Behandlung, wie Cuillo am Montag erklärt hatte.
       
       Demnach kam der Parlamentspräsident am 26. Dezember ins Krankenhaus, all
       seine offiziellen Termine wurden seitdem abgesagt. Im September war er
       bereits wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus behandelt worden und
       konnte mehrere Wochen lang nicht seinen Aufgaben als EU-Parlamentspräsident
       nachgehen. Zuvor war er außerdem einmal an Leukämie erkrankt.
       
       Der Sozialdemokrat hatte den Parlamentsvorsitz seit der Europawahl 2019
       inne. Seine Amtszeit lief diesen Monat zur Hälfte der Legislaturperiode
       gemäß einer Absprache der EU-Staats- und Regierungschefs aus. Sassoli hatte
       bereits angekündigt, dass er nicht zur Wiederwahl antreten wollte. Nach
       Angaben des Parlaments sollten die Abgeordneten während der Plenarsitzung
       in Straßburg nächste Woche Dienstag seinen Nachfolger oder seine
       Nachfolgerin bestimmen.
       
       Durch den Verzicht der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im Parlament auf
       einen eigenen Kandidaten wurde der Weg frei für die Wahl der Kandidatin der
       [1][konservativen Europäischen Volkspartei], Roberta Metsola. Die
       Malteserin ist derzeit eine der Vizepräsidentinnen der EU-Volksvertretung.
       
       ## Der italienische „Mister Tagesschau“
       
       Sassoli wurde am 30. Mai 1956 in Florenz in der Toskana geboren. Nach dem
       Studium der Politikwissenschaft arbeitete er als Journalist, zunächst für
       Zeitungen und Nachrichtenagenturen und dann für den öffentlich-rechtlichen
       italienischen Rundfunk.
       
       Er entwickelte sich schnell zum vertrauten Gesicht für Millionen Italiener,
       als er die Abendnachrichten im Sender Rai Uno präsentierte – eine Art
       italienischer „Mister Tagesschau“. 2007 wurde er auch stellvertretender
       Direktor des Nachrichtenprogramms TG1. 2009 zog er für die
       sozialdemokratische Partito Democratico (PD) ins EU-Parlament ein. Ab 2014
       war er einer der 14 Vize-Präsidenten der EU-Abgeordnetenkammer. Neben
       seiner Abgeordnetenarbeit betätigte sich Sassoli weiter schriftstellerisch
       als Autor von Büchern und Gastbeiträgen in verschiedenen Tageszeitungen und
       Zeitschriften.
       
       Sein Aufstieg zum Präsidenten des EU-Parlaments als Nachfolger seines
       konservativen Landsmanns Antonio Tajani kam für viele überraschend, da
       Italien 2019 mit dem heutigen Regierungschef in Rom, [2][Mario Draghi], als
       Chef der Europäischen Zentralbank und Federica Mogherini als
       EU-Außenbeauftragter noch zwei weitere Spitzenposten besetzt hatte.
       
       ## Pandemie als Herausforderung
       
       Sassoli stellte klar, dass er seine Wahl auch als Zeichen der
       Unabhängigkeit des Parlamentes im Machtkampf mit den Regierungen der
       EU-Staaten sah. „Ich bin kein Mann des Rates“, sagte er nach seiner Wahl
       mit Blick auf die Vertretung der Mitgliedstaaten.
       
       Parlamentsdebatten führte der „Presidente“, der sich oft in seiner
       Muttersprache Italienisch äußerte, mit harter Hand, jedoch ohne verbale
       Ausbrüche. Seine zweieinhalbjährige Amtszeit wurde durch die Coronapandemie
       geprägt. So musste er die Umstellung des Parlamentsbetriebs auf Telearbeit
       koordinieren. Sein Organisationstalent verschaffte ihm Respekt unter den
       Abgeordneten.
       
       Als Zeichen seiner Solidarität inmitten der Krise stellte er die verwaisten
       Räumlichkeiten des Parlaments sowohl in Straßburg als auch in Brüssel zur
       Verfügung, um Mahlzeiten für bedürftige Familien zuzubereiten und ein
       Covid-19-Testcenter einzurichten.
       
       Er hinterlässt zwei Kinder. „Das Datum und der Ort der Beerdigung werden in
       den nächsten Stunden bekannt gegeben“, schrieb Sassolis Sprecher auf
       Twitter.
       
       11 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bruch-mit-EVP-im-Europaparlament/!5750903
   DIR [2] http://Mario%20Draghi,
       
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