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       # taz.de -- Politische Demütigungen in Belarus: Kompromittierende Vibratoren
       
       > Die Sicherheitsorgane haben neue Maßnahmen gefunden, um Festgenommene zu
       > entwürdigen. Olga Deksnis über stürmische Zeiten in Minsk. Folge 112.
       
   IMG Bild: T-Shirt für Lukaschenko-Fans: „Man wird zum Präsidenten geboren, nicht gemacht.“
       
       Im Dezember wurde in Belarus der Pressesprecher des Telefonanbieters A1
       Belarus, Nikolai Bredelew, festgenommen. Das Kommunikationsunternehmen soll
       geschlossen werden. (Das private Unternehmen A1 Belarus ist der zweitgrößte
       Mobilfunkanbieter des Landes; bis 2019 hieß es velcon. Anm. der Redaktion).
       Seitdem ändern die Menschen ihre Telefonnummern und wechseln zu anderen
       Anbietern. Die staatlichen Medien haben sogar einen Wettbewerb für das
       beste Foto über diesen Wechsel ausgerufen. [1][A1 Belarus wird zum
       Volksfeind erklärt.]
       
       Als offizieller Grund für diese Maßnahmen wird angeführt, dass Nikolai
       Bredelew nach den Präsidentschaftswahlen (vom August 2020, Anm. d.
       Redaktion) angeblich sensible Daten (Arbeitsplatz, Wohnadresse u.a.) von
       Polizisten an einen von den Machthabern verbotenen Telegram-Kanal
       durchgestochen habe. Dafür wurde er zu 15 Tagen Arrest verurteilt. Die
       Frage, ob er danach überhaupt wieder freigelassen wird, ist noch offen.
       
       Diese Geschichte hat noch einen weiteren schrecklichen Aspekt. Während der
       Festnahme von Bredelew im Bezirksamt für Inneres wurde der Mann gezwungen,
       vor laufender Kamera zu sagen, dass er seit 7 Jahren mit einem Mann
       zusammenlebt. In den wichtigsten staatlichen Medien wurden neben
       Sex-Spielzeugen, die bei der Durchsuchung seiner Wohnung gefunden wurden,
       auch viele andere intime Dinge gezeigt, zum Beispiel ein privates Aktfoto.
       „Journalisten“ der staatlichen Kanäle zeigten mit der Veröffentlichung
       dieses Fotos, wie sie den Mann in den Dreck ziehen konnten. In den
       Gefängnissen der ehemals sowjetischen Staaten ist es für Homosexuelle sehr
       gefährlich. Es ist schrecklich, sich vorzustellen, was Bredelew in der
       Zelle erwartet.
       
       „Wir verurteilen das entwürdigende Vorgehen der belarussischen Behörden.
       Die Grund- und Freiheitsrechte aller Menschen müssen jederzeit gewahrt
       bleiben“, hieß es in einer offiziellen Stellungnahme des österreichischen
       Außenministeriums. „Wir sind auf diplomatischem Weg und in enger Absprache
       mit dem österreichischen Unternehmen intensiv darum bemüht, hier
       unterstützend einzuwirken.“ (A1 Belarus gehört zu 70 Prozent der
       österreichischen A1 Telekom Austria Group; Anm. der Redaktion)
       
       „Das ist nicht nur eine Diskreditierung, das ist ein Verbrechen, was sie
       (die belarussischen Machthaber) hier verüben“, wie Aktivisten einstimmig
       betonten. „Es ist absolut notwendig festzuhalten und sich für zukünftige
       Strafverfahren daran zu erinnern, dass so etwas nicht auf weitere Fälle
       ausgeweitet werden darf. [2][Alle diese Geständnisse und Rechtfertigungen
       sind unter Folter entstanden.]“
       
       Etwa zur gleichen Zeit wie Bredelew wurde auch der Marketing-Direktor eines
       großen Automobilunternehmens in Gewahrsam genommen. Er soll an
       Protestaktionen teilgenommen haben. Vor laufender Kamera sprach der
       intelligente Mann über sein hohes Gehalt, über jährliche Bonuszahlungen und
       darüber, dass auch er mit einem Mann zusammen lebt.
       
       ## „Zum Präsidenten geboren, nicht gemacht“
       
       Diese Videos sind dermaßen demütigend, dass es unerträglich ist, sie
       anzusehen. Im Internet sind mittlerweile neue Fotos von Festnahmen und von
       bei Hausdurchsuchungen gefundenen Sex-Spielzeugen aufgetaucht. Psychologen
       sagen dazu, dass in einer patriarchal-autoritären Gesellschaft solche
       „Funde“ ein gutes Instrument zur Beeinflussung der Bevölkerung seien. Die
       Menschen, die so etwas machen, sind perverse „Smagars“ und so etwas
       brauchen wir nicht. (Das belarussische Wort „Smagar“ bedeutet so viel wie
       Kämpfer oder Eiferer und wird normalerweise für Menschen verwendet, die
       sich in Belarus den Behörden widersetzen; Anm. d. Redaktion)
       
       Etwa zeitgleich hat auch Alexander Lukaschenko etwas zu feiern. Direkt
       neben seiner Residenz wurde ein Bekleidungsgeschäft eröffnet, in dem Sweat-
       und T-Shirts mit seinen vermeintlich klugen Aussprüchen, die er nach den
       Wahlen geäußert hat, angeboten werden. Zum Beispiel [3][„Die Geliebte gibt
       man nicht her“] (womit er meint, dass er die Macht über das Land nicht
       abgeben will, Anm. d. Redaktion) oder [4][„Man wird zum Präsidenten
       geboren, nicht gemacht“].
       
       Es kursieren schon Witze darüber, dass im Frühling, wenn alle die warmen
       Winterjacken ausziehen, klar wird, wer „Lukaschenko-Anhänger“ (im
       Original:„Jabatka“, pejorativ für diejenigen, die für Präsident Lukaschenko
       sind; Anm. d. Redaktion) ist. Mit dem man lieber nichts zu tun haben will.
       
       Aus dem Russischen [5][Gaby Coldewey]
       
       11 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Olga Deksnis
       
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