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       # taz.de -- Mitte-Rechts-Bündnis im EU-Parlament: Dubiose Deals
       
       > Roberta Metsola konnte Parlamentspräsidentin werden, weil Liberale und
       > Konservative mit der rechten EKR-Fraktion paktiert haben. Zulasten der
       > Grünen.
       
   IMG Bild: Über Kreuz mit Macron: EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola
       
       BRÜSSEL taz |Das Europaparlament hat ein neues Gesicht. Jung, weiblich und
       konservativ – das ist Roberta Metsola, die neue Präsidentin der Straßburger
       Kammer. [1][Die 43-jährige Malteserin] soll gemeinsam mit
       EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) ein „Dreamteam“ bilden
       und zeigen, dass Konservative modern und progressiv sein können – hofft
       Manfred Weber (CSU), der die Parlamentsfraktion der Europäischen
       Volkspartei (EVP) leitet und den Deal eingefädelt hat.
       
       Doch lang währte die Freude nicht. Gleich bei der ersten Pressekonferenz,
       die Metsola gemeinsam mit dem französischen Staatschef Emmanuel Macron gab,
       kam es zum Eklat. Weil beide Politiker nur wohlklingende Statements vom
       Stapel ließen und keine kritischen Fragen beantworten wollten, zogen die
       Journalisten unter Protest aus. Dass Macron für das Recht auf Abtreibung
       eintritt und Metsola strikt dagegen ist, sorgt für Spannungen zwischen
       Straßburg und Paris.
       
       In Frankreich stößt es auf Unverständnis, dass Metsola nun dieselbe
       Funktion einnimmt wie einst Simone Veil, die französische Vorkämpferin für
       die Emanzipation und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. „Das ist ein
       schreckliches Symbol für die Frauenrechte“, schreibt Libération. Vor allem
       Macrons liberale EU-Abgeordnete von der Renew-Fraktion hätten sich
       „kompromittiert“ – schließlich treten sie sonst lautstark für
       Gleichberichtigung ein.
       
       Auch die deutschen Liberalen um die FDP-Europaabgeordnete Nicola Beer
       müssen erklären, warum sie mit Weber ins Boot gestiegen sind, obwohl dieser
       mit Rechten flirtet. Weber hat wohl dafür gesorgt, dass auch die 64
       Europaabgeordneten der nationalkonservativen bis EU-skeptischen
       Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) für Metsola
       stimmten, sodass diese bereits im ersten Wahlgang gewählt wurde.
       
       ## Darbende Grüne
       
       Dahinter steckt ein Deal, vermuten Sozialdemokraten, Grüne und Linke im
       Europaparlament. Die EKR verzichtete auf einen Gegenkandidaten zu Metsola,
       bekam im Gegenzug aber einen der 14 Stellvertreter-Posten. Damit kippte die
       linksliberale Mehrheit im Präsidium des Parlaments. Dort werden die Grünen
       nun an den Rand gedrängt, sie verlieren einen Stellvertreterjob – an die
       EKR.
       
       Am lautesten schimpft nun die Linke: „Die Absicht der Konservativen und
       Liberalen, sich mit Hilfe der EKR eine rechte Mehrheit zu sichern, ist eine
       Schande für das Parlament“, sagt Martin Schirdewan, Co-Vorsitzender der
       Linken-Fraktion. Weber und Macron hätten für die Wahl von Metsola nicht nur
       mit der polnischen PiS, sondern auch mit den italienischen Faschisten der
       Fratelli und der spanischen Vox paktiert (sie gehören alle der EKR-Fraktion
       an).
       
       Bei den Grünen ist der Frust vielleicht noch größer. Schließlich haben sie
       einen Posten und damit Macht verloren – die nächsten zweieinhalb Jahre
       gehören sie nicht mehr zum parlamentarischen Mehrheitslager. „Wir haben nun
       ein Mitte-rechts-Bündnis ohne die Grünen“, klagt Rasmus Andresen, der die
       deutsche Gruppe leitet. „Die Konservativen und die Liberalen haben das
       Modell der Zusammenarbeit aufgekündigt“, sagt er.
       
       Dieses Modell sah die Verteilung der Posten nach D’Hondt vor. Der belgische
       Jurist hat ein Verfahren der parlamentarischen Repräsentation entwickelt,
       das auch im Bundestag genutzt wird. Demnach hätten den Grünen zwei
       Stellvertreter zugestanden, und nicht nur einer.
       
       „Ich bin schockiert, wie schnell parlamentarische Prinzipien unter die
       Räder kommen“, sagt Ska Keller, die Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion.
       „Wir müssen über faire Repräsentanz und die Umgangsregeln im
       Europaparlament reden.“
       
       Die nächste Gelegenheit dazu ist kommende Woche – dann werden die wichtigen
       Ausschussvorsitze verteilt. Die Grünen bangen um ihre Chefposten im
       Binnenmarkt- und Verkehrsausschuss.
       
       ## Bürorenovierung für 486.011,66 Euro
       
       Die Sozialdemokraten dagegen hatten gehofft, mit der Wahl von Metsola
       endlich den ungeliebten Generalsekretär des Parlaments, CDU-Anhänger Klaus
       Welle, loszuwerden. Daraus dürfte nichts werden. Denn mit der neuen
       Mehrheit im Präsidium des Parlaments sitzt Welle wieder fest im Sattel. Und
       er wird noch gebraucht, jedenfalls von CDU/CSU.
       
       Denn einer ihrer prominentesten Abgeordneten, Rainer Wieland, sieht sich
       dem Vorwurf der Geldverschwendung ausgesetzt. Wieland ließ sein
       Abgeordnetenbüro für 486.011,66 Euro modernisieren, ein „Showroom“ kostete
       weitere 203.978,50 Euro.
       
       Doch nicht nur Parteifreund Welle hält seine Hand schützend über ihn, auch
       der EVP-Fraktionschef Weber kann kein Problem erkennen. Statt Konsequenzen
       zu ziehen, hat er Wieland erneut für das Amt des Vizepräsidenten nominiert.
       Die Wahl war Formsache – mit 432 Stimmen wurde er im Amt bestätigt.
       
       Die EVP hat ihren Laden also gut im Griff. Mithilfe der Liberalen und der
       Nationalkonservativen dürfte sich daran auch so schnell nichts ändern.
       
       21 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neue-Praesidentin-des-EU-Parlaments/!5826161
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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