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       # taz.de -- Bundestagsdebatte zur Ukraine-Krise: Eiszeit ohne Olaf
       
       > Nach Spott und Häme wegen des Versands von 5.000 Schutzhelmen nach Kiew
       > verteidigt Baerbock das deutsche Vorgehen. Der Kanzler schweigt sich aus.
       
   IMG Bild: Annalena Baerbock verteidigt das deutsche Vorgehen in der Ukrainekrise
       
       Berlin taz | Olaf Scholz sitzt am Rand. Als der Bundestag am Donnerstag
       nach seiner Holocaust-Gedenkstunde zum Tagesgeschäft übergeht und über den
       Konflikt mit Russland diskutiert, bleibt der Bundeskanzler noch eine Weile
       da. Sein Platz auf der Regierungsbank befindet sich schräg hinter dem
       Rednerpult, von dort verfolgt er die Debatte. Das Wort ergreift er nicht.
       
       Eine schöne Vorlage für Friedrich Merz. Der designierte CDU-Chef gibt den
       Oppositionsführer in der Debatte, die seine Fraktion beantragt hatte. Er
       hätte sich „durchaus vorstellen können, dass Sie als Bundeskanzler der
       Bundesrepublik Deutschland zu dieser Lage eine Regierungserklärung
       abgeben“, sagt er in Richtung Scholz. Vom Regierungschef erwarte er eine
       klare Lageeinschätzung im Parlament, eine Initiative auf internationaler
       Ebene und eine klare Antwort an Moskau. „An der deutschen Entschlossenheit
       darf kein Zweifel entstehen“, sagt Merz. „Und diese Zweifel sind da.“
       
       Das ist einerseits ein bisschen komisch: Es ist keine zwei Wochen her, da
       riet der CDU-Chef in spe als erster deutscher Spitzenpolitiker davon ab,
       Russland im Fall eines neuen Angriffs auf die Ukraine vom internationalen
       Zahlungsverkehr auszuschließen. „Wir sollten Swift unangetastet lassen“,
       sagte er damals. Das aber, erklärt er am Donnerstag später in der
       Bundestagsdebatte, habe er ganz anders gemeint. Und andererseits trifft
       Merz mit seiner Kritik, ob sie nun konsistent ist oder nicht, einen wunden
       Punkt.
       
       Tatsächlich hält sich Scholz öffentlich ja weitgehend zurück, wenn es um
       erste kritische Stimmen aus dem Ausland in seiner Amtszeit geht. Und
       tatsächlich steht die Bundesregierung in westlichen Partnerstaaten in der
       Kritik ob ihres angeblichen Zauderns gegenüber Moskau.
       
       Der polnische Ministerpräsident Morawiecki macht sich Sorgen über „die
       Reaktionen unserer Nachbarn in Deutschland angesichts der Bedrohung aus
       Russland“, im US-Kongress gibt es parteiübergreifende Allianzen gegen die
       Bundesregierung und ihr Festhalten [1][an Nord Stream 2]. Und der
       ukrainische Botschafter in Deutschland, im Ton nicht immer diplomatisch,
       besteht auf deutsche Waffen für die Ukraine.
       
       ## Lieferung von Schutzausrüstung „fatales Signal“
       
       Die gibt es aber weiterhin nicht. Kiew bekommt, wie schon länger
       vereinbart, ein von Deutschland bezahltes Feldlazarett und, wie am Mittwoch
       verkündet, [2][5.000 Schutzhelme]. Die Linke-Fraktionschefin Amira Mohamed
       Ali bezeichnete die Lieferung von Schutzausrüstung prompt als „fatales
       Signal“ und redete von „Säbelrasseln“. Ansonsten löste die Ankündigung
       allerdings von vielen Seiten Spott aus, hatte sich die ukrainische
       Regierung doch weit mehr und weit tödlicheres Material gewünscht.
       
       Für die Bundesregierung verteidigt am Donnerstag im Bundestag statt des
       Kanzlers die Außenministerin das deutsche Vorgehen. „Wir erleben eine Zeit,
       in der markige Sprüche gut klingen, aber Steilvorlagen für heftigste
       Konsequenzen sein könnten“, sagt Annalena Baerbock. Dass es verschiedene
       Herangehensweisen innerhalb der Nato gebe, sei kein Problem, ganz ähnlich
       wie im Sport: „In einem Team braucht es keine elf Mittelstürmerinnen, die
       alle dasselbe machen.“
       
       Waffenlieferungen lehne sie weiterhin ab, um nicht „Türen zur Deeskalation
       zu verschließen“. Ansonsten stehe Deutschland der Ukraine aber durchaus bei
       – mit enormen Finanzhilfen über die letzten Jahre zum Beispiel oder ganz
       neu bei der Instandsetzung von Schutzbunkern bei Odessa. Die Ukraine habe
       da um Unterstützung gebeten, am Freitag finde eine erste Erkundungsreise
       statt.
       
       ## Bei neuer Aggression: Sanktionen
       
       Und auch die Zweifel Friedrich Merz’ will Baerbock zerstreuen. Im Falle
       eines neuen [3][Angriffs Russlands auf die Ukraine] würde die
       Bundesregierung ihr zufolge geschlossen mit den westlichen Partnern
       Sanktionen verhängen: „Bei neuer Aggression steht uns eine Bandbreite an
       Antworten zur Verfügung, inklusive Nord Stream 2.“
       
       Einigkeit beschwören in dieser Angelegenheit alle Verantwortlichen
       unentwegt, am Vortag übrigens auch US-Außenminister Blinken während einer
       Pressekonferenz in Washington. Die Bundesregierung nahm er dort in Schutz.
       Bei seinem Besuch in Deutschland habe er sowohl mit Baerbock als auch mit
       Scholz lange geredet. Er sehe allerorten „sehr starke Solidarität“ in Bezug
       auf mögliche Konsequenzen gegenüber Russland, auch in Deutschland.
       
       Im Bundestag ist es am Donnerstag ein paar Minuten nach Baerbock dann
       allerdings Lars Klingbeil, der die feinen Differenzen hinter all der
       Einigkeit aufblitzen lässt. „Wir brauchen Klarheit und Konsequenz, wenn die
       russische Seite die Grenze überschreitet“, sagt zwar auch er. Anders als
       Baerbock nimmt er den Begriff „Nord Stream 2“ aber nicht in den Mund und
       wird auch sonst nicht konkret. Denn: „Wir brauchen nicht jeden Tag
       Drohungen.“ Solange Russland keinen Angriff startet, „konzentrieren wir uns
       doch bitte darauf, über Frieden zu reden“.
       
       Solche Gespräche, immerhin, finden im Moment auch statt. Kam es in der
       letzten Woche zu Besuchen auf Ministerebene, unter anderem mit
       [4][Baerbocks Reise nach Kiew und Moskau], so ist in dieser Woche die
       Arbeitsebene dran. In Paris trafen sich am Mittwoch Vertreter von
       Frankreich, Deutschland, der Ukraine und Russland. Für die Bundesregierung
       nahm Jens Plötner, der außenpolitische Berater des Kanzlers, teil.
       
       ## Gespräche verliefen zäh
       
       Es war seit Monaten das erste Vierertreffen in diesem Normandie-Format, in
       dem seit Jahren über die Umsetzung der Befriedungsabkommen für die
       Ostukraine verhandelt wird. Achteinhalb Stunden saßen die Diplomaten am
       Mittwoch zusammen, was schon zeigt, wie zäh die Gespräche verliefen. Am
       Ende einigten sie sich nur auf die Minimalformel, dass alle Seiten die
       Einhaltung des Waffenstillstands unterstützen. Immerhin: Sie reden
       miteinander. In zwei Wochen soll es mit einem Treffen in Berlin
       weitergehen.
       
       In diesem Format geht es allerdings um vergleichsweise kleine Fragen, die
       Lage in den ukrainischen Separatistengebieten. Die großen Fragen, die
       russischen Forderungen nach Sicherheitsgarantien sind eine andere
       Baustelle. In dieser Woche schickten die USA und die Nato ihre Antworten an
       Moskau. Das Versprechen, die Ukraine nicht in das westliche Militärbündnis
       aufzunehmen, ist erwartungsgemäß nicht enthalten. Gesprächsbedarf wird es
       also auch hier noch geben. Vielleicht redet dann ja auch Olaf Scholz mit.
       
       27 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
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