# taz.de -- Gasversorgung in Europa: Vorbereitungen für den Worst Case
> In Washington und Brüssel macht man sich mehr Sorgen um die Gasversorgung
> aus Russland als in Deutschland. Aber was genau soll passieren?
IMG Bild: Deutschlands Rolle sei entscheidend, heißt es
Brüssel taz | Die EU und die USA arbeiten mit Hochdruck daran, Europa
unabhängiger von Gaslieferungen aus Russland machen. Dies bestätigte ein
Sprecher der EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel. Damit gerät Deutschland
unter Druck: Die Pläne sollen massive Sanktionen gegen Russland ermöglichen
und [1][der umstrittenen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2] den Garaus machen.
Bisher sind Deutschland und die EU nicht auf einen möglichen Stopp der
Gasversorgung aus Russland vorbereitet. Der russische Versorger Gazprom
habe sich selbst im Kalten Krieg als zuverlässig erwiesen, heißt es in
Berlin. Doch in Washington und Brüssel sieht man das anders: Man müsse auf
alle Fälle vorbereitet sein.
US-Präsident Joe Biden hat es besonders eilig. Er ließ extra ein
Pressebriefing im Weißen Haus abhalten, bei dem anonyme Präsidentenberater
über die Energiekrise in Europa dozieren durften. „Wir arbeiten mit Ländern
und Unternehmen auf der ganzen Welt zusammen, um die Versorgungssicherheit
zu gewährleisten“, sagte ein Berater.
Die größte Sorge sei, dass Russland [2][den Gastransit durch die Ukraine]
unterbrechen könnte. Es seien aber auch andere, extremere Szenarien
denkbar. Deshalb arbeite die USA an Notfallplänen. Dazu sei man mit
Gasproduzenten in Nordafrika, dem Nahen Osten, Zentralasien und Australien
im Gespräch. Auch US-Flüssiggas komme infrage.
## Schmutziges Fracking-Gas
Die USA sind in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Öl- und
Gasproduzenten aufgestiegen. Sie versuchen schon seit langem, ihr
schmutziges Fracking-Gas in den europäischen Markt zu drücken. Allerdings
ist [3][das so genannte LNG] wesentlich teurer als Erdgas – und die
Kapazitäten sind jetzt schon weitgehend ausgelastet.
Die EU-Kommission bestätigte Gespräche mit Washington.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe mit Biden über die
Versorgungslage und mögliche Notpläne geredet, sagte ihr Sprecher. Auch der
EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sei von den Amerikanern „debrieft“ – also
informiert – worden. Beides ist ungewöhnlich. Normalerweise besteht die EU
darauf, ihre Energieversorgung selbstständig zu sichern. Zudem mischt sie
sich nicht in den nationalen „Energiemix“ ein, der in Deut-schland auf
(russisches) Gas setzt. Selbst die leeren Gaslager waren in Brüssel bisher
kein Thema. Frankreich und Spanien forderten EU-Hilfe – erfolglos.
## Deutschland plötzlich Problemfall
Doch angesichts [4][der Eskalation um die Ukraine] ist alles anders.
Plötzlich wird Deutschland als Problemfall betrachtet. Ziel der Gespräche
sei, dass alternative Gas-Lieferungen nicht in Monaten, sondern binnen
Tagen bereitgestellt werden könnten, heißt es in Washington und Brüssel.
Allerdings ist unklar, auf welchen Fall sich die USA und die EU
vorbereiten. Bisher hat Russland nicht mit einer Unterbrechung der
Gaslieferungen gedroht – schließlich sichern sie wichtige Deviseneinnahmen.
Demgegenüber fordern die USA, dass Nord Stream 2 ein für alle Mal gestoppt
werden müsse, falls es zu einem Krieg kommt.
## „Opfer wäre ziemlich groß“
Auch Großbritannien mischt sich ein. Man müsse respektieren, dass
Deutschland abhängiger von russischem Gas sei als Großbritannien, sagte
Premier Boris Johnson. „Ihr Opfer wäre ziemlich groß, aber wir müssen
darauf hoffen, dass sie um des Friedens Willen dieses Opfer bringen“, sagte
er. Deutschlands Rolle sei absolut entscheidend.
Ein Stopp von Nord Stream 2 im Rahmen eines Wirtschaftskriegs könnte
allerdings nur der Anfang sein. Die USA und die EU stellen sich auch auf
eine mögliche Gegenreaktion Russlands ein. Moskau könne Gas als Waffe
nutzen und den Gashahn zudrehen, sagte der Biden-Berater in Washington.
Auch dafür müsse man gerüstet sein.
## Planung für Worst Case
Die USA planen also für einen Worst Case, den sie mit ihren
Sanktions-Forderungen selbst herbeiführen. Dieser Notfall hätte sogar
Vorteile, heißt es in Washington. Denn damit würden Russland dringend
benötigte Deviseneinnahmen verloren gehen. Die Führung im Kreml würde
doppelt bestraft – bei Nord Stream, und beim Geldbeutel.
Langfristig könnte dies dazu führen, Deutschland und die EU von der
Gasversorgung aus Russland abzukoppeln. In diese Richtung denkt auch die
EU-Kommission. Energie-kommissarin Kadri Simson will nicht nur mit den USA
sprechen. Sie plant auch Reisen nach Aserbaidschan und Qatar, um dort
Alternativen zu russischem Gas auszuloten.
26 Jan 2022
## LINKS
DIR [1] /Umstrittene-Gasleitung-Nord-Stream-2/!5820863
DIR [2] /Sanktionen-gegen-Russland/!5828721
DIR [3] /Investor-stoppt-LNG-Projekt/!5801496
DIR [4] /Russland-und-der-Westen/!5825831
## AUTOREN
DIR Eric Bonse
## TAGS
DIR Gas
DIR EU
DIR USA
DIR Russland
DIR LNG
DIR Fracking
DIR GNS
DIR Schwerpunkt Coronavirus
DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
DIR Gas
DIR Normandie
DIR Türkei
DIR Schwerpunkt Atomkraft
DIR Klima
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Kommissionschefin gibt SMS nicht heraus: Von der Leyen unter Druck
Die EU-Kommissionschefin verweigert die Herausgabe von SMS über den teuren
Impfstoffdeal mit Pfizer. Ihr wird Intransparenz vorgeworfen.
DIR Ukraine-Konflikt und Deutschland: Dialog und Härte
Brauchen wir angesichts der militärischen Bedrohung der Ukraine einen
Dialog mit Russland? Ja, natürlich – aber aus einer Position der Stärke.
DIR Zu wenig Gas in den Speichern: Sorge vor einem kalten Februar
Russland hat seine Gaslieferungen reduziert, dafür kommen inzwischen große
Mengen per Tankschiff. Braucht Deutschland beim Erdgas eine Reserve?
DIR Gespräche im Ukrainekonflikt: Kreml prüft Antwort der Nato
Die Nato und die USA haben jeweils schriftlich auf Forderungen Moskaus
geantwortet. Nächstes Treffen im Normandie-Format soll in Berlin
stattfinden.
DIR Gestoppte Lieferungen und leere Speicher: Gasknappheit legt die Türkei lahm
Iran hat seine Erdgaslieferungen an die Türkei vorübergehend eingestellt.
Zeitgleich gibt es eine heftige Kältewelle mit Schneefällen.
DIR Debatte über die Energiepolitik: Mut zum Befreiungsschlag
Kernkraftwerke sind Marathonläufer, Erneuerbare Energien Sprinter. Eine
kluge Klimastrategie setzt auf beide. Der Anti-AKW-Katechismus hat
ausgedient.
DIR Bundesregierung gegen EU-Taxonomie: Atom bremsen, Gas geben
Die Regierung lehnt die EU-Kriterien für nachhaltige Investitionen ab.
Kernkraft gehöre nicht da rein. Beim Erdgas hätte sie es aber gerne
lascher.