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       # taz.de -- Handballtrainer Alfred Gislason: Mann ohne Eitelkeit
       
       > Nationaltrainer Gislason hatte es nicht leicht während der Handball-EM.
       > Pandemiebedingt musste er ein zusammengewürfeltes Team trainieren.
       
   IMG Bild: Fels in der Brandung beim EM-Turnier: Handball-Bundestrainer Alfred Gislason
       
       Berlin taz | In den Tagen dieser Handball-Europameisterschaft hat Alfred
       Gislason jene Selbstbeschreibung gewählt: „Ich hadere nicht, jammere nicht,
       ich finde mich ab. Wir kommen aus einer Gegend, in der man schnell
       reagieren musste. Es ging darum, schnell zu sein oder tot zu sein.“
       Gislason kommt aus Akureyri im Norden Islands. Sein Bezug zu den Wikingern,
       die schnell sein mussten oder starben, kommt ohne Eitelkeit aus. Er meint
       das so. Und er hat es in Bratislava unter Beweis gestellt – natürlich ohne
       dass es dort um Leben und Tod ging.
       
       Wer den 62 Jahre alten Handball-Lehrer ein paar Jahre kennt, erinnert einen
       Rastlosen an der Bank. Gislason regte sich auf, diskutierte, war mit Mimik
       und Gestik 60 Minuten im Alarmzustand. Das sah selten schön aus. Er trieb
       seine Mannschaften mit voller Kraft an. Sein Ehrgeiz war unstillbar.
       Champions-League-Siege mit dem SC Magdeburg und dem THW Kiel: Gislason war
       das Beste gerade gut genug. Talente interessierten ihn nicht.
       
       Als er aufgerieben von der Bundesliga 2019 beim THW stoppte und begann,
       gemeinsam mit seiner Frau Kara das Anwesen in Wendgräben nahe Magdeburg zu
       pflegen, fragten sich viele, was dieser kantige, feinfühlige Kerl wohl
       außerhalb der Handballhalle machen würde. Gislason pflanzte und baute, er
       reparierte und erntete. Der Handball blieb immer in seinem Kopf –
       natürlich, nach mehr als 30 Jahren Bundesliga.
       
       Dann geschahen zwei Dinge.
       
       Der Deutsche Handballbund (DHB) suchte in der Nachfolge [1][Christian
       Prokops] vor zwei Jahren einen „Unterschiedstrainer“ – erfahren,
       erfolgreich. Gislason war sich da schon mit dem russischen Verband so gut
       wie einig. Entschied sich aber um, als seine zweite Heimat fragte. Nach dem
       Stress als Vereinstrainer schien er seinen Traumjob gefunden zu haben.
       Denkste. Die Pandemie zerstörte seine Planungen. Die WM in Ägypten, die
       Olympischen Spiele, nun die [2][EM in der Slowakei und Ungarn]: alles
       Turniere im Ausnahmezustand. Dass der sportliche Erfolg jeweils so gering
       war, lässt sich erklären – auch durch die fehlende Qualität im
       Nationalteam. Manchmal wirkte Gislason überrascht, wie tief sein Team
       sinken konnte.
       
       ## 15 Spielerausfälle nach positiven Tests
       
       Das war hier anders. 15 Ausfälle nach positiven Tests, eine
       zusammengewürfelte Truppe: Gislason war gnädig. Erklärte, tätschelte,
       beruhigte, tröstete: „Ich bin stolz auf die Mannschaft, obwohl sie Lehrgeld
       bezahlt hat.“ Auch den Gegnern, den Schiedsrichtern, dem Kampfgericht ist
       er milde gestimmt. Der Respekt anderer Trainer ist jederzeit spürbar, auch
       wenn die Deutschen hier auf hinteren Rängen landen und in der Hauptrunde
       kaum wettbewerbsfähig waren.
       
       Ein Fels in der Brandung ist er in den Tagen und Wochen von Bratislava, die
       den DHB kräftig durchgeschüttelt haben, und ein aufrechter Witwer: im Mai
       starb seine Frau infolge eines Hirntumors. Gislason hat offen darüber
       gesprochen; Trauer, Einsamkeit. Er trägt Karas Ehering jetzt an einer Kette
       um den Hals. Das wirkt stimmig und gar nicht aufgesetzt, wie so vieles in
       Alfred Gislasons Leben.
       
       25 Jan 2022
       
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