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       # taz.de -- Brennelementefabrik in Lingen: Atomdeal mit Russland
       
       > Die wirtschaftlich angeschlagene Uranfabrik in Lingen soll durch ein
       > Joint Venture mit der russischen Atomagentur Rosatom aufgepäppelt werden.
       
   IMG Bild: Forderten am 22.Januar 2022 die Stilllegung der Uranfabrik in Lingen: rund 150 Demonstrant*innen
       
       Göttingen taz | Rund 150 Menschen waren es, die sich bei Schmuddelwetter am
       vergangenen Samstag in Lingen zur Demo versammelten. Der Protest richtete
       sich – wie schon öfter in den vergangenen Monaten – gegen die Lingener
       Brennelementefabrik „Advanced Nuclear Fuels“ (ANF). Sie verfügt
       bekanntlich, ebenso wie die Urananreicherungsanlage im westfälischen
       Gronau, über eine unbefristete Betriebsgenehmigung und ist vom deutschen
       Atomausstieg ausgenommen.
       
       [1][Die bundesweit einzige Fabrik dieser Art] beliefert Atomkraftwerke in
       halb Europa mit „frischem“ Brennstoff, darunter die belgischen Pannenmeiler
       von Tihange und Doel, das ebenso störfallträchtige AKW Cattenom in
       Frankreich und den neuen „Sorgenreaktor“ Olkiluoto 3 in Finnland.
       
       ANF Lingen gehört der Framatome, einer Tochter des staatlich dominierten
       französischen Energiekonzerns Èlectricité des France (EdF). Weniger bekannt
       ist, dass die nicht ausgelastete und wirtschaftlich angeschlagene
       Uranfabrik durch ein Joint Venture mit der russischen Atomagentur Rosatom
       aufgepäppelt werden soll. Konkret geplant ist laut Spiegel, dass die
       Rosatom-Tochter TVEL 25 Prozent an der Brennelementefabrik übernimmt.
       
       In Russland leitet die 1992 vom heutigen Präsidenten Vladimir Putin als
       Nachfolger des sowjetischen Ministeriums für Nukleartechnik und
       Nuklearindustrie mitgegründete Behörde Rosatom die zivile und militärische
       Atomindustrie des Landes und hat damit die Aufsicht über rund 150
       Produktionsstätten. Nach Schätzungen von Experten des EU-Parlaments
       kontrolliert die Agentur 96 Prozent des nuklearen Materials in Russland.
       Rosatom untersteht direkt der russischen Regierung.
       
       ## Eine Genehmigung der Zusammenarbeit steht aus
       
       Framatome hatte die Kooperations-Pläne in Lingen zwar bereits im
       vergangenen Februar angekündigt, sie fanden bislang aber nur wenig
       öffentliche Beachtung. Im März stimmte das Bundeskartellamt dem Joint
       Venture zu. Bei ausländischen Beteiligungen an sicherheitsrelevanten
       Unternehmen ist zudem eine Genehmigung durch das
       Bundeswirtschaftsministerium erforderlich, die allerdings noch aussteht.
       
       Anders als viele Grüne, die sich mehrfach und auf verschiedenen Ebenen
       gegen das Joint Venture ausgesprochen haben, hat sich Noch-Parteichef und
       Wirtschaftsminister Robert Habeck noch nicht öffentlich zu der Causa
       geäußert.
       
       [2][Das mögliche Joint Venture mit Rosatom] sorgt in der Region für heftige
       Bedenken. „Zukünftig wollen Frankreich und Russland also auf ihrem
       gemeinsamen Außenposten im Emsland nuklearen Brennstoff für Atomkraftwerke
       weltweit herstellen – im Land des Atomausstiegs, hier in Lingen“,
       kritisiert das Bündnis „Atomkraftgegner:innen im Emsland“ (Agiel), das
       gemeinsam mit anderen Initiativen zu der Demonstration am Samstag
       aufgerufen hatte. Die Initiative befürchtet durch den möglichen Deal mehr
       Transporte von nuklearen Materialien und damit eine höhere Gefahr etwa
       durch Unfälle.
       
       „Ein ganz wichtiger Punkt ist außerdem, dass wir uns von dem kompletten
       Atomausstieg dann wieder weiter entfernen, sagt Agiel-Sprecher Alexander
       Vent. „Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie diese Atomkooperation
       unterbindet und stattdessen die Stilllegung der Atomanlage in Lingen
       einleitet.“
       
       Die Aktivist:innen von Agiel weisen auch darauf hin, dass die russische
       Atomindustrie Teile ihrer eigenen Brennelementeproduktion nach Deutschland
       auslagern könnte – unter anderem, um EU-Sanktionen im nuklearen Bereich zu
       unterlaufen. Framatome und Rosatom arbeiten bereits an anderen Standorten
       zusammen. Sie wollen unter anderem den zwischenzeitlich als gescheitert
       betrachteten AKW-Bau im bulgarischen Belene wiederbeleben. Mit diesen
       Aktivitäten, so Agiel, formten Frankreich und Russland „eine Allianz für
       eine neue nukleare Expansion“.
       
       ## Militärische Nutzung ausgeschlossen?
       
       Der [3][Träger des Alternativen Nobelpreises 2021, Vladimir Slivyak] von
       der russischen Umweltorganisation Ecodefense, lehnt die Beteiligung der
       russischen Atomindustrie an der Brennelemente-Produktion ebenfalls strikt
       ab. Bei dem Joint Venture geht es seiner Meinung nach nicht vorrangig um
       wirtschaftliche Interessen. Er glaubt vielmehr, dass die russische
       Regierung so mehr Kontrolle über den europäischen Energiemarkt gewinnen
       will. Mit Blick auf die Kooperation in Lingen sagte Slivjak, es sei nicht
       sicher, dass das nukleare Material nicht für militärische Zwecke genutzt
       werde.
       
       Die Regierungen Russlands und Frankreichs müssten den Atomausstieg in
       Deutschland respektieren und die Bundesregierung die Kooperation
       unterbinden, heißt es [4][in einer Resolution von rund 80 Initiativen] und
       Verbänden aus Deutschland, Frankreich und Russland. ANF und Rosatom ließen
       Anfragen zu dem Joint Venture unbeantwortet.
       
       29 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Deutsche-Atomexporte/!5757395
   DIR [2] /Atom-Fabrik-in-Lingen/!5771712
   DIR [3] /Alternativer-Nobelpreis-fuer-Aktivisten/!5804898
   DIR [4] https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/Kein_Joint_Venture_Framatome_Rosatom_in_Lingen.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reimar Paul
       
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