# taz.de -- Die Wochenvorschau für Berlin: Angst, wie es weitergeht
> Von Verweigerung ist diese Woche die Rede, und wo man sich in der
> Vergangenheit eben nicht verweigert hat. Und neue Lieder gibt es auch zu
> hören.
IMG Bild: Gruppenbild mit Sitzmöbel: Tocotronic wünschen „Nie wieder Krieg“
Diese Woche wird der Pop wieder ein Stückchen vorangebracht, ein neues
Album von Tocotronic erscheint, mit dem Albumtitel hat die Band einen
Slogan gewählt, auf den sich schon sehr viele einigen können: [1][„Nie
wieder Krieg“]. Am Freitag wird das Album in einem [2][Streamingkonzert aus
dem SO36] vorgestellt.
Und alle wird man ja sowieso nie hinter sich kriegen.
Trotz der neuen Ware möchte man zur Wochenbeschau doch in ein älteres Lied
von Tocotronic reinhorchen: „Sag alles ab/ Geh einfach weg/ Halt die
Maschine an und frag nicht nach dem Zweck“, hieß es 2007 bei der
schulbildenden Band, ein Lob der Verweigerung, das gleich mit Bartleby
zusammengedacht wurde, der Erzählung von Herman „Moby Dick“ Melville. Fünf
recht eindeutige Worte machten sie berühmt, nämlich dieses „I would prefer
not to“, mit der sich Bartleby höflich aller weiterer Mitarbeit verweigert.
„Ich möchte lieber nicht“ – vor ein paar Jahren war das eine beliebte
rhetorische Figur in den Feuilletons.
Die Verweigerung. Pathetisches Heldentum oder das trotzköpfige „Ich esse
meine Suppe nicht“. Kann auch nicht schaden, zu schauen, was aus welchen
Gründen verweigert wird. Der Verweigerung – Motto: „for refusal“ – widmet
sich die Transmediale, in einem zweitägigen Symposium will das
[3][Medienkunstfestival im Livestream] aus dem Haus der Kulturen der Welt
am Freitag und Samstag danach schauen, welche Möglichkeiten sie eröffnen
kann.
Festgeschrieben in Berlin hat sich der Verweigerungsheilige Bartleby auch
mit dem [4][Projekt Haus Bartleby], das als „Zentrum für
Karriereverweigerung“ den Kapitalismus in die Zange nehmen wollte. Später
machten sich ehemalige Haus-Bartleby-Aktivisten mit den [5][Hygienedemos
einen Namen], proklamiert wurde, dass die Coronaregeln ein übler Angriff
auf das Menschenrecht seien, andere Haus-Bartleby-Aktivisten distanzierten
sich. Und wer will, kann es natürlich als ein verschwörungstheoretisches
Orakel sehen, wenn man in einem beliebten Suchprogramm mit den Begriffen
„Verweigerung“ und „Berlin“ gleich als erstes Ergebnis bei den
Coronamaßnahmen und dem [6][Bußgeldkatalog zur Ahndung von Verstößen] beim
Infektionsschutz landet.
Aber Masken und das ganze Drumherum sind halt das Thema der Zeit mit
Vorschriften, die manche unbedingt als faschistische Zwangsmaßnahme
wahrnehmen wollen.
Unvergangene Vergangenheit. Am Mittwoch ist Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier in Oranienburg. Er besucht dort die Gedenkstätte KZ
Sachsenhausen und legt einen Kranz nieder. Er macht dies mit Blick auf den
Tag des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus, der am 27. Januar –
dem Tag der Befreiung von Auschwitz – begangen wird. An dem Donnerstag wird
am Landgericht Neuruppin auch ein Prozess gegen einen ehemaligen
KZ-Wachmann fortgesetzt. Der Angeklagte soll in Sachsenhausen wissentlich
und willentlich Hilfe zur Ermordung von Lagerinsassen in 3.518 Fällen
geleistet haben. Faschistischer Zwang.
Verweigert hat sich der Mann jedenfalls nicht.
Der Verweigerungsrundlauf der Transmediale mit KünstlerInnen,
TheoretikerInnen und AktivistInnen, die sich in ihren Arbeiten der
Verführung technologischer Versprechungen widersetzen, ist übrigens als
„Binge-Watching-Veranstaltung“ annonciert. Und dieses Exzess-Angebot
„Binge“ sollte reichen, um damit auf eine verschrobene Band mit dem schön
spinnerten Namen Hildegard von Binge Drinking zu kommen. Ein im Nonnenhabit
antretendes Duo mit krautrockig bollerndem Electro. Hat gleichfalls gerade
neue Musik im Angebot für die Nischen, die es neben Tocotronic doch auch
geben muss. „Ich habe Angst, ob es weitergeht. Ich habe Angst, wie es
weitergeht. Ich habe Angst, dass es weitergeht“, heißt es da in dem Lied
„Angst“. Und: [7][“Spürst sie auch du?“]
24 Jan 2022
## LINKS
DIR [1] /Neues-Album-der-Band-Tocotronic/!5827238
DIR [2] https://www.tocotronic.de/
DIR [3] https://transmediale.de/de
DIR [4] /Berliner-Schlendrian/!5371283
DIR [5] /Verschwoerungsideologe-Anselm-Lenz/!5760168
DIR [6] https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/bussgeldkatalog/
DIR [7] https://hildegardvonbingedrinking.bandcamp.com/track/angst
## AUTOREN
DIR Thomas Mauch
## TAGS
DIR Wochenvorschau
DIR Tocotronic
DIR Holocaust-Gedenktag
DIR Frank-Walter Steinmeier
DIR Schwerpunkt Tag der Befreiung
DIR NS-Opfer
DIR Independent
DIR Verschwörungsmythen und Corona
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Streit um Straßennamen in Oranienburg: Erinnerungswerter Name?
Ein Opfer kann sich auch mit Tätern gemein machen. Im Streit über die
Gisela-Gneist-Straße hält Kommission aber am umstrittenen Namen fest.
DIR Streit um Gräber aus der Nazizeit: Die Stadt, die Bahn und der Tod
Archäolog*innen haben in Bremen Skelette sowjetischer
Zwangsarbeiter:innen entdeckt – genau dort, wo eine Bahnwerkstatt
entstehen soll.
DIR Neues Album der Band Tocotronic: Kräuter der Provinz
Liebe schaltet dich stumm: Auf dem neuen Album von Tocotronic trifft sehr
viel Gefühl auf kratzigen Garagenrock. Es heißt „Nie wieder Krieg“.
DIR Coronaproteste in Berlin: Der rechte Virus
Am Montag demonstrierten wieder Coronaleugner, auch in Berlin. Eine
rechtsextreme Gruppierung profitiert von den Protesten.