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       # taz.de -- Syrien-Verbrechen vor Gericht: Urteile nur in Deutschland
       
       > Während Assad-Folterern in Koblenz der Prozess gemacht wird, kommen
       > Angeklagte in Frankreich möglicherweise davon.
       
   IMG Bild: Eingang zum „Kassationshof in Paris, am 24. November wurde dort die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt
       
       Koblenz/Berlin taz | Als die beiden Koblenzer Angeklagten 2019 in
       Deutschland festgenommen wurden, agierten die deutschen Behörden nicht
       allein. Ein gemeinsames deutsch-französisches Team hatte jahrelang die
       sogenannten „Caesar Files“ ausgewertet – Fotodateien über den Foltertod
       Tausender Häftlinge des syrischen Assad-Regimes, die 2014 außer Landes
       geschmuggelt worden waren.
       
       Die Ermittler identifizierten mutmaßliche Täter auf deutschem und
       französischem Staatsgebiet. Gemeinsam schlugen sie am 12. Februar 2019 zu:
       In Deutschland [1][wanderten Anwar R. und Eyad A. in Haft], in Frankreich
       der syrische Exsoldat Abdulhamid C.
       
       Doch während in Deutschland nun die Urteile gefallen sind, kommt es in
       Frankreich gegen Abdulhamid C. nicht einmal zum Prozess. Die Pariser
       Staatsanwaltschaft erhob zwar Anklage wegen Verbrechen gegen die
       Menschlichkeit, doch am 24. November 2021 lehnte der „Cour de Cassation“ in
       Paris, vergleichbar mit dem deutschen Bundesgerichtshof, die Eröffnung des
       Hauptverfahrens ab.
       
       Die Begründung: Syriens Strafgesetzbuch kennt den Rechtsbegriff „Verbrechen
       gegen die Menschlichkeit“ nicht, auf dem die Anklage beruht. Juristisch
       meint dieser Begriff Straftaten wie Mord oder Folter als Teil eines
       „ausgedehnten oder systematischen Angriffs“ auf die Zivilbevölkerung. Als
       „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ könne Frankreich solche Taten im
       Ausland aber nur ahnden, wenn auch der betroffene Staat diesen
       Rechtsbegriff anerkennt, urteilte der Kassationshof – und das tue Syrien
       nicht.
       
       ## Unklare Zuständigkeiten
       
       Als Einzelverbrechen seien die Taten in Syrien durchaus strafbar, aber
       dafür sei Frankreich wiederum nicht zuständig, da das französische
       Weltrechtsprinzip sich auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit
       und Kriegsverbrechen beschränkt.
       
       Der Fall geht jetzt zurück an die untere Instanz, und Menschenrechtler sind
       entsetzt: Es genüge nun, dass ein Verbrecherregime Völkerstraftaten nicht
       anerkenne, damit dessen Täter in Frankreich straffrei bleiben, warnte die
       „Fédération Internationale des Droits de l'Homme“ (FIDH).
       
       In Deutschland hingegen wird in der kommenden Woche ein weiterer Prozess
       wegen in Syrien begangener Verbrechen eröffnet, dieses Mal vor dem
       Frankfurter Oberlandesgericht. Angeklagt ist Alaa M., der [2][als Arzt in
       Syrien Verbrechen gegen die Menschlichkeit] begangen haben soll. Anders als
       die beiden in Koblenz Verurteilten soll M. selbst an Folterungen beteiligt
       gewesen sein.
       
       Konkret wird ihm vorgeworfen, im Dienste des Assad-Regimes in
       Militärkrankenhäusern in Homs und Damaskus Inhaftierte geschlagen und
       getreten zu haben, auch soll er die Geschlechtsteile von Gefangenen mit
       Alkohol übergossen und dann angezündet haben, Opfer soll unter anderem ein
       14 oder 15 Jahre alter Junge gewesen sein.
       
       ## Als Arzt in Deutschland weiter gearbeitet
       
       Insgesamt geht um es Folter in 18 Fällen, zudem soll M. einen Gefangen
       getötet, einem weiteren nach einem epileptischen Anfall ein Medikament
       verabreicht haben, wonach dieser starb. M. kam 2015 nach Deutschland, bis
       zu seiner Festnahme im Juni 2020 soll er als Arzt in Hessen gearbeitet
       haben. Er bestreitet seine Schuld.
       
       In Untersuchungshaft in Berlin sitzt zudem Mouafak Al D., ein mutmaßliches
       Mitglied der Assad-treuen Miliz „Free Palestine Movement“. Ihm wird
       siebenfacher Mord und gefährliche Körperverletzung in drei Fällen
       vorgeworfen.
       
       Al D. soll im März 2014 im Stadtviertel Al Yarmouk in Damaskus aus einer
       Panzerabwehrwaffe eine Granate auf eine Menschenmenge gefeuert haben, die
       Zivilst:innen warteten auf die Ausgabe von Lebensmittelpaketen durch
       die UN.
       
       Nach Angaben der Ermittler hatte das Regime das aus einem palästinensischen
       Flüchtlingslager entstandene Stadtviertel zwischen Juli 2013 und April 2015
       vollständig abgeriegelt und ließ es von bewaffneten Milizen kontrollieren.
       In der Folge mangelte es dort an Wasser, Nahrung und medizinischer
       Versorgung. Wann sich Al D. vor Gericht verantworten muss, ist noch nicht
       bekannt.
       
       13 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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   DIR Dominic Johnson
       
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       als Arzt.