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       # taz.de -- Prozessbeginn in Frankfurt: Foltervorwürfe gegen syrischen Arzt
       
       > Alaa M. steht ab Mittwoch vor Gericht wegen Verbrechen gegen die
       > Menschlichkeit. Statt zu heilen, soll der Mediziner gefoltert und getötet
       > haben.
       
   IMG Bild: Fotos von Syriens Präsident Baschar al Assad an einer Hauswand in Homs, Juni 2014
       
       Berlin taz | Myhd Fajr A. meint den Mann erkannt zu haben, den er für den
       Tod seines Bruders verantwortlich macht. Gemeinsam wurden die beiden Brüder
       im Herbst 2011 in Homs von Schergen des syrischen Geheimdienstes
       festgenommen. Sie sollen sich an einer Demonstration gegen das Regime von
       Baschar al-Assad beteiligt haben. Sie landeten im Gefängnis, man könnte
       auch sagen: in einem Folterknast.
       
       Der Bruder bekam einen epileptischen Anfall, seine Medikamente aber hatte
       er nicht dabei, so hat es A. Ermittlern des Bundeskriminalamtes erzählt. In
       seiner Not verständigte er einen Arzt und teilte ihm mit, welches
       Medikament gebraucht werde.
       
       Doch statt zu helfen, habe der Arzt dem Bruder ins Gesicht geschlagen,
       sodass dieser zu Boden ging. Dann habe er ihn mit einem grünen
       Plastikschlauch verprügelt und gegen den Kopf getreten. „Ist es das, was
       Sie wollen?“, soll er dabei gesagt haben. Zwei Tage später habe der Arzt
       gefordert, dass der „Epileptiker“ zu ihm gebracht werde. Weil dieser zu
       schwach zum Gehen war, trugen A. und ein Mitgefangener ihn.
       
       Der Arzt habe dem Bruder gewaltsam eine Pille verabreicht, kurze Zeit
       später habe sich dieser nicht mehr bewegt. Später hätten die Wachleute den
       leblosen Körper weggebracht. Noch am selben Tag sei der Bruder gestorben.
       
       ## Folter in 18 Fällen und ein Mord
       
       Bald wird Myhd Fajr A. dem Mann gegenüberstehen, dem er die Schuld daran
       gibt. In Saal 165c des Frankfurter Oberlandesgerichts. Am Mittwoch wird
       hier der Prozess gegen Alaa M., 36, Facharzt für Orthopädie und
       Familienvater, eröffnet. Der Generalbundesanwalt hat ihn wegen Verbrechen
       gegen die Menschlichkeit angeklagt. Myhd Fajr A. ist Nebenkläger in dem
       Prozess und wird als Zeuge aussagen.
       
       Alaa M. wird Folter in 18 Fällen und auch ein Mord zur Last gelegt. In
       diesem Fall soll ein Gefangener versucht haben, sich zu wehren. Daraufhin
       hätten Wachmänner diesen festgehalten, M. habe ihm eine Spritze verpasst,
       wenige Minuten später soll der Mann tot gewesen sein. Auch soll M. in zwei
       Fällen versucht haben, anderen die Fortpflanzungsfähigkeit zu rauben.
       
       Was schon im juristischen Fachjargon furchtbar klingt, muss für die
       mutmaßlichen Opfer die Hölle gewesen sein. M. soll zwei Männern Alkohol
       über den Penis gegossen und diesen dann angezündet haben. Sein jüngstes
       Opfer soll zwischen 15 und 16 Jahre alt gewesen sein. Auch Wunden von
       Inhaftierten soll er in Brand gesteckt haben.
       
       Mit Alaa M. hat Generalbundesanwalt Peter Frank erstmals einen Mann
       angeklagt, der in Syrien selbst gefoltert haben und bis heute zum
       Assad-Regime stehen soll. Es ist erst der zweite Prozess in Deutschland und
       auch weltweit, in dem sich Mitarbeiter des Assad-Regimes vor Gericht
       verantworten müssen.
       
       ## Die Militärkliniken im Fokus
       
       Das Oberlandesgericht in Koblenz [1][hat bereits zwei Syrer wegen
       Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.] Dabei hat es ausdrücklich
       festgestellt, dass das Assad-Regime nach dem Beginn der Proteste im März
       2011 begann, „einen ausgedehnten und systematischen Angriff auf die
       Zivilbevölkerung“ zu führen – und damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit
       beging.
       
       Dass diese Prozesse in Deutschland stattfinden, liegt auch an dem im
       deutschen Strafrecht verankerten so genannten Weltrechtsprinzip. Danach
       darf die hiesige Justiz auch dann gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
       vorgehen, wenn weder Täter noch Opfer Deutsche sind.
       
       Alaa M. soll als Arzt für den Militärgeheimdienst gearbeitet haben, unter
       anderem in dem Gefängnis in Homs, in dem die Brüder A. einsaßen. Zudem
       hätte er in zwei Militärkrankenhäusern gearbeitet, Nr. 608 in Homs und
       Mezzeh Nr. 601 in Damaskus.
       
       In den syrischen Militärkrankenhäusern soll laut Anklägern systematisch
       gefoltert worden sein. Ihre Bedeutung in der Foltermaschinerie des Regimes
       wird in dem Prozess wohl besonders durchleuchtet werden. Medizinische
       Behandlungen dienten laut Anklägern demnach nicht der Heilung der
       Inhaftierten, sondern nur dazu, diese für weitere Vernehmungen und
       Folterungen am Leben zu halten.
       
       ## In Massengräbern verscharrt
       
       Auch sollen Ärzte in der Ausbildung Operationen an Gefangenen durchgeführt
       haben. Im Militärkrankenhaus in Harasta soll das Pflegepersonal
       Kaliumampullen bei sich gehabt haben, um Gefangene jederzeit töten zu
       können.
       
       Wenn Gefangene ums Leben kamen, wurden sie auf dem Boden liegen gelassen,
       bis Militärfotografen sie fotografiert und registriert hatten. Danach
       wurden sie in riesigen Massengräbern verscharrt oder in seltenen Fällen
       ihren Angehörigen unter Angabe falscher Todesursachen übergeben. „Caesar“,
       ein desertierter Militärfotograf, hatte Aufnahmen von über 6.000 in Haft
       ums Leben gekommenen Gefangenen [2][aus Syrien herausgeschmuggelt und
       veröffentlicht.] In dem Prozess in Koblenz wurden sie erstmals als
       Beweismittel eingeführt.
       
       Während die beiden dort verurteilten Syrer desertierten, soll Alaa M.
       weiter Anhänger von Baschar al-Assad sein. Den Ermittlern liegt eine E-Mail
       vor, die M. im Mai 2020 an die syrische Botschaft in Berlin geschrieben
       haben soll. Darin versicherte er, dass er „stolz“ sei, einem Land unter der
       Führung von Assad anzugehören. Nach Aussagen von Zeugen soll M. Inhaftierte
       als „Hunde“, „Terroristen“ und „Saboteure“ beschimpft haben.
       
       M. hat bis zu seiner Festnahme im Juni 2020 in Deutschland fünf Jahre lang
       als Arzt gearbeitet, zuletzt in einer hessischen Rehaklinik. Er bestreitet
       alle Vorwürfe. Der Prozess ist zunächst bis Ende März terminiert, wird
       vermutlich aber deutlich länger dauern.
       
       19 Jan 2022
       
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