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       # taz.de -- Im Gespräch mit einer Impfgegnerin: Sabine hofft auf Omikron
       
       > Die Impffrage spaltet. Umso mehr gilt es, im Gespräch zu bleiben, findet
       > unsere Autorin. Sie traf Sabine – die ist ungeimpft und will es bleiben.
       
       Wäre ich mit Sabine in einem Café oder einem Geschäft zufällig ins Gespräch
       gekommen, es hätte sich wohl schnell ein vertrautes Gefühl eingestellt. Wir
       leben beide im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, sind beide
       ungefähr Mitte 40 und Akademikerinnen. Wir haben beide zwei Kinder. Sabine
       hat früher im Kulturbereich gearbeitet und will jetzt Lehrerin werden, ich
       kenne einige, die wie sie in den Lehrerjob wechseln. Sabine hatte lange die
       taz abonniert, ich arbeite bei der taz.
       
       Wir haben also viel gemeinsam. Und doch stehen wir auf verschiedenen
       Seiten. Denn Sabine ist ungeimpft und will es auch bleiben.
       
       So sitzen wir an einem Nachmittag Mitte November, getestet und mit Abstand,
       ganz oben im taz-Haus. Nach einem ruhigen Sommer steigt die Inzidenz in
       diesen Wochen deutlich, vor allem in Sachsen, Thüringen und Bayern. Das
       Unverständnis gegenüber Leuten wie Sabine ist groß, auch in der
       taz-Redaktion, auch bei mir. In politischen Talkshows wird hart diskutiert,
       in den sozialen Medien über die „Schwurbler“ und „Covidioten“ geschimpft.
       Die Impfgegner:innen wiederum verhöhnen die Mehrheit, die blind der
       Pharmalobby folge. Die Spaltung geht durch Freundeskreise und Familien. Ist
       bei privaten Begegnungen jemand nicht geimpft, steht schnell ein
       unangenehmes Schweigen im Raum. Weil man schon ahnt, dass ein Austausch
       schwierig würde und die Entfremdung offensichtlich.
       
       Sabine und ich wollen versuchen, miteinander zu reden. Einmal, vielleicht
       auch mehrmals. Sie hat den Eindruck, dass Impfkritiker:innen in den
       Medien zu wenig Gehör finden. Ich wiederum habe Fragen: Sieht sie
       angesichts der vielen Ungeimpften auf den Intensivstationen nicht, dass die
       Entscheidung gegen das Impfen schwere Folgen hat für alle? Was meint sie,
       wie wir aus der Pandemie jemals herauskommen sollen, wenn nicht durchs
       Impfen? Ich möchte auch verstehen, wie sich der gesellschaftliche Druck auf
       Sabines Leben auswirkt. Was es im Alltag inzwischen heißt, ungeimpft zu
       sein.
       
       Wir wissen beide nicht, ob das Gespräch entgleisen wird. Es steht keine
       Freundschaft auf dem Spiel. Wir sehen uns an diesem Tag zum ersten Mal,
       eine Bekannte hat den Kontakt vermittelt.
       
       „Tragen wir weiter Maske oder nicht?“, frage ich. In Strickjacke und Jeans
       sitzt Sabine mir gegenüber. Die langen Haare hat sie hinten
       zusammengebunden. Sie lacht. „Ich habe keine Angst vor Corona“, sagt sie,
       ihretwegen könnten wir die Masken ruhig abnehmen. Wir duzen uns
       automatisch. Sabine heißt in Wirklichkeit anders. Weil Impfgegner:innen
       derzeit angefeindet werden, trägt sie in diesem Text einen anderen Namen.
       
       Sabine wirkt umgänglich und freundlich. Sie redet ruhig, selbst wenn sie
       etwas empört. Dann zieht sie missbilligend die Augenbrauen zusammen. Zum
       Beispiel, wenn sie über 2G spricht. Wir hätten uns für das Gespräch nicht
       in einem Café treffen können, weil sie nicht mehr hinein darf. Das
       empfindet sie als Schikane. „Wir müssen draußen bleiben, als wären wir
       Hunde.“
       
       Normalerweise geht Sabine regelmäßig ins Schwimmbad. Als Jugendliche hatte
       sie einen Autounfall beim Trampen, dabei hat sie sich den Rücken gebrochen.
       „Ich brauche das Schwimmen, sonst habe ich Schmerzen.“ Doch auch das Bad
       ist ab Mitte November nur noch mit Impfnachweis zugänglich. „Das ist für
       mich wirklich ein Verlust.“
       
       Für 2G gibt es Gründe. Delta ist im November die verbreitete
       Coronavariante. Wenn Ungeimpfte weniger Kontakte haben, gibt es weniger
       schwere Verläufe, die Kliniken werden dann nicht so schnell überlastet.
       Geimpfte [1][infizieren sich bei Delta] zudem seltener und sind, wenn sie
       sich doch infizieren, kürzer ansteckend als Ungeimpfte, heißt es vom Robert
       Koch-Institut.
       
       Sabine sagt, sie lasse sich immer testen, um Ansteckungen zu vermeiden.
       „Damit habe ich kein Problem.“ So aber fühlt sie sich ausgegrenzt. „Wir
       diskriminieren jetzt nicht mehr nach Hautfarbe oder nach Geschlecht,
       sondern nach Lebensentscheidung.“ Sich doch impfen zu lassen, um ins
       Restaurant oder ins Bad zu können, kommt für sie nicht in Frage. „Ich lasse
       mich nicht erpressen.“
       
       Sabine hat ein gespaltenes Verhältnis zur herkömmlichen Medizin. Sie hatte
       früher mit einer chronischen Entzündung zu kämpfen. Antibiotika und
       Kortison halfen irgendwann nicht mehr, die Ärzte sagten ihr, sie sei
       austherapiert. Sie wandte sich an eine Homöopathin, danach ging es ihr
       besser, erzählt sie. „Ich kann das auch nicht erklären, aber ich bin total
       glücklich, dass ich seitdem wieder ein funktionierendes Immunsystem habe.“
       
       Impfungen seien eine tolle Erfindung, sagt sie, doch immer auch ein
       Eingriff. Ihre Kinder hat sie gegen Masern impfen lassen, aber nicht gegen
       Mumps und Röteln. „Bisher war es immer möglich, dass ich selber einen Weg
       finden durfte.“
       
       Dann kam Corona. Die Bilder aus Bergamo hätten sie getroffen, sagt Sabine.
       Die Lockdowns hielt sie für notwendig. „Ich dachte auch, dass ich mich wohl
       impfen lassen muss.“ Das änderte sich im vergangenen Jahr. Sie hatte im
       Sommer das Studium fertig und hörte Podcasts von Biologen und Medizinern
       aus den USA. Bei Youtube stieß sie auf ein Video über Ivermectin, ein
       Medikament, das normalerweise zur Behandlung von Krätze oder Würmern
       eingesetzt wird. Ivermectin helfe auch sehr gut bei Covid, hieß es in dem
       Video. Kurz darauf wurde es gelöscht.
       
       ## Der Hype um Ivermectin
       
       Tatsächlich gab es 2021 in den USA einen Hype um Ivermectin. Eine Gruppe
       von Ärzten pries das Medikament als Wunderwaffe gegen Corona, es wirke auch
       präventiv. Weder die WHO noch die amerikanische Gesundheitsbehörde
       bestätigen bis heute eine Wirksamkeit. Trotzdem besorgten sich viele
       US-Amerikaner das Arzneimittel und nahmen es, in Kliniken mussten Menschen
       [2][wegen Vergiftungen] behandelt werden.
       
       Es gibt also Gründe, warum Beiträge über den angeblichen Nutzen des
       Medikaments gelöscht wurden. Sabine aber machte die „Zensur“, wie sie es
       nennt, misstrauisch. Sie suchte und fand weitere positive Berichte über
       Ivermectin, die kurz darauf entfernt wurden, und war bald überzeugt, dass
       Ivermectin hilft, aber diese Information unterdrückt werden soll. „Das ist
       auch total leicht zu erklären: Mit einem Medikament, das schon lange auf
       dem Markt ist, ist kein Geld zu machen.“
       
       Sabine glaubt, dass es ein wirksames Medikament gibt, dass Politik und
       Wissenschaft dieses Mittel den Menschen aber vorenthalten, weil der
       Patentschutz längst abgelaufen ist und es – anders als die Impfung – keinen
       Profit bringt. Dass Biontech und Pfizer an der Impfung verdienen, stimmt.
       Aber glaubt Sabine wirklich, dass die Impfung allein aus Geschäftsgründen
       durchgesetzt wird? Die Pharma-Lobby sei stark, sagt sie, ihr erscheine das
       plausibel.
       
       Sabine beschäftigte sich auch mit den mRNA-Impfstoffen, die sie sehr
       kritisch betrachtet: „Man kann das guten Gewissens eine Gentherapie
       nennen“, sagt sie. Gentherapie hieße, dass die DNA im Zellkern verändert
       würde. Das sei sehr unwahrscheinlich, heißt es dazu [3][vom
       Paul-Ehrlich-Institut], dafür bestehe „kein erkennbares Risiko“. Sabine
       überzeugt das nicht. Sie sagt: „Das möchte ich mir erst mal ein paar Jahre
       angucken.“
       
       In der Gesellschaft ist Sabine mit dieser Haltung in der Minderheit. Sie
       muss sich gegen Kritik wappnen, vielleicht liest sie deshalb so viel zum
       Thema. Nicht nur in den gängigen Medien, auch auf Seiten wie dem
       Onlinemagazin Multipolar. Dort findet man Artikel darüber, dass die Medien
       hauptsächlich Regierungspropaganda lieferten oder dass die Zahl der
       Coronapatienten in den Krankenhäusern massiv übertrieben sei.
       
       Auch in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis ist Sabine eine Ausnahme. Ihr
       Mann will sich wie sie nicht impfen lassen, ihre engsten Freunde sind
       jedoch geimpft. „Sie finden es legitim, dass ich es nicht möchte“, erzählt
       sie. Wenn sie sich treffen, testet sich Sabine vorher, selbst wenn die
       Freunde das nicht von ihr verlangen.
       
       Es gibt auch andere Erlebnisse, etwa mit ihrer Nachbarin. Die Kinder sind
       im gleichen Alter, Sabine wurde sonst immer zu ihrem Geburtstag eingeladen.
       Dieses Jahr nicht. „Darf ich keine andere Meinung mehr haben? Das hat mich
       echt getroffen“, sagt sie.
       
       Sabine hat traditionell die Grünen gewählt. Im September, als in Berlin
       Bundestag und Abgeordnetenhaus gewählt wurden, nicht mehr. „Das ging gar
       nicht. Die Grünen haben so gehetzt. Sie haben alle, die sich nicht impfen
       lassen wollen, als faul und dumm dargestellt.“ Es erschrecke sie, dass sie
       ihre Position bei Corona am ehesten von der AfD vertreten sehe, die würde
       sie nie wählen. Sabine verteilte ihre Stimmen schließlich auf Die Partei
       und die Linkspartei. „Was Sahra Wagenknecht sagt, kann ich zu hundert
       Prozent unterschreiben.“
       
       Es ist kalt in dem Raum, in dem wir sitzen, ich muss niesen. „Ich könnte
       jetzt Angst haben, dass du irgendwas hast. Man darf ja nicht mal mehr
       husten, ohne dass der neben einem böse wird“, sagt Sabine. Sie glaubt, dass
       die Angst vor Corona die Gesellschaft verändert. „Das ist wie bei Kindern.
       Du kannst Kindern Angst machen, dann gehorchen sie eher. Aber langfristig
       hast du ein verängstigtes Kind.“
       
       Sie verweist auf ein [4][Papier des Innenministeriums] vom März 2020.
       Tatsächlich formulierte die Bundesregierung darin, dass man den Menschen
       Angst machen müsse, damit Corona nicht verharmlost werde. Um „die
       gewünschte Schockwirkung zu erzielen“, solle die „Urangst“ des Erstickens
       bedient werden, heißt es unter anderem. [5][Die taz hat damals] über das
       Papier berichtet. Auch mich befremden solche Formulierungen, Angst ist kein
       gutes Mittel in der Politik. Ich wende aber ein, dass die Regierung zu
       Beginn der Pandemie nicht wusste, wie schlimm es noch werden würde.
       
       Wir diskutieren auch über die Situation in den Kliniken. Die Mehrheit der
       Menschen auf den Intensivstationen ist ungeimpft, sie sind eine enorme
       Belastung für Pflegende und Ärzte, sage ich. Wichtige Behandlungen und
       Operationen werden ihretwegen verschoben. Wer sich nicht impfen lässt,
       gefährdet also nicht nur das eigene Leben. Wie kann sie das verantworten?,
       möchte ich wissen. Sabine bezweifelt die Statistiken, sie betont, dass auch
       viele Geimpfte auf den Intensivstationen liegen. Eine Überlastung habe es
       nicht gegeben, behauptet sie. Und wenn die Kliniken doch vor der
       Überlastung stünden, müsse man das Gesundheitssystem besser ausstatten,
       statt Betten abzubauen.
       
       Es geht hin und her, bei diesem Thema wirkt Sabine auf mich etwas
       unsicherer als zuvor. Am Ende verweist sie auf sich selbst. „Ich bin nicht
       70 Jahre alt, ich bin kein Raucher, ich habe keine Vorerkrankungen. Mein
       Risiko, auf der Intensivstation zu landen, ist nicht besonders hoch. Dann
       möchte ich bitte selbst entscheiden, ob ich mir eine neumodische Medizin
       spritzen lasse oder nicht.“ Sollte Corona sie erwischen, habe sie sich zur
       Sicherheit Ivermectin besorgt, das würde einen schlimmeren Verlauf
       verhindern.
       
       Während des Gesprächs wird mir klar, dass sich die Fragen, die mich
       umtreiben, aus Sabines Sicht erübrigen. Für sie ist Corona eine große
       Panikmache. Sie geht davon aus, dass es längst ein Medikament gibt, mit dem
       schwere Verläufe und die Überlastung der Kliniken verhindert werden
       könnten. Deshalb wäre eine Impfung für sie auch kein Akt der Solidarität,
       wie viele Linke argumentieren. In ihren Augen könnte man Corona einfach
       laufen lassen, das wäre ihr Weg aus der Pandemie. Das Problem sind für sie
       die Politiker:innen, die den Interessen der Pharmalobby folgen, wie auch
       immer das genau aussehen mag, und die durch die Einschränkungen Druck
       machen auf Ungeimpfte wie sie.
       
       Nach über zwei Stunden gehen wir an diesem Nachmittag auseinander. Wir
       haben uns nicht gestritten. Aber jede ist bei ihrem Standpunkt geblieben.
       
       ## Eine Impfpflicht würde Frust erzeugen
       
       Erst danach merke ich: Die Begegnung macht etwas mit mir. Als Ende November
       in Berlin 2G auch im Einzelhandel eingeführt wird, empfinde ich keine
       Genugtuung. Früher war der erste Gedanke: Pech für die Ungeimpften, sollen
       sie sich halt endlich impfen lassen. Nun muss ich an Sabine denken. Sie
       kann weder ins Schwimmbad noch ins Café und auch nicht mehr in einen
       Klamottenladen. Weil ich weiß, dass sie die Regelungen als kränkend
       empfindet, bleibt die Schadenfreude aus.
       
       Am 30. November spricht sich Olaf Scholz, zu der Zeit noch designierter
       Bundeskanzler, erstmals für eine Impfpflicht für alle aus. Einerseits denke
       ich, dass es das vielleicht braucht, um Corona endlich in den Griff zu
       bekommen. Andererseits habe ich Sabine vor Augen. Ich kann ihr bei den
       Argumenten gegen die Impfung nicht folgen. Aber ich habe verstanden, dass
       sie ihr zutiefst widerstrebt. Sie will selbst bestimmen, was mit ihrem
       Körper passiert. Eine Impfpflicht würde Frust, Verzweiflung und Wut
       erzeugen. Nicht nur bei ihr, sondern auch bei vielen anderen, die die
       Impfung ablehnen. Ist es das wert?
       
       Ich schreibe ihr eine Nachricht, „jetzt scheint es ja doch auf eine
       Impfpflicht hinauszulaufen“. Sie antwortet prompt. „Das warten wir mal ab.
       Da müssen ja so einige Gesetze ausgehebelt werden.“
       
       Wir wollen uns im Dezember wieder verabreden, aber finden keinen Termin.
       Delta geht um in diesen Wochen, gleichzeitig wächst die Sorge vor der neuen
       Variante Omikron. Ich ergattere einen Termin für eine Boosterimpfung und
       freue mich.
       
       Ich möchte mehr wissen über Ivermectin, das Medikament, auf das Sabine
       setzt, und telefoniere mit zwei Forscherinnen des Universitätsklinikums
       Würzburg. Die Biologin Stephanie Weibel und die Ärztin Maria Popp haben im
       Sommer die vorhandenen Studien zu Ivermectin ausgewertet. „Wir mussten
       viele Studien ausschließen, die nicht den Qualitätsstandards klinischer
       Forschung entsprachen“, sagt Popp. Mal habe es keine geeignete
       Vergleichsgruppe gegeben, mal seien die Patienten nicht per Zufallsprinzip
       in die Gruppen verteilt worden.
       
       In den verbliebenen Daten fanden sie keine Hinweise darauf, dass Ivermectin
       den Zustand von Erkrankten verbessert oder die Zahl der Todesfälle
       reduziert. Mehrere neue Studien wurden seit dem Sommer publiziert. Weibel
       sagt: „Auch die gehen in die Richtung, dass Ivermectin keinen Effekt hat.“
       Drei große Studien seien zudem in Arbeit, unter anderem von der Universität
       Oxford.
       
       An einem Nachmittag Mitte Januar klappt es dann doch mit einem Treffen. Die
       Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 428, besonders viele Infektionen gibt es
       inzwischen in der Impfhochburg Bremen und in Berlin. Ich verabrede mich mit
       Sabine wieder in der taz. Sie trägt einen Rock und gemütliche Lederstiefel.
       
       Sabine erzählt, dass sie wegen 2G an Weihnachten vor allem Socken und
       Mützen verschenkt habe, die gab es im Sortiment des Bio-Supermarktes. Dinge
       online zu bestellen lehnt sie ab. Weil sie nicht mehr schwimmen gehen kann,
       habe sie etwas zugenommen seit unserem letzten Treffen.
       
       Ich frage sie, ob unser Gespräch auch bei ihr etwas ausgelöst habe. Sie
       sagt, es mache ihr Hoffnung, dass sich überhaupt noch jemand für die andere
       Seite und ihre Kritik am Impfen interessiere. „Die Aufgabe der Medien ist
       die Kontrolle der Macht. Ich finde, die kommt einfach zu kurz.“
       
       Sie redet schneller als beim ersten Gespräch, auch ihr Ton ist schärfer.
       Das liegt vor allem an den Problemen, die ihre Kinder inzwischen wegen des
       Impfthemas haben. Die Jüngere steht vor dem Wechsel an die Oberschule, sie
       will sich an einer Schule in der Nähe bewerben. Beim Vorstellungsgespräch
       sind aber nur geimpfte Eltern zugelassen. „Ich lasse mich testen, ich bin
       nicht krank, das ist doch absurd“, sagt Sabine. Sie hat eine Freundin
       gefragt, ob sie die Tochter begleitet. „Aber welchen Einfluss hat das auf
       die Aufnahme?“ Ihre Tochter will wegen des Ärgers inzwischen nichts mehr
       von der Schule wissen. Dabei hatte ihr das Profil eigentlich gefallen.
       
       Die große Tochter wiederum plant ein Auslandsjahr. Das Vorbereitungstreffen
       fand gerade statt, für Jugendliche ab 14 galt 2G, sie konnte nicht hin.
       
       Es ist nicht in Ordnung, wenn Kinder darunter leiden, dass ihre Eltern
       gegen das Impfen sind. Sabines große Tochter wäre gerne geimpft, wie alle
       anderen in ihrer Klasse. „Sie ist total verzweifelt.“ Sabines Haltung
       erscheint mir hart. Sie könnte nachgeben, das will sie aber nicht. Sie
       sagt: „Das Risiko meiner Tochter, schwer zu erkranken, geht gegen null.“
       
       Sie haben sich viel gestritten deshalb, man merkt, das macht auch Sabine zu
       schaffen. Inzwischen haben sie einen Kompromiss ausgehandelt. „Wenn es bis
       zum Sommer nicht vorbei ist, dann darf sie sich impfen lassen, aber mit
       einem anderen als diesen mRNA-Impfstoffen.“ Mit dem Mittel Novavax, das
       demnächst kommen soll, oder mit dem Totimpfstoff Valneva könnte sie eher
       leben, für ihre Tochter wie für sich selbst.
       
       Ich frage Sabine, ob sie angesichts des gesellschaftlichen Drucks radikaler
       geworden ist in den vergangenen Monaten. Das Wort „radikal“ lehnt sie ab.
       „Ich bin ja kein gewalttätiger Mensch.“ Sie habe zu einer Demo gehen
       wollen, organisiert von Schauspielerinnen, aber die sei verboten worden.
       „Dabei hatten sie ein Hygienekonzept. Sie haben sich auch extra von rechts
       distanziert.“ Früher habe sie Berührungsängste mit Querdenkern gehabt, aber
       bei den Protestdemos seien gar nicht so viele Rechte, ist sie nun
       überzeugt. Die Medien würden das nur so darstellen.
       
       Wir sprechen auch über die Impfpflicht. Sabine wirkt bei der Frage nicht so
       empört, wie ich es erwartet habe. Sie glaube nicht, dass die Impfpflicht
       komme, sagt sie. Die Antikörper ließen nach einer Impfung zu schnell wieder
       nach. Sie hoffe zudem auf Omikron. „Man kann ja schlecht eine Impfpflicht
       für einen Schnupfen durchsetzen“, sagt sie spöttisch.
       
       Wir diskutieren wie beim letzten Mal über die Zahl der Ungeimpften in den
       Kliniken. Sabine sagt, die Daten seien manipuliert worden. Während wir
       sprechen, macht [6][eine Meldung] der Vereinigung der Intensiv- und
       Notfallmedizin Divi die Runde. Demnach sind fast zwei Drittel der
       Coronapatient:innen auf den Intensivstationen ungeimpft.
       
       Ich erzähle ihr auch von meinem Gespräch mit den beiden Forscherinnen aus
       Würzburg über Ivermectin. Sie hört zu und entgegnet dann, große Studien
       würden eben von der Pharmaindustrie in Auftrag gegeben und die habe kein
       Interesse daran, deshalb fehlten aussagekräftige Daten. Ich weise darauf
       hin, dass auch neuere Untersuchungen zu Ivermectin keinen positiven Effekt
       belegen, und erzähle von den laufenden großen Studien, unter anderem der
       Uni Oxford. Sie fragt: „Und warum dauern diese Studien so lange?“
       
       Am Beispiel Ivermectin wird deutlich, was uns grundlegend unterscheidet:
       Ich vertraue Wissenschaftler:innen wie Weibel und Popp und ihren
       Verfahren. Ich bin überzeugt: Wenn es ein Medikament gäbe, das wirkt, dann
       wäre es inzwischen längst anerkannt. Sabine wiederum sieht ökonomische
       Interessen am Werke.
       
       Ebenso bei der Impfung. Ich vertraue auf das Zulassungsverfahren. Sabine
       nicht, sie fühlt sich von Wissenschaft, Politik und Medien getäuscht.
       Skeptisch gegenüber der herkömmlichen Medizin war sie schon vor Corona, im
       letzten Jahr ist daraus etwas viel Größeres geworden. Sie hat sich von den
       politischen Institutionen entfremdet.
       
       Dieses tiefe Misstrauen wird bleiben, wenn die Pandemie vorbei ist. Bei
       Sabine, bei anderen Impfgegner:innen. Was aber heißt das für die
       Gesellschaft? Wie kann ein Zusammenleben dann funktionieren? Sabine sagt:
       „Ich wünsche mir, dass wir das aufarbeiten, die Spaltung, die Ausgrenzung.
       Sonst haben wir es bald wieder.“
       
       Immerhin, sie spricht von „wir“.
       
       Sie und ihr Mann denken auch übers Auswandern nach. Spanien würde ihnen
       gefallen, sagt Sabine, weil dort Gerichte 2G- und 3G-Regelungen gekippt
       haben. „Es ist nur nicht so einfach. Man kann ja nicht mal eben so gehen.“
       
       Später, auf der Treppe nach unten, gibt es einen versöhnlichen Moment.
       Sabine seufzt. Sie sagt: „Das nervt. Hoffentlich geht das endlich vorbei.“
       Dass Corona bald verschwinden möge, darauf können wir uns einigen.
       
       29 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.eurosurveillance.org/content/10.2807/1560-7917.ES.2021.26.41.2100920
   DIR [2] https://www.fda.gov/consumers/consumer-updates/why-you-should-not-use-ivermectin-treat-or-prevent-covid-19
   DIR [3] https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/coronavirus-inhalt.html;jsessionid=7F92C3CF714B191205462D739E1352F6.intranet222?nn=169730&cms_pos=4
   DIR [4] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/corona/szenarienpapier-covid19.pdf?__blob=publicationFile&v=6
   DIR [5] /Strategiepapier-des-Innenministeriums/!5675014
   DIR [6] https://www.divi.de/presse/pressemeldungen/presseinformation-daten-aus-dem-intensivregister-ungeimpfte-machen-mehrheit-aller-covid-19-faelle-auf-intensivstationen-aus
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Antje Lang-Lendorff
       
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       Eine Impfpflicht könnte sich negativ auf Arbeitssuchende auswirken. In
       Nürnberg demonstrieren Coronaleugner am Tag der Machtergreifung der Nazis.
       
   DIR Omikron und Infektionsschutz: Ungeimpfte Senioren im Fokus
       
       Gesundheitsminister Lauterbach warnt vor Leichtsinn angesichts der
       Omikron-Welle. Ein Vorschlag für PCR-Test-Priorisierung kommt nächste
       Woche.
       
   DIR Impfpflicht in Österreich: Folge des Versagens
       
       Die Impfpflicht will man in Österreich mit dem Einsatz von polizeilichen
       Kontrollen durchsetzen. Das dürfte Impfgegner wie Befürworter brüskieren.
       
   DIR Impfpflicht-Debatte im Bundestag: Weder Ideen noch Orientierung
       
       Ein zielführender Austausch war die Orientierungsdebatte zur Impfpflicht
       nicht. Die Regierungsparteien lieferten bisher keine konkreten Vorschläge.
       
   DIR Nachrichten in der Coronakrise: Rekord-Finanzierung für Wirtschaft
       
       Die Investitionsbank stellt so viel Geld wie noch nie bereit. Die
       EU-Arzneimittelbehörde hat grünes Licht für das neue Covid-Medikament von
       Pfizer gegeben.
       
   DIR Gesundheitssystem in der Coronakrise: Fake-Anzeigen, echter Notstand
       
       Impfgegner*innen haben sich dazu verabredet, falsche Inserate von
       ungeimpften Pfleger*innen zu schalten. Das Problem könnte dennoch real
       sein.