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       # taz.de -- Türkei und Armenien: Hrant Dink lebt
       
       > In Istanbul haben tausende Menschen des ermordeten Menschenrechtlers
       > gedacht. Derweil nähern sich die Türkei und Armenien immer weiter an.
       
   IMG Bild: Gedenkveranstaltung in Istanbul zum 15. Jahrestag der Ermordung von Hrant Dink am 19.01.2022
       
       Istanbul taz | Vor 15 Jahren wurde der armenisch-türkische Journalist und
       Menschenrechtler Hrant Dink ermordet, doch das Vermächtnis des Toten lebt.
       Mehrere tausend Menschen versammelten sich am Mittwochnachmittag in
       Istanbul zu einer Gedenkveranstaltung vor dem Gebäude, wo Dink am 19.
       Januar 2007 durch einen Schuss in den Kopf getötet wurde. Er hatte gerade
       die Redaktion der türkisch-armenischen Wochenzeitung Agos verlassen, deren
       Gründer und Chefredakteur er war. „Gerechtigkeit für Hrant Dink“ forderte
       die Menge am Mittwoch in Sprechchören. „Wir fordern weiterhin Aufklärung
       statt Vertuschung“, sagte einer der Redner.
       
       Der armenisch-stämmige Hrant Dink war in den Jahren vor seiner Ermordung
       die führende Figur gewesen in der Debatte um die Aufklärung am
       [1][Völkermord an den Armeniern] 1915. Bis heute bestreitet die türkische
       Regierung wie alle ihrer VorgängerInnen, dass während des Ersten
       Weltkrieges im Osmanischen Reich ein Völkermord an den Armeniern verübt
       wurde. Bis heute ist es für türkische Nationalisten eine Frage der
       Loyalität, den Völkermord abzustreiten und Leute wie Hrant Dink, die eine
       ehrliche Debatte über die Vergangenheit fordern, als Volksverräter
       abzustempeln.
       
       Dink wurde damals von einem jungen Mann, den andere vorgeschickt hatten,
       ermordet. [2][Wer bei dem Mord tatsächlich die Fäden zog, ist nach wie vor
       nicht aufgeklärt.] Doch die Debatte konnte durch den Mord nicht beendet
       werden, im Gegenteil: Die Witwe Rakel Dink, die während der
       Gedenkveranstaltung am Mittwoch eine bewegende Rede hielt, hatte noch im
       Jahr des Mordes gemeinsam mit Freunden eine Hrant-Dink-Stiftung gegründet,
       die die Erinnerung an die Armenier in der Türkei wiederbelebt und sich mit
       viel Engagement für eine Aussöhnung zwischen den Menschen in der Türkei und
       Armenien einsetzt.
       
       Die Stiftung hat mittlerweile durch Spenden die Möglichkeit genutzt, eine
       alte armenische Schule zu renovieren und umzubauen, und dort eine
       Bibliothek und Seminarräume eingerichtet. Auch Agos ist in dieses Gebäude
       umgezogen. In den früheren Räumen der Redaktion hat die Stiftung nun ein
       kleines Museum zu Hrant Dink und armenischem Leben in Istanbul
       eingerichtet. In gewisser Weise ist dies das erste Museum zum Völkermord an
       den Armeniern in der Türkei.
       
       ## Wandel durch Annäherung
       
       Auch wenn es für die knapp 100.000 Armenier, die heute noch in der Türkei
       leben, immer wieder schwierige Zeiten gibt wie zuletzt während des Krieges
       um Bergkarabach im Herbst 2020, ist die Hetze und Diskriminierung doch
       insgesamt zurückgegangen. Selbst in der Phase massiver innenpolitischer
       Repression nach dem Putschversuch im Sommer 2016 konnte die
       Hrant-Dink-Stiftung weitgehend ungestört arbeiten, während viele andere
       NGOs verfolgt oder sogar geschlossen wurden.
       
       Selbst der Krieg um Bergkarabach, bei dem die Armenier nicht zuletzt wegen
       der türkischen Unterstützung von Aserbaidschan eine schwere militärische
       Niederlage erlitten, könnte langfristig noch etwas Gutes haben. Der
       türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan war anschließend bereit, mit
       Armenien Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen zu führen – ein
       Angebot, für das sich die Armenier per Parlamentswahl im Herbst 2021
       aussprachen.
       
       [3][Beide Seiten ernannten jeweils einen Sondergesandten], der die
       Gespräche führen wird. Der Auftakt fand vor gut einer Woche in Moskau
       statt. Man beschloss die Gespräche demnächst auch ohne russische
       Vermittlung fortzusetzen.
       
       Auch wenn es den Armeniern schwerfällt, mit der türkischen Regierung zu
       reden, ohne dass diese den Völkermord zuvor anerkennt, könnte ein Wandel
       durch Annäherung Fortschritte bringen. Die Grenze zwischen beiden Ländern
       würde geöffnet, die armenische Wirtschaft hätte eine bessere Verbindung
       nach Europa und die Menschen könnten endlich miteinander statt übereinander
       reden. Und vielleicht werden dann ja auch die Hintermänner des Mordes an
       Hrant Dink endlich vor Gericht gestellt.
       
       19 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Voelkermord-an-den-Armeniern/!5762505
   DIR [2] /14-Jahre-nach-dem-Mord-an-Hrant-Dink/!5758592
   DIR [3] /Annaeherung-von-Tuerkei-und-Armenien/!5824076
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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