URI: 
       # taz.de -- Nach dem Tod des Filmemachers: Grüß Gott, Herr Achternbusch
       
       > Herbert Achternbusch ist tot. Seine Filme fehlen weiter in den
       > öffentlich-rechtlichen Mediatheken und Programmen. Eine Nachlese in den
       > Nachrufen.
       
   IMG Bild: Herbert Achternbusch 1991, bei den Dreharbeiten zu „I know the way to the Hofbräuhaus“
       
       Viel Feind’, viel Ehr’! Dieser dämliche Soldatenspruch aus grauer Vorzeit
       konnte einem nach [1][dem Tod von Herbert Achternbusch] sofort wieder
       einfallen. Denn er war seit Beginn der Karriere des bayerischen Künstlers
       vor fünfzig Jahren naheliegend. Bis heute tragen viele seiner Filme (nicht
       nur „Das Gespenst“) den gefährlichsten Stempel, den die Freiwillige
       Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) kurz vor der Indizierung
       draufhauen kann: „Ab 18 Jahre / nicht feiertagsfrei“.
       
       Das ist mehr als grotesk, das schaffen sogar die miesesten Killerspiele,
       die selbst diese tapferen Nazis aus der Mitte der Gesellschaft erzittern
       lassen, nur selten. Das war seit Jahrzehnten geschäftsschädigend. Da
       braucht es keine Fantasie, um sich die Überlegungen von Kinobesitzerinnen
       und öffentlich-rechtlichen Fernsehabteilungsleitern bei der Programmplanung
       vorzustellen.
       
       Oder passt heute dieser Spruch besser? „Die Feinde meiner Feinde sind auch
       meine Feinde.“ Hätte von Achternbusch sein können. Der als Filmemacher
       mächtigere und härter kämpfende Feinde hatte als alle systemrelevanten
       Artisten zusammen. Auch weil man ihn wie Heiner Müller als „Klassiker des
       antikolonialistischen Befreiungskampfes auf dem Territorium der BRD“
       interpretieren konnte, und besonders, weil Achternbusch so was
       bodenständiger formulierte, immer gefährlich nah am Stammtisch.
       
       „In Bayern möchte ich nicht einmal begraben sein“, hatte er schon
       klargestellt und von CSU-Politikern klare Antworten wie „Sauerei“ erhalten,
       lange bevor sie ihn nach seinem Film „Das Gespenst“ 1982 nicht nur verbal
       attackierten. Spätestens jetzt stand er auf der Liste der bayerischen
       Staatsfeinde sehr weit oben. Delikt: Das „religiöse Empfinden großer Teile
       der Bevölkerung“ wurde verletzt (wie in den Büchern und Filmen davor).
       
       Der für Filmförderung zuständige CSU-Bundesinnenminister Friedrich „Old
       Schwurhand“ Zimmermann sorgte dafür, dass die letzte Förderungsrate von
       75.000 für „Das Gespenst“ nicht ausgezahlt wurde. Das habe ihn ruiniert,
       sagte der Filmemacher, obwohl es seine Produktion auch angefeuert habe; es
       dauerte fast zehn Jahre, bis er den Prozess gewann.
       
       Danach konnte er mit Förderung nicht mehr rechnen, seine Werke kamen
       jahrelang nicht mehr, später kaum je ins Fernsehen. Achternbusch drehte
       noch 18 Filme und 20 Jahre weiter, nutzte das Geld der großen
       Subventionstheater, verletzte unvermindert ohne Rücksicht auf Verluste
       CSU-Bosse, Bayern, alte und neue Nazis, Katholiken, brave Bürger*innen, die
       Gesetze für ordentliche Literatur- und Filmprodukte, außerdem Reiche,
       Naturzerstörer. Und er könne sich „mit den Deutschen niemals versöhnen“,
       sagte er 2018 in einem WDR-Interview, als er von seinen Kriegserlebnissen
       als Kind erzählte.
       
       ## Nichts ganz Falsches
       
       Ehre wem Ehre gebührt! Ist somit eindeutig der passende Spruch zu seinem
       Tod am 10. Januar, nach dem man außerdem nichts Schlechtes sagen soll – und
       das hat man auch bei der Bayerischen Staatszeitung gedacht (deren Beilage
       Bayerischer Staatsanzeiger Amtsblatt ist): Der Verstorbene sei „vor allem
       für seine skurrilen Filme bekannt“. Ihn „zeichnete vor allem eine Hassliebe
       zu seiner Heimat Bayern aus“ und „seine oft mit geringem Aufwand gedrehten
       Streifen nahmen regelmäßig die so unangepasst-subversive wie
       obrigkeitshörige und bigotte bayerische Volksseele aufs Korn. In ‚Der Depp‘
       (1983) ließ er seinen Lieblingsfeind Franz Josef Strauß vergiften, im
       halbdokumentarischen ‚Bierkampf‘ rechnet er mit einem bayerischen Heiligtum
       ab: dem Oktoberfest.“
       
       Auch in den nicht zitierten Sätzen steht nichts ganz Falsches. Das liegt
       daran, dass man eine dpa-Meldung verwurstet hat, die genügend Profil
       enthält, damit zum Beispiel Leser*innen der Jungen Union erkennen
       können, aha, so eine Drecksau war das, den Strauß hat er vergiftet! Die
       (wenn auch unzureichende) Erläuterung zum Fall „Das Gespenst“ wurde gleich
       ganz gestrichen und leider auch das denkwürdige dpa-Ende, das man bei Zeit
       Online jedoch mochte: „Längere Zeit bekam Achternbusch daraufhin im
       Fernsehen kein Bein mehr auf den Boden. Doch die Zeiten haben sich
       geändert, Achternbusch zählte zum Inventar des
       bundesrepublikanisch-bayerischen Kuriositätenkabinetts.“
       
       Da gibt es doch nichts zu kommentieren. Außer, dass ich mir vorstellen
       könnte, dass die Staatszeitungsmacher womöglich die Töchter der großen
       unangepasst-subversiven CSU-Anti-Achternbusch-Kämpfer Strauß und Tandler um
       einen Nachruf baten, die jedoch aufgrund der Aufräumarbeiten bezüglich
       ihrer sogenannten Maskenaffäre keine Muse fanden.
       
       ## Kondolenzschreiben vom Bundespräsidenten
       
       Dagegen hätte ich mir nicht vorstellen können, dass [2][Bundespräsident
       Steinmeier ein Kondolenzschreiben an Achternbuschs] Tochter schickt, das
       auch veröffentlicht wird. Der Präsident kondoliert selten, wenn es sich um
       Künstler*innen handelt, in fünf Jahren elf Mal (unter anderem Hannelore
       Elsner, A. R. Penck und Michael Ballhaus), ist auf der Homepage zu lesen.
       Ich rufe die Pressestelle an: Nicht jede Kondolenz des Präsidenten werde
       veröffentlicht; er bekomme Vorschläge aus dem Team, Achternbusch sei jedoch
       sein persönliches Anliegen gewesen; üblicher Ablauf: er bekomme einen
       Textvorschlag aus dem Team, den er mal nicht und mal, wie in diesem Fall,
       mit persönlichen Sätzen ergänze.
       
       Einige Beispiele: „Mit Herbert Achternbusch verlieren wir einen
       einzigartigen Universalkünstler. Als Filmemacher, Schriftsteller und Maler
       hat Ihr Vater die deutsche Kulturlandschaft unschätzbar bereichert, auch
       weil er provozierte und polarisierte.“ Seine Werke sind „alles andere als
       ein nur bayerisch-regionales Phänomen“, sie „setzen sich mit
       anarchistischem Humor und mit zugespitzter Satire, aber ebenso auch in
       lyrischen und sehr poetischen Bildern mit elementaren Themen der Gegenwart
       auseinander […]. Widerstandsgeist, Verzweiflung und geniale Komik“ waren
       bei ihm „so nah beisammen wie bei keinem anderen“; seine
       „Schonungslosigkeit sich selbst und uns gegenüber hat mir persönlich immer
       sehr imponiert“, er „wird als großartiger Mensch und Künstler in unserem
       Gedächtnis bleiben“.
       
       Noch bevor ich ein Wort von diesem Text des Präsidenten las, dachte ich,
       so, jetzt dreht sich der Achternbusch aber wirklich im Grabe. Dann dachte
       ich, goddam, gib es zu, du hättest in dieser Kürze nichts besser sagen
       können. Obwohl ich, goddam, kein SPD-Wähler bin. Und dann dachte ich: Wenn
       eine junge Dichterin zur Einführung des Präsidenten einer Supermacht
       staatstragend spricht und dafür von so ziemlich allen außer irgendwelchen
       Nazis verehrt wird, warum soll dann nicht auch ein anderer Staatspräsident
       zum Tod eines Anarchisten was Respektvolles sagen können?
       
       ## Besser in einem rechtsextremen Blatt
       
       Ich respektiere Leute, die dem Werk Achternbuschs nichts abgewinnen können
       und das in einem Nachruf beschreiben. Der in der FAZ vom ehemaligen
       Theater-Redakteur Gerhard Stadelmaier nimmt aber – bevor mein Nachruf in
       der Sonntagsausgabe erschien, die von einer anderen Redaktion betreut wird
       – viel mehr als nur den Verstorbenen ins Visier: Seine berühmten Sprüche
       hätten „allen postmodern Verzweifelten den so dringend erflehten
       Absurditätssegen“ gegeben oder auch „allen bajuwarischen Sitzenbleibern den
       so dringend erflehten Zynismussegen“ gespendet.
       
       Der Verstorbene „ist jetzt endgültig gegangen. Aber man merkt Bayern immer
       noch nicht an, dass es ihn kaputtgemacht hätte“, denn dafür habe er „von
       Bayern immer zu gut gelebt“ und das Land „gerade im äußersten Widerspruch
       und Hass […] dringend nötig gehabt: als Indianer-Reservat“ (München), „in
       das er sich als dessen oberster Anarcho-Häuptling selbst hineinverbannt
       hatte“. Er habe „sein papierenes Kampfbeil gegen die Staatspartei und den
       Klerus“ geschwungen, die ihm „den Gefallen taten, ihn als Opfer zu adeln“
       (so nennt er den Vorgang um „Das Gespenst“).
       
       Bei allen Themen in seinen Werken, „und das immer“ mit „dilettantisch
       geführter Schmalspurkamera“ (die meistens renommierte Kameramänner
       hielten), habe er sich „für nichts so sehr wie für sein eigenes Ich“
       interessiert, „als Anarcho-Häuptling vom bayerischen Undergroundstamme
       Ego“, der „seine biographischen Elends- und Versehrtheitsdetails zum Humus
       seines Künstlertums“ machte, wobei er sich „einer ungeformt und zuchtlos
       vor sich hin kalauernden Plappersprache“ bediente. Als zuchtvolles Opfer
       der „ehrfürchtig zu ihm auflallenden Achternbusch-Gemeinde“ könnte ich noch
       einigen Unsinn und Verzerrungen züchtig zerlegen. Hier die Kurzform meiner
       sorgfältigen Analyse: Der Text wäre besser in einem rechtsextremen Blatt
       wie Junge Freiheit erschienen, wo er hingehört.
       
       ## Ehrende Worte, keine Sendeplätze
       
       Es wird diesen Stadelmaier freuen, dass die vielen Hymnen auf das
       „Universalgenie“ oder sogar „Originalgenie“, den legendären und großen
       Filmemacher Achternbusch (von dem der Schriftsteller und Maler, wie auch
       hier, leider immer mehr verdrängt wird), schon auch etwas täuschend sind:
       Denn die Realität ist, dass es in Mediatheken der öffentlich-rechtlichen
       Sender nichts zu sehen gibt (außer plötzlich „Bierkampf“, den man neben
       einigen anderen auch im Netz findet) und fast nichts auf DVD ([3][bzw. eine
       vergriffene 5er-Box für 250,]–). Angesichts der aktuellen Entwicklungen bei
       den Katholen könnte man doch „Das Gespenst“ rehabilitieren! Aktualität!
       
       Achternbusch war schuld daran, dass ich mit 16 auf die Idee kam, ich könnte
       doch auch ein Schriftsteller werden. Wir haben uns nur einmal getroffen, zu
       kurz, um mich bei ihm zu bedanken. Ich sagte zu ihm, ich würde seine Bücher
       lieben. So ein Schmarrn, man kann doch keine Bücher lieben, sagte er und
       ging weg. Daran erinnere ich mich gerne und rufe zum Abschied: Gute Nacht,
       Bayern. Grüß Gott, Herr Achternbusch.
       
       25 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nachruf-auf-Herbert-Achternbusch/!5825796
   DIR [2] https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/01/220114-Kondolenz-Achternbusch.html
   DIR [3] /Achternbusch-auf-DVD/!5170010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Franz Dobler
       
       ## TAGS
       
   DIR Nachruf
   DIR Film
   DIR Theater
   DIR Künstler
   DIR Bayern
   DIR Nachruf
   DIR München
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nachruf auf Schauspieler William Hurt: Ein Blick, der verzauberte
       
       Schauspieler William Hurt schob im US-Kino einen Wandel des Männerbildes an
       – hin zum Sensiblen. Kurz vor seinem 72. Geburtstag ist er nun gestorben.
       
   DIR Punk-Ausstellung in München: Die Gefahr kam immer von links
       
       In den Achtzigern traf die Subkultur noch auf eine beinharte CSU. Die
       Ausstellung „Pop Punk Politik“ erinnert an die repressiven Zeiten in
       München.
       
   DIR Achternbusch auf DVD: Messer im Mund
       
       Die Sprache ist ein Verselbständigungsmittel. Eine DVD-Box versammelt sechs
       Filme von Herbert Achternbusch.
       
   DIR Sepp Bierbichler-Porträt: Autodidakt mit Axt
       
       "Bierbichler", ein Porträtfilm von Regina Schilling, schaut dem Mimen beim
       Holzhacken zu und begleitet den großen bayrischen Anarchisten ans Theater
       und in sein Heimatdorf.