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       # taz.de -- Niedergang der Luca-App: Daten auf dem Wühltisch
       
       > Die Luca-App fliegt vielerorts aus dem Kanon der Pandemiebekämpfung. Doch
       > die Macher suchen nach Rechtfertigungen, die Daten weiterzuverwenden.
       
   IMG Bild: Was passiert mit den in der Pandemie gespeicherten Daten?
       
       Flap, flap, flap. Wie ein Kartenhaus fällt in diesen Wochen die
       Daseinsberechtigung für die Luca-App, die Gesundheitsämtern bei der
       Kontaktnachverfolgung helfen sollte, in sich zusammen. Ein Bundesland nach
       dem anderen lässt die Verträge mit der zugehörigen Firma culture4life
       auslaufen oder kündigt sie. Das Unternehmen bietet jetzt schon
       50-prozentige Rabatte plus monatliche Kündbarkeit der Verträge an. Die
       Luca-App, im vergangenen Frühjahr noch in Talkshows zum großen
       Hoffnungsträger für die Eindämmung der Pandemie geredet, liegt auf dem
       Wühltisch.
       
       Der Sinn der App, das kurz zur Erinnerung, bestand vor allem darin, die
       Kontaktnachverfolgung von mit Sars-CoV-2 infizierten Personen durch die
       Gesundheitsämter von Stift, Papier, Fax und Exeltabellen auf QR-Codes und
       digitale Übertragungswege umzustellen. Vor einem Jahr erlebte die App ihren
       Hype-Höhepunkt und durchlief dann den klassischen Hype-Cycle in abgekürzter
       Form: Nach dem Höhepunkt, der beispielsweise den damals Regierenden
       Bürgermeister von Berlin einigermaßen sachkenntnisbefreit sagen – und
       vermutlich auch so entscheiden – ließ: „Ich will jetzt endlich auch diese
       Luca-App haben“, ging es ziemlich schnell runter ins Tal der
       Enttäuschungen: Die Gesundheitsämter stellten bald fest, dass es mit der
       App nicht einfacher wird, sondern im Gegenteil die Daten von
       Kontaktpersonen vor allem mehr werden und dabei nicht unbedingt von
       besserer Qualität sind. Flap.
       
       [1][Sicherheitsforscher:innen deckten Lücke um Lücke auf] und Jan
       Böhmermann [2][zeigte einen Hack für Anfänger:innen], der diverse
       Konzeptfehler der App auf einmal veranschaulichte. Flap. Im November
       entschied dann das Oberlandesgericht Rostock, dass die Direktvergabe der
       Luca-Lizenz durch das Land Mecklenburg-Vorpommern vergaberechtswidrig war
       und damit unwirksam ist. Flap. Strafverfolger:innen greifen in
       mindestens einem Fall auf persönliche Daten von Luca-Nutzer:innen zu – ohne
       Rechtsgrundlage. Der Fall schlägt Wellen über Deutschland hinaus. Flap,
       flap.
       
       Und nun, wo die Pandemie in Europa in ihr drittes Jahr geht, die Zahlen in
       vorher nicht gekannte Höhen steigen und die Gesundheitsämter es schon lange
       aufgegeben haben, noch annähernd hinterherzukommen, kündigen reihenweise
       Bundesländer die Verträge mit culture4life oder verzichten auf
       Verlängerung. Zu einem Plateau der Produktivität, das der Hype-Cycle
       eigentlich zum Ende hin noch vorsieht und in dem sich das gehypte Produkt
       auf realistischem Niveau bewährt, kam es nicht. Oder muss man sagen: noch
       nicht?
       
       ## „Gewöhnungseffekt wird bleiben“
       
       Einer, der nicht nur Luca, sondern auch das System dahinter früh kritisiert
       hat, ist der Jurist und Datenschutzexperte Malte Engeler. Er sagt:
       „Einerseits haben wir uns daran gewöhnt, beim Betreten öffentlicher Orte
       Spuren zu hinterlassen. Wir haben das gesellschaftlich akzeptierte Maß an
       Überwachung erhöht. Dieser Gewöhnungseffekt wird bleiben, fürchte ich.“
       Zwar ist aus den meisten Landesverordnungen nach und nach die Pflicht
       verschwunden, eine Kontaktnachverfolgung über das Erheben persönlicher
       Daten zu regeln. Das machte den Weg frei für den Einsatz der
       Corona-Warn-App auch bei Veranstaltungen oder in Restaurants.
       
       Diese App funktioniert, ohne dass Nutzer:innen persönliche Daten
       hinterlassen oder angeben. Doch, so Engeler: „Luca ist als App noch immer
       da und mit ihr auch die Daten der vielen Millionen (Zwangs-) Nutzer*innen.“
       Für die weitere Speicherung und Verwendung dieser Daten werde von Seiten
       der Luca-Betreibergesellschaft und ihrer Investoren jetzt fieberhaft nach
       einer Rechtfertigung gesucht werden. Eine Idee, die anscheinend schon früh
       im vergangenen Jahr bei dem Unternehmen kursierte, wie Hinweise vom Chaos
       Computer Club [3][und der Transparenz-Plattform fragdenstaat] im
       vergangenen April zeigten.
       
       ## Rechtfertigung für Datenspeicherung
       
       Und tatsächlich: Die Akteure hinter der Luca-App arbeiten daran. [4][So
       skizzierte culture4life im Januar pünktlich] zur Diskussion darüber, ob die
       Kombination aus Impfungen und Omikron die Pandemie in absehbarer Zeit zur
       Endemie machen werde, ein paar Ideen dazu, wie es weitergehen könnte.
       „Bürger:innen können über die luca App ihrem zuständigen Gesundheitsamt
       ihren Impfstatus freiwillig mitteilen“, heißt es da. Das wäre also eine
       Verarbeitung von Gesundheitsdaten, für die noch einmal strengere Regeln
       gelten, und für die Nutzer:innen dem Anbieter in besonderem Maße
       vertrauen können sollten.
       
       Weiter im Ideenfundus der Luca-Macher: „Mit der Funktion einer digitalen
       ID, basierend auf dem Personalausweis, wie es bereits in anderen Ländern
       möglich ist, will luca eine wesentliche Vereinfachung für Gastronomen und
       Veranstalter ermöglichen.“ Die Rede ist davon, dass Besucher:innen sich
       mit der ID, mit der ihr detaillierter Corona-Impfstatus verknüpft ist,
       sowie eventuell benötigten Tickets für den Eintritt gegenüber Veranstaltern
       ausweisen könnten. Während also etwa der Bundesgesundheitsminister sich
       gegenüber der Idee eines Registers, das den Impfstatus von Personen
       katalogisiert, aus Datenschutzgründen jüngst gerade abgeneigt gezeigt hat,
       will Luca das – auf freiwilliger Basis – werden. Samt noch ein paar mehr
       personenbezogener Informationen.
       
       ## „Maximalst unsympathisch“
       
       „Das Perfide ist ja, dass Luca ohne die Pandemie niemals so viele Millionen
       Nutzer*innen hätte“, sagt Engeler. Er bezeichnet es als „maximalst
       unsympathisch, diese mit Steuermitteln finanzierte Zwangs-User-Basis jetzt
       zur Grundlage für ein völlig Pandemie-unabhängiges Geschäft zu verwerten“.
       Die Kosten aller Bundesländer, die das Luca-System einsetzten, belaufen
       sich Berichten zufolge auf über 20 Millionen Euro. [5][Kosten, auf denen
       die Länder sitzen bleiben], weil der Bund sie nicht übernimmt, obwohl das
       zwischenzeitlich im Raum stand.
       
       Dies in Kombination mit der überschaubaren Unterstützung der App plus der
       Tatsache, dass die bundeseigene Corona-Warn-App mittlerweile längst
       ebenfalls eine Check-in-Funktion für Veranstaltungen und Lokalitäten
       bekommen hat, dürfte die Motivation der Länder, auf das Wühltischangebot
       der Luca-Unternehmer einzugehen, weiter verringern.
       
       ## Ausgabe von Millionen an Steuergeld
       
       „Ohne den PR-Erfolg der Luca-App, dem auch viele Politiker:innen zu
       unkritisch zum Opfer fielen, würden heute nicht so viele nutzlose
       Luca-Codes an Türen hängen, die nach wie vor fleißig mit Luca-Apps gescannt
       werden, ohne dass irgendjemand irgendetwas mit den dabei erzeugten Daten
       anfangen wird“, kritisiert die Linken-Netzpolitikerin und
       Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg. „Von öffentlichen Auftraggebern
       erwarte ich mehr Sorgfalt und Vorsicht bei der Ausgabe von Millionen Euro
       Steuergeldern.“ Nun komme es darauf an, dass die aufgebaute Datenbasis
       nicht zweckentfremdet werde, dass also zur Pandemiebekämpfung erhobene
       Daten nicht einfach in den Datenpool einer künftigen Ticketing-App mit
       Ausweisfunktion laufen.
       
       Nun kann es manchmal hilfreich sein, wenn Kartenhäuser einstürzen. Es lässt
       sich etwas daraus lernen. Anke Domscheit-Berg hält dem Negativbeispiel Luca
       als Positivbeispiel die Corona-Warn-App entgegen: Open Source, transparente
       Entwicklung, eine Bereitschaft, auf Feedback einzugehen, und eine
       Beteiligung von Datenschützer:innen. „Das sollte ein Vorbildprozess für die
       Entwicklung von Software durch die öffentliche Hand sein“, sagt
       Domscheit-Berg.
       
       Alleine: Die Corona-Warn-App ist eine Ausnahme. Engeler: „Eigentlich kann
       man aus Luca nur die Lehre ziehen, dass wir in Deutschland ein ganz
       grundsätzliches digitalpolitisches Problem haben.“ Die Probleme seien seit
       den 1980er Jahren, in denen Deutschland entschied, statt auf die
       leistungsfähigeren Glasfaserkabel auf Kupferkabel für den Netzausbau zu
       setzen, die gleichen: „Klüngelei, falsche Prioritäten und kurzfristiges
       Denken.“ Seine Hoffnung: „Ein Unternehmen, das sich derart unfähig erwiesen
       hat, sichere IT zu bauen, wird es hoffentlich am Markt schwer haben.“
       
       2 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ccc.de/de/updates/2021/luca-app-ccc-fordert-bundesnotbremse
   DIR [2] https://twitter.com/janboehm/status/1379573411400286209?lang=en
   DIR [3] https://fragdenstaat.de/dokumente/9376-ich_bin_luca_komp/
   DIR [4] https://www.luca-app.de/luca-bereitet-sich-auf-endemie-vor/
   DIR [5] https://netzpolitik.org/2022/luca-app-bund-uebernimmt-millionenkosten-der-laender-nicht/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Svenja Bergt
       
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