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       # taz.de -- Renate Künast und Internet-Beleidigungen: Nicht alles aushalten müssen
       
       > Im Streit über Internet-Hass rügt das Bundesverfassungsgericht Berliner
       > Gerichtsbeschlüsse. Man habe die Persönlichkeitsrechte nicht genug
       > geschützt.
       
   IMG Bild: Juristischer Erfolg für Renate Künast
       
       Karlsruhe taz | Berliner Gerichte haben die Persönlichkeitsrechte von
       Renate Künast verletzt. Dies stellte nun das Bundesverfassungsgericht auf
       Klage der Grünen-Politikerin fest. Das Kammergericht Berlin muss neu über
       zehn beschimpfende Facebook-Äußerungen entscheiden.
       
       Anfang 2019 hetzte der rechte Blogger Sven Liebich auf seiner
       Facebook-Seite gegen Künast und unterstellte mit einem erfundenen Zitat,
       Künast habe in den 1980er Jahren Sex mit Kindern verteidigt. Daraufhin
       hinterließen Facebook-Nutzer:innen auf Liebichs Seite Kommentare wie:
       Künast sei ein „Stück Scheisse“, „krank im Kopf, ein „altes grünes
       Drecksschwein“, „geisteskrank“, „gehirnamputiert“, „Sondermüll“, eine „alte
       perverse Dreckssau“ und eine „Drecks-Fotze“.
       
       Künast wollte zivilrechtlich gegen die Urheber:innen der Beschimpfungen
       vorgehen, um zum Beispiel Schadenersatz und Unterlassung zu verlangen. Dazu
       brauchte sie jedoch von Facebook die Nutzerdaten und vom Landgericht Berlin
       eine Anordnung, dass Facebook ihr diese Daten geben darf.
       
       Im September 2019 [1][verweigerte das Landgericht Berlin diese Anordnung].
       In allen 22 Fällen handele es sich um keine Beleidigungen, weil ein
       Sachbezug zur Diskussion über pädophilen Kindesmissbrauch gegeben sei. Der
       Beschluss des Landgerichts [2][sorgte für große Empörung], insbesondere die
       Tatsache, dass man eine Politikerin ungestraft als „Drecks-Fotze“
       bezeichnen darf.
       
       ## Beschwerde von Künast
       
       Auf Beschwerde von Künast korrigierte das Berliner Landgericht seine
       Position im Januar 2020 ein wenig und stufte nun sechs der 22 Äußerungen
       als strafbare Beleidigung ein, unter anderem den Begriff „Drecks-Fotze“.
       
       In der nächsten Instanz stufte das Berliner Kammergericht im März 2020
       weitere sechs Äußerungen als Beleidigung ein, darunter die Formulierung
       „Pfui du altes grünes Dreckschwein“. Es blieben aber zehn Äußerungen übrig,
       die das Kammergericht als zulässige Meinungsäußerung wertete, unter anderem
       „Pädophilen-Trulla“, „Die ist Geisteskrank“ und „Gehirn Amputiert“.
       
       Gegen die Entscheidungen von Landgericht und Kammergericht erhob Künast
       Verfassungsbeschwerde. Eine mit drei Richter:innen besetzte Kammer des
       Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) erklärte Künasts Beschwerde nun für
       „offensichtlich begründet“. Künasts Persönlichkeitsrecht sei von den
       Berliner Gerichten verletzt worden, weil sie bei der Prüfung der
       Beschimpfungen einen falschen Maßstab anlegten.
       
       ## „Schmähkritik“ oder nicht?
       
       Die Berliner Gerichte hätten nur geprüft, ob es sich bei den Beschimpfungen
       um eine „Schmähkritik“ handelt, bei der die Verächtlichmachung der
       Gegenseite im Vordergrund steht. Sie hätten dann aber bei den zuletzt zehn
       Äußerungen, bei denen eine Schmähkritik verneint wurde, die erforderliche
       Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht unterlassen.
       
       Das BVerfG erläuterte seine Rechtsprechung, dass [3][eine Abwägung von
       Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten fast immer vorzunehmen ist] und
       nur ausnahmsweise entfallen kann, etwa bei Schmähkritiken,
       Fäkalbeleidigungen und Verletzungen der Menschenwürde.
       
       Das Bundesverfassungsgericht bewertete die zehn noch umstrittenen
       Beschimpfungen aber nicht selbst und stufte sie auch nicht als Beleidigung
       ein. Vielmehr muss das Kammergericht die Äußerungen erneut prüfen und soll
       dabei in Rechnung stellen, dass Politiker:innen zwar mehr aushalten
       müssen als andere, aber eben auch nicht alles. Eine Bereitschaft zum
       Engagement in Staat und Gesellschaft könne nur erwartet werden, wenn auch
       ein „hinreichender Schutz“ der Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist.
       
       2 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
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   DIR [2] /Journalismusforscherin-zum-Kuenasturteil/!5630154
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