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       # taz.de -- Streit um Nordirlandprotokoll: Regierungschef wirft hin
       
       > Im Konflikt um den Brexitvertrag ist der nordirische Premierminister Paul
       > Givan zurückgetreten. Seiner Partei geht die Zollgrenze gegen den Strich.
       
   IMG Bild: Kurz vor dem Rückzug: Premierminister Paul Givan im Juni 2021 in Belfast
       
       Dublin taz | Aus Protest gegen Brexit-Handelsregeln ist der Regierungschef
       der britischen Provinz Nordirland, Paul Givan, zurückgetreten. „Am heutigen
       Tag endet das, was das Privileg meines Lebens war“, sagte Givan am
       Donnerstag vor Journalisten. Givan bekleidete das Amt weniger als ein Jahr.
       Der britische Nordirland-Minister Brandon Lewis zeigte sich enttäuscht von
       dem Schritt. Er forderte Givans Partei, die protestantische Democratic
       Unionist Party (DUP), auf, das Amt umgehend wieder zu besetzen. Die DUP
       lehnt das [1][Nordirland-Protokoll] ab, über das am Mittwoch ein offener
       Streit zwischen Nordirland und dem EU-Staat Irland ausgebrochen war.
       
       Dieses Protokoll regelt, dass Nordirland Teil des EU-Binnenmarkts bleibt
       und sich an die EU-Zollregeln halten muss. Dadurch soll eine physische
       Grenze in Irland vermieden werden. Stattdessen entsteht eine [2][Zollgrenze
       zwischen Nordirland und Großbritannien], was der DUP ein Dorn im Auge ist.
       
       Givans Parteichef Jeffrey Donaldson hat bereits seit Monaten damit gedroht,
       die Mehrparteienregierung platzen zu lassen, sollte das Nordirlandprotokoll
       des Brexitvertrags bestehen bleiben. Ian Paisley Junior, Sohn des
       gleichnamigen Parteigründers, der 2014 gestorben ist, sagte im Londoner
       Unterhaus: „Wir sind nicht Monate, Wochen oder Tage, sondern nur einen
       Moment vom Zusammenbruch der nordirischen Regionalregierung entfernt. Das
       ist sehr traurig, aber vollkommen vorhersehbar, und es ist in den
       vergangenen 13 Monaten hier in diesem Haus vorhergesagt worden.“
       
       Die Mehrparteienregierung ist im Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998,
       das der [3][Krisenprovinz relativen Frieden beschert] hat, vorgeschrieben,
       um die Vorherrschaft einer Partei zu verhindern. Entscheidungen können nur
       getroffen werden, wenn sowohl die protestantisch-unionistischen als auch
       die katholisch-nationalistischen Parteien zustimmen. Die beiden stärksten
       Parteien auf beiden Seiten stellen den Regierungschef und die
       gleichberechtigte Stellvertreterin – in diesem Fall Paul Givan und Michelle
       O’Neill von Sinn Féin, dem ehemaligen politischen Flügel der inzwischen
       aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA).
       
       Nun, da Givan zurückgetreten ist, verliert automatisch auch O’Neill ihren
       Job. Die anderen Minister könnten im Amt bleiben, dürften aber keine
       wichtigen Entscheidungen treffen, wie über den Haushaltsplan der nächsten
       drei Jahre.
       
       ## Kontrollen von Importen ausgesetzt
       
       Der seit Langem schwelende Konflikt um das Nordirlandprotokoll ist am
       Mittwoch auf die Spitze getrieben worden, als Landwirtschaftsminister Edwin
       Poots angeordnet hat, die Kontrollen von Lebensmittelimporten aus
       Großbritannien zu beenden. Poots, ein Kreationist, der glaubt, Gott habe
       die Erde vor 6.000 Jahren erschaffen, war voriges Jahr selbst DUP-Chef,
       musste aber zurücktreten, weil die Parteibasis argwöhnte, er habe
       Zugeständnisse an Sinn Féin gemacht.
       
       Poots berief sich bei seiner Anordnung, die Kontrollen auszusetzen, auf ein
       Rechtsgutachten, verriet aber nicht, wer dieses Gutachten erstellt hat. Er
       sagte, dass die Kontrollen der Zustimmung der Regionalregierung bedurft
       hätten. Die habe es aber nie gegeben. Deshalb könne er die Aussetzung der
       Kontrollen anordnen.
       
       Irlands Außenminister Simon Coveney sagte, das sei ein Verstoß gegen
       internationale Verträge. Schließlich haben sowohl die britische Regierung
       als auch die nordirische Regionalregierung dem Nordirlandprotokoll als Teil
       des Brexitvertrags zugestimmt. Die Regierung in London verkündete in einer
       Presseerklärung hingegen, dass sie die Kontrollen nichts angingen: Dafür
       sei die Regionalregierung in Belfast zuständig.
       
       ## Warten auf die EU
       
       Trotz Poots’ Anordnung wurden am Donnerstag weiterhin Tierprodukte aus
       Großbritannien in den nordirischen Häfen kontrolliert. Beamte der
       zuständigen nordirischen und britischen Ministerien erklärten, es werde
       weiterhin kontrolliert, bis Klarheit herrsche.
       
       Seamus Leheny, ein nordirischer Industriemanager, sagte, man hoffe seit
       einem Jahr auf Klarheit: „Aber die haben wir bisher nicht bekommen. Das
       steigert die Besorgnis und die Frustration der Unternehmen.“ Er bat die EU,
       nicht überhastet auf Poots’ Initiative zu reagieren, sondern weiterhin mit
       der britischen Regierung nach einer Lösung zu suchen. (mit dpa)
       
       3 Feb 2022
       
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